Ein Rückblick auf die Geigenbaumeister-Ära von Joachim Franke
Wie hat man sich das Leben eines pensionierten, aber passionierten Geigenbauers vorzustellen?
Ich bin in dem Beruf groß geworden. Da hört man nicht von einem Tag auf den anderen auf. Ich gehe hier weiter hoch in meine Werkstatt, wenn ich etwas zu restaurieren habe oder wenn mir danach ist, wieder ein Instrument zu bauen. Wie jüngst ein Violoncello. Es ist gar nicht richtig „kalt‘ geworden, da war es schon vergeben. Es kommen noch alte Kunden, die lassen ihre Instrumente in Freundschaftsleistung von mir betreuen?
Ihre Kinder haben Ihre ehemalige, alteingestammte Werkstatt weitergeführt?
Ich wurde 1988 pensioniert, ich hatte damals große gesundheitliche Probleme. Außerdem war ich ja fast im normalen Rentenalter. Ja, ich habe um diese Zeit die Werkstatt an meinen Schwiegersohn und die Tochter übertragen, die auch Geigenbauerin ist. Mein anderer Sohn hat seinerseits ebenfalls eine Geigenbauer-Werkstatt, mit eigenem Kundenstamm in Leipzig.
Aber die Materialien aus der alten Werkstatt haben Sie noch für sich „gerettet“.
Ja, ich habe noch Holz, obwohl ich im Laufe meines Arbeitslebens eine ganze Menge für neue Instrumente verbaut habe, und dann besitze ich natürlich noch sämtliche Handwerksgeräte, Lacke, Utensilien und alle notwendigen Materialien für Instrumente und Bögen. Früher haben wir ja von allen nicht mehr benötigten Instrumenten jede Schraube, jeden Wirbel, jeden Feinstimmer aufgehoben. Heute schaue ich in die einschlägigen Kataloge. War es damals fast egal, was es kostete, Hauptsache ich habe es repariert, so fragen sie als erstes heute nach dem Preis und entscheiden sich danach oft auch gegen die Reparatur.
Heißt das, dass heute weniger musiziert wird als früher?
Nein, das würde ich nicht sagen. Das Gegenteil beginnt sich abzuzeichnen. Jetzt, wo die Börsenwerte nicht das halten, was sie versprachen, und nachdem sich jeder mit seinem Wunschauto eingedeckt hat, besinnen sich die Leute wieder aufs gemeinsame häusliche Musizieren. Auch viele Kinder fangen an, wieder ein Instrument zu lernen. In diesem Bereich sind die Wende-Nachwirkungen eigentlich vorbei.
Für Handwerksmeister wie Sie konnte die Wende nur Positives bringen, nach dem kärglichen Stundenlohn in den ehemaligen DDR-Zeiten. Was hat sich denn alles verändert, im Gegensatz zu früher?
Hier muss man zunächst die Zeiten der Fünfziger, Sechziger erwähnen. In den Fünfzigern gab es diese privaten Großhändler in Markneukirchen. Wir fuhren zu denen, und über die habe ich dann quartalsweise vielleicht 12 Wirbel, fünf Griffbretter, acht Sattelknöpfe bestellt, und das funktionierte wirklich reibungslos. Die bestellten Dinge wurden in Kartons oder anderen Verpackungen geschickt, das hoben wir auf, packten das bei der nächsten Fuhre wieder ins Auto und bekamen durch die Rückgabe eine Gutschrift. So war das Benzingeld schon wieder reingekommen. Heute bekommen Sie die schönen Kartons geliefert, die alle in den Müll wandern, schade.
In den Siebzigern wurde es schwieriger?
Ja, die siebziger Jahre waren härter. Die kleinen privaten Zulieferbetriebe, die sich nach dem Kriege noch über Wasser gehalten hatten, gingen entweder pleite oder wurden als „Volkseigene Betriebe“ vom Staat aufgekauft und übernommen. Bestellungen wurden gerade noch bearbeitet, wenn wir ein Päckchen Kaffee oder etwas anderes mitbrachten. Die Achtziger waren dann ganz hart. Da ging fast nichts mehr, ich bekam nicht einmal mehr die kleinsten Zubehörteile.
Wie haben Sie sich über Wasser halten können?
Die Rettung waren meine drei Brüder im Westen, die allesamt als Instrumentenbauer arbeiteten. Das, was sie nicht mehr benötigten, das konnte ich verwenden. Analog war es mit dem Werkzeug. Zu 99 % kamen die Handwerkszeuge in meiner Firma aus dem Westen.
Die Firma Franke Geigenbau gibt es ja bereits seit drei Generationen. Sie haben damals das Stammgeschäft des Vaters übernommen?
Wir waren vier Brüder, und wir haben diesen Beruf alle unbedingt erlernen wollen. Vielleicht haben die Eltern damals ihre Vorbild-Funktion mehr wahrgenommen. Mein Großvater, er hieß schon Franke, begann in Frankfurt an der Oder mit dem Instrumentenbau im Liebhaber-Ausmaß, obwohl er hauptberuflich etwas ganz anderes war. Mein Vater gründete die Firma Franke Geigenbau in Leipzig, und dieses Geschäft habe ich übernommen.
Mein ältester Bruder, Rudolf Franke, der fast 18 Jahre älter war als ich, ist zunächst viel als Künstler in der Welt herumgereist, um mit den einschlägigen Orchestern zu musizieren, 1938 hat er sich als Geigenbauer in Wiesbaden sesshaft gemacht.
Herbert Franke, der zweite Bruder, der bei meinem Vater in der Lehre war, hat sich zunächst in Halle selbständig gemacht. 1957 hat er seine Sachen hier aufgelöst, er ging, als die Mauer noch offen war, nach Westberlin, später nach Mannheim.
Mein dritter Bruder, Bernhard Franke, der auch noch beim Vater gelernt und gearbeitet hatte, ist nach Stuttgart gegangen. Er war damals bei der Entnazifizierungskommission als Verwaltungsbeamter. Aber auch er wollte nach einigen Jahren im Beruf sich seinem ersten Beruf, dem Geigenbau, widmen.
Die Brüder haben sicher nicht mit dem Existenzminimum zu kämpfen gehabt?
Um 1970 bis 1980 hat dieser Zweig ziemlich geboomt. Mein Bruder in Stuttgart hatte die Instrumente der Philharmonie und der Staatsoper zu betreuen. Damals, vor allem vor der Mauer, bin ich manchmal zu meinem Bruder gefahren und habe bei ihm ausgeholfen. Und Sie sind nicht dort geblieben?
Wir waren schon auf dem Sprung, eine Wohnung im Haus meines Bruders war immer frei geblieben. Dann kam die Wende dazwischen. Wenn man ein Haus selbst gebaut hat, frisch vom Felde hoch, hat man doch eine starke Verbundenheit damit. Die Kinder waren auch hier. So sind wir geblieben.
Aber die Rente oder Pension wäre im Westen schon größer gewesen?
Ich habe noch die Gesetzblätter vom Februar 1954. ine lächerliche Summe hat die staatliche Preisprüfung festgelegt, plus 85 % Gemeinkosten und zuzüglich 6 % Gewinn und Verlust. Diese Kalkulation habe ich noch wie damals im Kopf. Wenn ich aber mehr Arbeit abgerechnet habe, kamen sofort die Kontrollorgane. Das ging bis in die Ausbildung der Kinder: In der DDR gab es einen Mindestverdienst von 400 Mark Ostgeld. Meine Kinder kamen, obwohl sie alles regulär beachteten und arbeiteten, nie auf die 400 Mark. Da musste ich erst wieder Anträge an den Rat der Stadt schreiben, dass sie für die Differenz aufkommen sollte. Die Kommunisten haben sich selbst Beine gestellt.
Mit Lehrlingen sah und sieht es in dieser Branche ja nicht so rosig aus?
Sie müssen bedenken, dass es zwei bis drei Jahre braucht, bis ein Lehrling in diesem unserem Beruf das Werkzeug einigermaßen gebrauchen und benutzen kann. Dann hat er ausgelernt, und da soll er schon eine weiße Geige herstellen! Jetzt fordert ein Lehrling im Monat 1200 DM, dazu kommen die Krankenkassen- und Versicherungsanteile. Das sind fast 2000 DM, und Sie haben fast keine Gegenleistung. Dann hat er sich am Wochenende beim Fußball vielleicht das Bein verstaucht, und Sie zahlen wochenlang Krankengeld. Außerdem müssen Sie ihm ja mehrere Stunden täglich die Griffe vormachen, das geht dann wieder vom eigenen Zeitbudget ab. Lehrlinge auszubilden in einer Kleinfirma ist äußerst kostspielig.
Welche Gedanken kommen Ihnen, wenn Sie an die Zukunft denken?
Die Musiker haben früher mehr Wert auf Qualitätsarbeit gelegt. Der ehemalige Konzertmeister der Violoncelli am Leipziger Gewandhaus, Professor Friedemann Erben, kam fast jeden Monat zu mir, um das Instrument säubern zu lassen. Ein Instrument ist etwas Ästhetisches. Beim Auto komischerweise legen die Leute immer den allergrößten Wert darauf, dass es weder Kratzer noch Staub abbekommt. Bei den Instrumenten sieht das heute leider ganz anders aus.
Wie muss die Qualität gesichert werden?
Das liegt nun am Kunden. Der muss darauf achten, dass er zu einem Geigenbaumeister geht. Als Profimusiker wäre mir sonst mein Instrument zu schade. Denn wenn es einmal vermurkst ist, kann man die Fehler meist nicht mehr rückgängig machen. Das mindert auch den Wert.
Wir hoffen, dass die heutigen und künftigen Musiker den Wert der Meisterarbeit weiterhin anerkennen werden und danken für das Gespräch.
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