„Pinselchen, steh!“

Michael Fischer-Art: Fassadenmalerei

Es war einmal ein armer aber begabter Maler, der lebte in Leipzig und hatte keine Aufträge. Da ging er hinaus in die Stadt, und da begegnete ihm ein Bauherr. Der wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Pinselchen, zu dem sollte er sagen: „Pinselchen, male“, so malte es gute und vor allem große Bilder, und wenn er sagte: „Pinselchen, steh“, so hörte es wieder auf zu malen.

Der junge Maler brachte den Pinsel seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und verkauften große Bilder, sooft sie wollten.

Auf eine Zeit war der junge Maler ausgegangen, da sprach die Mutter: „Pinselchen, male“, da malte es und malte, und der großen Bilder wurden immer mehr. Und nun wollte die Mutter, dass das Pinselchen wieder aufhören soll, aber sie wusste das Wort nicht mehr. Also pinselt es fort, und die Bilder steigen über die Fassade hinaus, und es pinselt immerzu, die nächste Fassade und die nächste Straße voll, die ganze Stadt als wollt’s die ganze Welt bepinseln, und ist’s die größte Not. Und kein Mensch weiß sich da zu helfen.

Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, kommt der junge Maler heim und spricht nur: „Pinselchen, steh“, da stand es und hörte auf zu malen, und wer wieder in die Stadt wollte, der musste sich die ganzen Bilder ansehen.

Michael Fischer-Art: Fassadenmalerei

11. April 2002, Karl-Liebknecht-Straße/Ecke Shakespeare-Straße


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