Es lebe die Arbeit! Eine Maifeier in der Schaubühne Lindenfels (Roland Leithäuser)

Dienstag 30. April 2002
Es lebe die Arbeit! Eine Maifeier in der Schaubühne Lindenfels


Epiphanien der Faulheit

In festlichem Glanz erstrahlt an diesem Abend der große Saal der Schaubühne Lindenfels. Eine weißgedeckte, überdimensionale Tafel, aus deren Mitte buntgeschmückt ein Maibaum ragt. Um die Tafel herum sitzen bereits zahlreich Besucher und Gäste jeden Alters, in Abendgarderobe, um einen Tanz in den Mai der besonderen Art zu erleben. Schnell hinein, um noch einen Sitzplatz am Rande der Tafel zu erobern.

In deren Mitte stehen schon Wolfgang Krause Zwieback und René Reinhardt, die als Conferenciers durch den Abend führen werden, und spülen eifrig Berge von Suppentellern. Nach Vollendung ihrer Arbeit können die Spiele beginnen: Dem Ruf nach Musik folgt der Einmarsch der Leipzig BigBand, ein schmissiges ?When The Saints Go Marchin‘ In? wird intoniert. Wird man hier heute Abend die Arbeit zu Grabe tragen? Das Motto des diesjährigen Maifestes, des ersten einer vierteiligen Festreihe zu gesellschaftlich relevanten Themen, deutet dies zumindest an: ?Suppe, Ideologiekritik und Tanz? lautet es dort, ?Theater? hätte man wohl noch ergänzen wollen.

Die beiden Conferenciers begrüßen Publikum und Band, eine Schneiderin wird vorgestellt, die im Laufe des Abends für Krause Zwieback einen ?Müßiggängermantel? anfertigen wird; ihre Lohnarbeit als ?work in progress?, das man im hinteren Teil des Saals bewundern kann. Nach und nach gelingt es den Entertainern, unterbrochen von der grandios aufspielenden Band, einen intimeren Kontakt zum Publikum herzustellen. Bevor aber aufgetischt werden darf, muß noch etwas Kritik an der Arbeit serviert werden. Dazu lesen Reinhardt und Krause Zwieback im Rededuell aus neuen und alten Manifesten für und wider die Arbeit, aus sozialdemokratischen Programmen und Bismarck-Reden. Eine kleine, auf Bildtafeln gezeigte Ausstellung untermalt ihre Worte: Arbeit wird in Zeiten von Schlagworten wie Outsourcing oder Ertragsoptimierung immer mehr zum Diskussionsthema, und wer sagt überhaupt, daß der Mensch nicht auch ohne Arbeit glücklich und zufrieden sein kann? Davon später mehr.

Die breite Tür zum Saal öffnet sich und Suppe wird serviert. Ein Raunen geht durch die Menge, die Gastgeber selbst reichen Teller, Löffel und Croutons. Mit gefülltem Magen, so werden sich die Organisatoren gedacht haben, ließe sich die nachfolgenden Programmpunkte für den ein oder anderen wohl besser verarbeiten. Als Zwei-Mann-Theater geben Krause Zwieback und sein Counterpart dann Episoden aus dem Leben der geschundenen Werktätigen wieder. Ihre Köpfe ragen aus zwei Aussparungen der festlichen Tafel heraus, Köpfe, die nun vom Leid der Arbeiterschaft erzählen. Das ist erheiternd und gerät zur Farce in einem Akt, den Rezensenten juckt es in der Hand, diese greift zum Kugelschreiber und notiert einige der herrlichen Sentenzen aus diesem kurzen Stück: ?Es gibt nur drei menschenwürdige Wege, sein Geld zu verdienen: Stehlen, in der Lotterie gewinnen ? oder erben!? Vollbeschäftigung, lernen wir, ist in Zeiten eines neuen Turbokapitalismus nicht mehr möglich, Faulheit sollte angemessener entlohnt werden. Wer arbeitet ist ein Schuft! Wer arbeitet, ist ein subtiler Selbstmörder!

Diesen Punkt aufgreifend stellen sich die eigens aus Berlin angereisten Gäste des Abends vor: Guillaume Paoli und Mila Zoufall, Initiatoren der Gruppe der ?Glücklichen Arbeitslosen?, die u.a. das verbriefte Recht auf Faulheit und die Abschaffung der Arbeitsämter fordern. ?Müßiggangster? nennen sie sich, erheben ihr Glas auf das Nichtstun und erzählen Anekdoten aus der Ideengeschichte des intellektuellen Arbeitslosen. Der Beifall für die beiden Redner fällt spärlich aus, dem ein oder anderen mag die Suppe hochgekommen sein, doch die Intention der Organisatoren wurde erreicht: ein provozierender Beitrag nachdenklicher Müßiggänger, für die unser (Sozial-)System allemal mehr Toleranz aufbringen könnte. Hier machen Menschen vor, wie es möglich ist, dem Arbeitslosen-Dilemma zu entkommen: selbstbewußt und glücklich verweigern sie sich den Anforderungen des Arbeitsmarktes.

Im Anschluß wird nun (endlich) getanzt. Die Leipzig BigBand spielt Swing der Vierziger Jahre, von Benny Goodman bis zu alten Klassikern aus Defa-Filmen, die Zuhörerschaft zeigt sich dankbar und inspiriert, beginnt auf dem Parkett das Tanzbein zu schwingen, wobei sich am Tanzstil der Akteure nicht nachvollziehen läßt, ob sie Anhänger oder Gegner der Erwerbsarbeit sind. Der Rezensent schaut fasziniert dem Treiben zu, mit einem Bein langsam dem Takt von ?Mack the Knife? folgend und sich in die Schlange der Durstigen an der Bar einreihend.

Die Organisatoren können zufrieden sein. Ein gelungener Vorabend zum 1. Mai, dem Fest der Arbeit, wurde präsentiert, ein Kollektiv geschaffen von Suppenessern und Foxtrottänzern. Dabei waren gerade die politischen Einlassungen der Conferenciers und ihrer Berliner Gäste eine echte Bereicherung, gleichgültig wie man ihre Thesen zur Zukunft der Arbeit bewerten wollte.

Als er schließlich, müde von Musik und Wein, die Schaubühne verläßt, geht dem Rezensenten ein Lessing-Wort im Kopf herum, daß er den Lesern nicht vorenthalten möchte:

?Laßt uns faul zu vielen Sachen,
nur nicht faul zu liebem Wein,
und nicht faul zur Faulheit sein.?

(Roland Leithäuser)

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