Samuel Beckett : Spiel/ Play/ Comédie, Premiere (Ulrike Felsing)

Premiere: 05. April 2002
Schauspiel Leipzig, Flossplatz 3


Samuel Beckett : Spiel/ Play/ Comédie

F1: Susanne Stein
F2: Krista Birkner
M: Matthias Hummitzsch,
Scheinwerfer: Ilka Fritsch

Regie: Philip Tiedemann
Bühnenbild: Etienne Pluss
Kostüme: Stefan von Wedel


Spiel oder Nichtspiel…

Das „Spiel“ beginnt in dem Moment, wo man den Theaterraum betritt. Bühne und Zuschauerraum haben die gleiche äußere Erscheinung und wirken so wie ein Bild und sein Abbild. Boden, Stühle und Bühnenwände sind von einer hellen, breitgestreiften Markise überzogen und verleihen dem Theaterraum etwas sonnig Heiteres. Unter einem tiefroten Vorhang schauen drei Paar Schuhe hervor, als sei die Bühne zu klein, die Sitzenden aufzunehmen. Dadurch wird der Eindruck des Provisorischen noch verstärkt, der in erster Linie durch die leichten Liegestühle suggeriert wird. Mag dieser Umstand auch mit dem momentanen Umbau des Schauspielhauses zusammenhängen, so stellt sich auch ein Bild für „Spiel“ her: es kann verrückt, vertauscht, verschoben und verändert werden. Die Positionen der Spieler zueinander ändern sich ständig.

Das Stück beginnt zunächst eindeutig als „Spiel?, obschon die Situation später auch sehr ernst wirken wird. Jahrmarktmusik erklingt und die Figuren verfallen abwechselnd puppenartig in aufgesetzte Posen, verzerren ihre Gesichter zu Grimassen. Ein Scheinwerfer gibt den Moment des Spiels oder Sprecheinsatzes vor, die Spieler reden immer nur dann, wenn sie im Licht sind.

Die Art der Musik und vor allem die Bühne, die einen sehr kurzen Bühnenraum hat, lässt das Ganze wie ein Kasperletheater wirken, die verzogenen Gesichter wie Masken hinter denen sich Gefühle verstecken, die nach und nach in einzelnen Satzfetzen angedeutet werden.

Spieler M, der Mann sitzt zwischen zwei Spielerinnen F, die er beide liebt und hintergeht. Das Motiv könnte aus einer banalen Boulevardtheater-Situation stammen, doch bald wird klar: Dies hier ist ein Spiel. Ehefrau und Geliebte sind nicht eindeutig zuzuordnen, immer wieder vertauschen sie ihre Rollen. Und auch der Mann zweifelt manchmal an seiner Position: Haben sich vielleicht nicht beide gegen ihn verbündet und steht er dann alleine da?

Die Dreiecksgeschichte wirkt absurd, wenn die Sprache wieder und wieder zusammenzubrechen droht, wenn entweder alle gleichzeitig verschiedene Worte sagen oder abwechselnd leere Phrasen von sich geben. Aber die Absurdität schafft keine klaffende Lücke zwischen Zuschauer und Bühnengeschehen. Wenn in anderen Stücken des Absurden Theaters Sprache und Handlung oder die Identität der Figuren auseinanderfallen, erzeugt das beim Zuschauer meistens starkes Unverständnis. Bei einem Dreiecksverhältnis liegt die Absurdität aber irgendwie in der Natur der Sache.

Wer noch nicht erkannt hat, dass die Bühne hier das Leben spiegelt, für den erscheint später ein blasses Abbild der Zuschauerreihen auf der Bühnenrückwand. Obwohl dieses Bild im ersten Moment sehr überraschend wirkt, verliert es durch zusätzliche Steigerungen an Subtilität, die bei einem solchen Gedanken wichtig wäre.

Die Leichtigkeit der Aufführung steht im krassen Gegensatz zu Becketts Bild des ?Spiels? bei dem drei Mumienköpfe sprechend aus Urnen hervorragen. Einerseits wirkt es sehr erfrischend, Beckett nicht, wie gewohnt, durch karge, abstrakte Bilder vermittelt zu erleben. Strandambiente, weiße Anzüge und Sonnenbrillen und der eingespielte Stöhnsong „Je taime – moi non plus“ (Birkin/Gainsbourg) geben ein rundes Bild einer lebendigen Inszenierung.

Aber zusammen mit der Art des Schauspiels, die manchmal zu hysterisch, zu sehr theatralisch überzogen ist, bleibt man als Zuschauer doch irgendwie nur bei der Idee einer leichten Komödie über eine Dreiecksgeschichte hängen. Im Nachhinein hatte ich das Gefühl, dass hier weitere, tiefer liegende Gedanken ?überspielt? wurden. Herauszulesen sind sie für mich aus dem genialen Bild des Scheinwerfers, der den Spielern, wie ein gestikulierender Lichtmaschinengott das Mikrofon entgegenstreckt. Da er zwischen der Bühne und der ersten Sitzreihe angebracht gewesen ist, bezog man seine Bewegungen mit in das Bühnengeschehen ein. Er zwang die Spieler zum Reden, er schnitt ihnen das Wort ab und manchmal, wenn sich ihm alle drei verweigerten, wanderte er suchend von einem zum anderen. Er deckte ihre Lügen auf, trennte sie voneinander und ist vor allem selbst Sinnbild für den Konflikt der Figuren mit sich selbst und dem jeweils Anderen.

Mit dem Licht fängt das Bewusstsein an, es ist die Voraussetzung des perzeptiven Aktes. Das Sprechen selbst ist ein Lichten. Gleichzeitig blendet das Licht die Spieler, sie sehnen in ihren Worten Finsternis herbei, als suchten sie die Wahrheit und könnten sie nicht finden oder wollten sich vor ihr verbergen. So bleibt Becketts „Spiel“ zwischen Licht und Dunkelheit: im Schatten des Lebens und des Todes. Dass der Schatten ein Bild für das „Selbst“, das „Unselbst“ und das „Nichtverstehen“ zwischen beiden Seiten ist, zeigt sich auch in dem Text „Neither/Weder“, den Beckett für eine Oper von Morton Feldman schrieb.


NEITHER
to and fro in shadow from inner to outer
shadow
from impenetrable self to impenetrable unself
by way of neither
as between two lit refuges whose doors once
neared gently close, once away turned from
gently part again
beckoned back and forth and turned away
heedless of the way, intent on the one gleam
or the other
unheard footfalls only sound
till at last halt for good, absent for good from
self and other
then no sound
then gently light unfading on that unheeded
neither
unspeakable home

WEDER
hin und her in Schatten von innerem zu äußerem Schatten
von undurchdringlichem Selbst zu
undurchdringlichem Unselbst durch weder
wie zwischen zwei lichten Zufluchten, deren
Türen sobald nähergekommen sacht
Schließen, sobald abgewandt sacht wieder öffnen
vor und zurück gelockt und abgewiesen
achtlos des Wegs, gerichtet auf den einen
Schimmer oder den anderen
ungehörte Tritte einziger Laut
bis endlich still für immer, fern für immer vom
Selbst und vom Anderen
dann kein Laut
dann schwaches Licht unnachgiebig auf jenem
unbeachteten Weder
unaussprechliches Heim

(Zitiert aus: Neither, Sebastian Claren, Wolke Verlag 2000)

(Ulrike Felsing)

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