„Von den Flammen der Liebe entfacht“

Ein Nachtkonzert mit dem Capriccio Stravagante zum Bachfest

Eine kleine Nachtmusik zum Bachfest. Welch entzückende Erwartung. Konzertbeginn 22.30, Ort ein Museums-Saal und zu Gast ein Ensemble, das sich auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis einen Namen gemacht hat. Aufgeführt werden französische Komponisten aus dem 17./18. Jahrhundert, deren Namen hierzulande dem Auge eher als dem Ohr geläufig sein dürften. Und dabei stand ein alles andere als historisches Erlebnis bevor!

Die Barockmusik Frankreichs erschließt sich vor allem über den Duktus der Sprache. Ihre Aufgabe ist es, nach Ansicht der damaligen Zeit, den emotionalen Gehalt, der im gesprochenen Wort steckt, aufzuschließen und in musikalischer Form wiederzugeben. Kein Sujet wäre da geeigneter und beliebter als die Klagelaute der von Äneas verlassenen Dido.

Die hohe Expressivität dieser Musik erstreckt sich nicht nur auf den Gesang, sondern setzt sich in den Melodiestimmen der rein instrumentalen Passagen fort. Teils mit der Leichtfüßigkeit schneller Zungen, teils mit der Erregtheit einer stotternd rhythmischen Artikulation. Wenn die Flöten z.B. den aufgebrachten Gesang kommentieren, dann sprechen sie Dinge aus, die im Text so nicht zu finden sind. Und wenn Dido in Worten spricht, deren Poesie eine sublimierende Wirkung haben könnte, so tut sich ihr kochendes Blut dennoch in den schäumenden Punktierungen der Musik und des Silbenmaßes kund.Dieux que j’étois crédule! O Dieux qu’il est perfide!
L’inconstant plus léger que le vent qui le guide
Me quitte sans regrette, me trahit sans remords.(Götter, wie war ich leichtgläubig! Götter, wie ist er hinterlistig!
Der Unbeständige, gar verwüstender als der ihn leitende Wind,
Verlässt mich ohne Bedauern, lässt mich ohne Gewissensbisse im Stich.)

Es ist nicht die historische Aufführungspraxis, die das Capriccio Stravagante so hinreißend musizieren lässt. Es ist die unbändige Leidenschaft, die Glut, die die Interpreten in die Musik hineinlegen. Dadurch wird es geradezu gleichgültig, in welcher Zeit die Kompositionen entstanden sind, die Musik bekommt zeitlose Aktualität in ihrer überwältigenden emotionalen Wirkung auf den Zuhörer. Und in den dunklen Klangfarben der alten Instrumente, in den magischen Schattierungen ihres Zusammenspiels scheinen unbewusste Seelengeheimnisse zu liegen, wie sonst wollte man sich ihre suggestive Anziehungskraft erklären.

Und dennoch: eine kleine historische Distanz entsteht immer dann, wenn Triller und Arpeggien die expressiven Gesten beschwichtigen, wenn sich die Konventionen des 18. Jahrhunderts, die sich in Verzierungen und Schlusswendungen zeigen, wie eine dicke Glasscheibe zwischen Musik und Ohr schieben, hinter der die brodelnde Lava eine wohlige Wärme bekommt. Aber angesichts der schönen Sängerin mit der betörenden Stimme und der unbändigen Kraft ihres Gesangs möchte man sich in einem törichten Augenblick hineinstürzen in das Geschehen, möchte die Zeitenuhr zurückdrehen, um dort „auf dem Scheiterhaufen, der von den Flammen der Liebe entfacht“ zu verglühn.

Bachfest

Nachtkonzert mit dem Capriccio Stravagante

Leitung: Skip Sempé, Cembalo
Solistin: Guillemette Laurens, Mezzosopran

Violine: Florian Deuter, Yannis Roger
Flöte: Serge Saitta, Julien Martin
Viola da gamba: Jay Bernfeld

Jean-Marie Leclaire (1697-1764): Deuxiéme recréation de musique d’une execution facile
Michel Pignolet de Montéclaire (1667-1737): Kantate „La Mort de Didon“

05.05.2002, Altes Rathaus, Festsaal


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