Rainer Koschorz ist Buddy Holly in „Die Buddy Holly Story” (Marcus Erb-Szymanski)

18.04.2002, Theater Plauen-Zwickau
Zwickau, Gewandhaus

Rock’n’Roll Musical von Alan Jones (Premiere):

Rainer Koschorz ist Buddy Holly in
DIE BUDDY HOLLY STORY

Inszenierung: Georg Mittendrein
Musikalische Leitung: Andreas Breitner
Ausstattung: Helmut Pock

mit:
Martin König als Jerry Allison (Drummer der Crickets)
Betram Zimmermann als Joe Mauldin (Bassist der Crickets)
Matthias Wilhelm als Niki Sullivan (Gitarrist der Crickets)
Hans-Joachim Burchardt als Hipockets Duncan
Beate Furcht als Maria Elena und schwarze Sängerin im Apollo-Theater
Wolfgang Schulze als Norman Petty
Jenny Rehs als Vi Petty
Stefan Wolfram als The Big Bopper
Daniel Soran als Ritchie Valens
Stephan Menzel-Gehrke als Freddy, Conferencier

Mitglieder des Philharmonischen Orchesters als Big Band

(Bilder: Buddy Holly/Rainer Koschorz)


Wenn Weiße Schwarzen was weismachen

Eigentlich ist das Stück längst zu Ende, doch die Zuschauer weigern sich, nach Hause zu gehen. Gott sei Dank hat der Conferencier kurz zuvor darum gebeten, im Rang nicht mit den Füßen zu trampeln, damit die höhere Etage nicht dem Erdboden gleichgemacht wird. Aber unten rumst es wie bei einem Erdbeben. Eine Frauenbrigade stürmt die Bühne, Blumen in der Hand, der Star wird erst nach zwei Küsschen für jede Dame wieder losgelassen. Auch die älteren Semester unter den (bevorzugt weiblichen) Zuschauern klatschen, was das Zeug hält, erst mit der rechten Hand von oben nach unten auf die linke, dann, wenn sie anfängt zu schmerzen, umgekehrt, mit der linken auf die rechte. So lässt sich das eine Weile durchhalten, was nötig ist, um dem Star noch ein paar Zugaben abzutrotzen.

Der Rock’n’Roll ist wieder da, wirbelt durch den Saal, lässt Ohren klirren, Augen leuchten, Füße federn, Hände klatschen ? beim Publikum nicht minder als bei den Akteuren. Im Zwickauer Gewandhaus feiert die Buddy Holly Story Premiere. Sie macht die wilden Jahre der Senioren wieder lebendig und die Junioren neidisch, diese Zeit nicht miterlebt zu haben.

Eigentlich sollte man meinen, dass in einem Musical die Musik im Mittelpunkt stehe, dass die Geschichte eines der erfolgreichsten Rock’n’Roll Stars von Amerika vor allem eine Geschichte seiner Kunst sei. Aber die Inszenierung schleppt sich zunächst so lahm durch die eher langweilige Biografie, wie die müde Country Music, die Buddy durch seinen Rock’n’Roll vertreibt. Da finden trübe Dialoge im Radiosender statt, werden endlose Probenarbeiten im Tonstudio gezeigt, bei denen ein gütiger Produzenten-Opi mit den jungen Wilden brav fachsimpelt, während Mutti Kaffee kocht. Dazwischen brodeln einige Musikeinspielungen auf, die aufgrund ihrer Kürze Neugier wecken, aber nicht befriedigen.

Dann aber passiert es. Folgende Situation beschreibt das Stück: Die weißen Hitjäger (dazu sind Buddy und die Crickets mittlerweile geworden) haben einen Auftritt im Apollo Theater von Harlem, wohin sich kein Weißer wagen darf, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Allerdings klingen die Demobänder der Crickets wie ?Negermusik? (in der Zeit ihrer Erfolglosigkeit wurden sie zynischerweise aufgefordert, nach einem ?schwarzen Plattenproduzenten? zu suchen, dem sie ?was weismachen könnten?). So befinden sie sich plötzlich auf der Bühne vor 500 Schwarzen, die nur auf einen Fehler warten, um die Jungs oben fertig zu machen. Folglich spielen sie buchstäblich um ihr Leben.

Diese Situation fängt die Inszenierung so ein, dass die Bühne zur Bühne des Apollo Theaters wird und die Zuschauer selbst nun in die Rolle der wütenden Schwarzen schlüpfen, mit anderen Worten: sie sind mittendrin. Eine ?schwarze Sängerin? (Beate Furcht) stimmt in einer wunderschönen Gesangsnummer auf das Folgende ein, dann stehen sie plötzlich da: Buddy Holly und die Crickets. Und ihre Musik kommt an. Die schwarzen Zuschauer (in dem Fall das Publikum) jubeln zunehmend, und der Szenenapplaus ist nicht gespielt, der ist echt. So überträgt sich die Spannung der Musiker auf das Publikum und die Begeisterung des Publikums auf die Musiker. Der Applaus geht in die Gelenke wie flammendes Öl, die Bewegungen werden geschmeidig, Buddy Koschorz macht singend und rockend Akrobatik auf dem Kontrabass, und die Musik zündet im Saal wie eine Bombe. Nun gibts kein Halten mehr, Publikum und Musiker turnen sich wechselseitig an, und alle Zuschauer beginnen die Musik so zu lieben, wie die Akteure auf der Bühne es tun.

Die Live-Auftritte vor allem von Rainer Koschorz und Band alias Buddy Holly and The Crickets retten die Inszenierung. Die gelingt überall dort, wo Konzertatmosphäre entsteht, wo Handlung minimiert wird, statt überflüssige Szenen breit auszuwalzen. Das gilt auch für die Schauspieler. Der Leipziger Rainer Koschorz, der agile Brennpunkt allen Geschehens, taut immer dann richtig auf, wenn er Musik machen darf. Er hat sich der Rolle auch mit Haut und Haaren verschrieben oder besser: versungen. Er sieht aus wie Buddy Holly und singt mittlerweile wie Buddy Holly. Vor acht Jahren spielte er diesen schon in Altenburg, damals war Mittendrein dort Intendant und ebenfalls der Regisseur.

Aber auch die anderen Musiker und singenden Schauspieler, wie Stefan Wolfram als The Big Bopper, Daniel Soran als Ritchie Valens oder auch Stephan Menzel-Gehrke als singender Conferencier leisten Erstaunliches. Zusammen mit der Big Band wirkt die Live-Musik oft authentischer als die Originale vom Band. Die Stimmung, Begeisterung und Revolution, die im Rock’n’Roll liegt, wird aufgrund der herrlichen musikalischen Leistungen neu und hautnah erlebbar. So wird Zwickau wohl für die nächsten Jahre (so lange wie die Rechte an dem Stück gesichert sind) zum Mekka der Rock’n’Roll Gemeinde werden. Das Premierenpublikum war jedenfalls schon völlig aus dem Häuschen, und nach dem Ende des Stückes ging es eigentlich erst richtig los: Zugabe um Zugabe und der Begeisterung kein Ende…

(Marcus Erb-Szymanski)

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