Ein morgendliches Feature der weiblichen Art

„Á quatre mains”-Die CD im 19. Jahrhundert

„Zu vier Händen“, ein durchaus ungewöhnliches Attribut, sozusagen noch eine Extranote zu den angekündigten vergessenen Werken der Romantik, welche wiederzuentdecken sich die Gesellschaft für Kunst und Kritik Leipzig e.V. aufgemacht hat.

Im Gesprächsteil schaffte es Bernhard Biller, das kulturgeschichtliche Umfeld der Komponisten plastisch zu zeichnen. Zwar doch im Monolog, aber angesichts der unkommentierten Beschreibung des damaligen Frauenbildes wohl von Vorteil. Da hätte das anwesende weibliche Publikum wohl gern etwas dazu gesagt. Aber dazu später mehr.

Mit August Mühlings ?Grandes Marches? begannen die beiden Pianistinnen den edlen Steinway ?mit ihren Fingern zu liebkosen? ( W. Shakespeare ). Anfängliche Unterschiede im Temperament des Vortrages harmonierten später bzw. ergänzten sich. Auch wurden die Damen von Bernhard Biller mit Zitaten aus der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung (die Werke seien ?für den mittelmäßige Spieler durchaus geeignet?) angespornt. Aber Spaß beiseite, was Juliane Burger und Viola Grandke aus der doch teilweise etwas verspielten und hypervariierten Salonmusik von August Mühling herausholten, zeugte von hoher Konzentration und Freude am Musizieren.

Damit zum eigentlichen Thema Bernhard Billers: der Salonmusik des 19. Jahrhunderts. Bernhard Biller verstand es meisterhaft, ausgehend vom speziellen Thema des Konzerts über die Zeitgeschichte zu reflektieren. Da gab es Exkurse über die Herausbildung der Bürgerschicht, über die Entstehung der zum Bürgertum gehörenden Wohnung mit ihrem Mittelpunkt, dem Klavier im Salon. Der Hinweis auf den heutigen Aufführungsort ? den Salon der Mendelssohns ? brachte eine authentische Würze Auch kritische Zeitgenossen kamen zu Wort: etwa Heinrich Heine, der schrieb ?den Okzident? aus drei Gründen verlassen zu müssen ? wegen der Gasbeleuchtung, der Dampfmaschinen und der in allen Salons die Gespräche störenden Klaviermusik. Die beschwingt vorgetragene Polonaise von Ferdinand Ries illustrierte Heines Kommentar vortrefflich-ironisch.

Den Höhepunkt erreichte Biller in der Schilderung der Rolle der Frau: Frauen als dekorative Objekte beim Klaviervortrag im Salon des 19. Jahrhunderts, das Klavierspiel der Frau als Ausdruck von Intelligenz und Potenz des bürgerlichen Mannes, der, weil beruflich erfolgreich, seine dekorative zweite Hälfte quasi zum Klavierspielen von den niederen Pflichten des Haushaltes freihalten kann. Zeitgeschichtliche Kommentare machten selbst vor einer Definition von weiblichen und nichtweiblichen Instrumenten nicht halt. Etwa der Feststellung, daß die bei Blasinstrumenten ?anzüglichen Kräuselungen der Lippen? und das ?unschickliche Drehen des Oberkörpers beim Violinespiel? für Frauen unziemlich sind. Undenkbar für das zarte Geschlecht: die Haltung beim Cello…

Derart motiviert begann der dritte musikalische Teil ?. die Ouvertüre zur Oper ?Der Vampir? von Peter von Lindpaintner. Juliane Burger und Viola Grandke parierten der Ironie Billers mit einem fulminanten Finale. Die im 19. Jahrhundert gewünschte aufrechte und sittliche Haltung am Klavier Lügen strafend ließen sie sich von der in Teilen fast schon wagneresk anmutenden Partitur mitreißen, überzeugten aber auch im Andante religioso mit einer klaren Artikulation.

Steigern ließe sich die Vermittlung dieser Art Musik- und Kulturgeschichte vielleicht noch durch Aufgabe des üblichen Frontalvortrags. Säße das Publikum an Tischen plaudernd (natürlich vor und nach den Vorträgen), bekäme die ?CD des 19. Jahrhunderts? plötzlich etwas mehr noch von der authentischen Salonatmosphäre und zugleich eine ungeahnte Aktualität.

Á quatre mains Die CD im 19. Jahrhundert
2. Gesprächskonzert des Vereins für Kunst und Kritik Leipzig e.V.
7. April 2002 Mendelssohn-Haus Leipzig

August Mühling: Grandes Marches op. 33, Nocturne op. 29
Ferdinand Ries: Polonaise op. 93
Peter von Lindpaintner: Ouvertüre zur Oper ?Der Vampir? op. 70

Juliane Burger, Viola Grandke ? Klavier
Bernhard Biller – Moderation

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