Waschwalze zum Anfassen

Ausstellung: A Foreign Affair

Sich einmal im Leben den Rücken von einer Autowaschwalze kratzen lassen! Wer hat sich das noch nicht gewünscht? Doch in so einer Waschstraße ist es unwirtlich; es ist nass, außerdem ist die Prozedur oft nur von außen oder aus dem Auto heraus zu beobachten. Nicht zu vergessen die großen Schilder mit „Betreten verboten!“ drauf.

Ach! Kann sich dieser Kindheitswunsch also nie erfüllen? Doch, er kann und zwar in der Galerie Lichtung.

Die derzeitige Ausstellung „A Foreign Affair“ hat so eine Waschwalze für den Hausgebrauch zu bieten. Mehr als mannshoch steht sie da, bunt und mit tausenden von Tentakeln bestückt. „Die Leute haben erstmal Angst davor“, sagt Dan Wesker (39), der Galerist. „Doch wenn sie sich schließlich getraut haben, das Ding anzuschalten, wollen sie mit dem Spielen gar nicht mehr aufhören.“ Verständlich. Nach dem Anschalten per Fußschalter legt die Walze mit lautem Brummen los, dreht sich so schnell, dass sich die langen Plastiktentakeln senkrecht zur Seite spreizen. Anfassen ist erlaubt, ja erwünscht.

Soll das Kunst sein? Es ist Kunst. Weil jeder Spaß hat mit der Walze. Wesker: „Gute Kunst bringt Unterhaltung“. Na also.

Sandro Porcu (35) ist der Schöpfer der „Waschanlage“. Der gebürtige Sizilianer lebt seit 1990 als freier Künstler in Leipzig. Neben der „Waschanlage“ hat Porcu noch drei weitere Objekte in der Galerie ausgestellt: „Lichtobjekt“, „Bildcollage“ und „Kokons“.

Das Lichtobjekt ist eine in der Mitte zerteilte Chromkugel. Aus dem Spalt strömt Licht. Es lohnt sich, näher heranzutreten. Denn in der Mitte der Kugel befindet sich ein Fisch – ein auf einem Metalldorn aufgespießter, orangefarbener Goldfisch.

Die „Bildcollage“ lehnt sich an die ZDF-Werbung „Mit dem Zweiten sieht man besser“ an. So ist es auch: Erst „mit dem zweiten“ Blick sieht man, dass die beiden Finger nicht das Auge, sondern den Mund verschließen – vielleicht als Ausdruck für zu viele Tabus, zu viel Schweigen.

Die „Kokons“ füllen einen ganzen Raum. Die drei Objekte sind aus einem gazeartigen Stoff gewickelt und in Abständen zwischen Decke und Boden aufgehängt. Offen ist, was sich in den Kokons befindet. Wächst da etwas heran? Ist dort etwas versteckt? „Auf jeden Fall regen die drei Kokons die Fantasie an“, sagt Wesker und horcht an den Körpern.

Einen Raum weiter rattert Peter W. Holdens (31) „Take the helmboy and sail away to Davy Crockets Locker“. Davy Crockets Locker bezeichnet das kalte Seemannsgrab am Grund der Ozeane. Tatsächlich ist da ein Neptun mit Helm zu sehen, groß und schwer, grau, aus metallenem Gestänge, umgrenzt von Wellen aus Stahl. Ein Pult ist mit zwei Knöpfen bestückt. Einer für Blitz und Donner, der zweite zur Steuerung des Maschinenneptun. Der Besucher hat alles unter Kontrolle.

Irrtum. Der Betrachter hält nur vermeintlich das Steuer in der Hand. Ober- und Unterteil Neptuns drehen sich wild in verschiedene Richtungen, mal mit- und mal gegeneinander. „Ich denke, dass Holden mit seiner zweimotorigen Installation meint, auch im Leben sei es zwecklos, irgend etwas steuern zu wollen“, sagt Wesker.

Im Fremdsteuern hat der Brite Holden zumindest Erfahrung. Fast drei Jahre lang assistierte er Jim Whiting in dessen ‚Bimbo-Town‘. Diese Maschinenstadt, die von druckluftbetriebenen Plastikwesen bewohnt war, die manchmal sogar das Publikum angriffen, hatte in Leipzig mit ihrer Fantasiewelt aus herumfahrenden Kulissen Furore gemacht.

Der dritte „A Foreign Affairs“-Künstler ist Carlo Crovato (36). Auch er arbeitete jahrelang mit Jim Whiting zusammen. Seine Installation „Zigaretten“ lässt es erahnen. Der Londoner bediente sich ausgerechnet eines ausgedienten Zigarettenautomaten, um aus ihm einen Hypnoseapparat zur Raucherentwöhnung zu bauen.

Für die Prozedur lässt sich der Besucher in einem Sessel nieder und setzt sich Kopfhörer auf. Eine hypnotisierende, männliche Stimme zählt zwanzig Minuten lang alle Widrigkeiten des Raucherlebens auf und schildert die Verlockungen eines Nichtraucherlebens. Dabei scheint der Apparat zu atmen. Er sendet ein Licht aus, das in Atemfrequenz eingeschaltet wird. Dann dimmt es ab, einem Ausatmen gleich. An … aus. An … aus. Einatmen … ausatmen. Einatmen … ausatmen …

Auch an der Tür zum Hypnoseraum gibt eine Lampe den Rhythmus vor – mit dem Hinweis darunter, den Raum nur zu betreten, wenn die Lampe nicht blinkt. „Bei der Vernissage haben sich die Leute brav angestellt“, sagt Wesker.

Eine ähliche Installation hatte Holden bereits in den Räumen der Feinkost Galerie in der Karl-Liebknecht-Straße gezeigt. Hier atmete eine ganze Etage Licht.

Das letzte Objekt – auch von Crovato – ist eine Lampe, genauer gesagt sind es viereckige Glassteine zwischen zwei Glasscheiben mit einer Glühbirne dahinter. Schön, aber ohne Knopf zum Draufdrücken. Im Flur steht sie auch etwas außerhalb.

Es sind jedoch die anderen Exponate, die – gerade im Kontrast zu dieser Lampe – deutlich machen, was die Galerie mit ‚A Foreign Affair‘ will: dass die Objekte Reaktionen hervorrufen. „Kunst existiert erst durch das Publikum“, sagt Wesker.

Und Publikum sollten die Stücke haben. Vor allem „Waschanlage“ und „Take the helmboy and sail away to Davy Crockets Locker“ verdienten es, in öffentlichen Räumen ausgestellt und zum Spielen angeboten zu werden.

Wer hat je ein Foyer gesehen, in dem man sich von einer Waschanlagenwalze den Buckel kratzen lassen kann?

PS – Wer 2.000 Euro aufbringt, kann sich dieses Objekt allerdings auch zu Hause aufstellen.

Carlo Crovato (GB), Sandro Porcu (I) und Peter W. Holden (GB): A Foreign Affair

Aussellung vom 24.03.2002 – 09.05.2002, Galerie Lichtung, Tschaikowskistr. 18

Öffnungszeiten der Galerie Lichtung
Dienstag bis Donnerstag 15.00 Uhr bis 17.30 Uhr
Sonnabend 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr


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