Buchempfehlung von Grit Kalies
In dem kleinen Berliner APHAIA VERLAG werden noch Gedichte verlegt. Das hochwertige Papier des schmalen 55-seitigen Bandes bildet nicht nur die Unterlage für Buchstaben, sondern auch für Holzschnitte und Noten. Diese Vielfalt ist ein Markenzeichen des (schon wegen seiner Ferne zum kommerziell orientierten Buchmarkt) unkonventionell arbeitenden Verlages.
Künstler verschiedener Schaffensgebiete werden angeregt zusammenzuarbeiten. Auf der Grundlage eines literarischen Manuskriptes entstehen Bilder und Kompositionen, die dann, vereint zwischen zwei Buchdeckeln, ein quasi synästhetisches Erlebnis vermitteln. So vermischen sich in dem Buch Lautlos. Regenatem das Direktvisuelle der zwei Holzschnitte von Wilfried Bohne und das Indirektvisuelle der Bildgedichte von Rosemarie Zens mit dem Klanglichen der Kompositionen von Friedemann Graef. Eine Idee, die gleichzeitig den Vorteil hat, daß der Leser der Gedichte bereits Rezeptionsangebote durch die musikalischen bzw. bildnerischen Interpretationen erhält (wobei diese als eigenständige Kunstwerke natürlich selbst wieder der Interpretation bedürfen). Bereits bei der Lektüre erfährt er etwas über die Wirkung des Gedichtes auf andere, kann vergleichen und tritt in einen imaginären Erfahrungsaustausch.
„Dumpf in der Ferne/ Lautlos draußen/ Fällt der Abend/ Ein. Wüstenweg/ Weit aus den Ufern/ Tritt noch einmal/ Sekundenschnell/ Der Tagesfilm…“ An die Gedichte von Rosemarie Zens (Jahrgang 1944) sollte man sich langsam heranschleichen. Sanft melancholisch vor allem die Zeit reflektierend („…Splitter wehren/ Sich im Schwindel/ Wissen erst später/ Dass es Glück/ Gewesen war.“), offenbaren sie ihre Schönheit schrittweise und gewinnen beim Mehrfachlesen. Vor allem deshalb, weil sie der Wortgruppe und dem einzelnen Wort vertrauen. An den oft sehr kurzen, auf den ersten Blick spartanischen Gebilden fällt ein Kunstgriff immer wieder ins Auge: ein Wort oder eine Wortgruppe wird zwischen zwei Sätze gestellt, zu denen es oder sie dann gleichzeitig gehört. Das Verfahren der Worteinsparung, das man auch Apokoinu nennt (gr. apo von und koinos gemeinsam), ermöglicht es, wenige Worte zu machen und doch viel, auch Widersprüchliches zu sagen. Darin liegt der besondere Reiz der fein gearbeiteten Lyrik.
Zwei Beispiele dafür. Die Wortgruppe „So deutlich sind“ in Wetterleuchten: „… Lass uns sprechen/ Damit wir uns nicht/ So deutlich sind Abgesang/ Und kein Triumph.“ gehört sowohl zum Satz „Damit wir uns nicht so deutlich sind.“ als auch zu „So deutlich sind Abgesang…“ in Sandstaub: „Schneller als wir denken/ Sinkt der Sandstaub durch uns/ Hindurch eilen die Bilder/ Sind nur Legenden …“ gehört „durch uns hindurch“ zu „Sinkt der Sandstaub durch uns hindurch“ und zu „Durch uns hindurch eilen die Bilder“, wobei „die Bilder“ wiederum auch in den Satz „Die Bilder sind nur Legenden“ passen. Dieses wirkungsvoll eingesetzte und bestimmende Stilelement adelt die kleinsten semantischen Einheiten bis hin zum Einzelwort. Das Wort scheint zu rufen: lies mich so, aber lies mich auch anders.
Lautlos. Regenatem
APHAIA VERLAG, Berlin 2002
Rosemarie Zens: Gedichte
Friedemann Graef: Kompositionen
Wilfried Bohne: Holzschnitte
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