Ausstellung: Spacing the Line. Performativität und Übergangszonen (Jenny Lagaude)

Spacing the Line. Performativität und Übergangszonen
(23. April – 19. Mai)
Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

Untere Galerie:
Martha Rosler
„In the Place of the Public: Airport Series“, 1990

Christian Philipp Müller
„La Tour 1%“, 2001

Obere Galerie:
Fiona Tan
„May you live in interesting times“, 1997
(7. Mai – 11. Mai )


Grenz-Visitationen

Die Linie, an der unterschiedliche Kulturen, Institutionen oder Medien aufeinander treffen, läßt nicht nur Differenzen klar hervortreten, sondern ist auch ein Ort des Austausches und der Durchdringung des jeweils Anderen. Erst wenn jene Grenzlinie als Raum gedacht wird, können die an ihr geführten Verhandlungsprozesse untersucht und fruchtbar gemacht werden. Den Versuch einer Auslotung jener Räume und der in ihnen möglichen Neugestaltung unternimmt die derzeitige Ausstellung „Spacing the Line. Performativität und Übergangszonen“ in der Galerie der HGB.

In abstraktester Form setzt sich Martha Rosler in ihrer Fotoserie „In the Place of Public: Airport Series“ (1990) mit der Besichtigung von Übergangszonen auseinander. Scheinbare Schnappschüsse von internationalen Flughäfen reihen sich auf ästhetisches Format gebracht an den Wänden des Galerie-Saales. In die Höhe aufsteigend prangen in schwarzen Lettern Satzfetzen und Begrifflichkeiten – stille Evokationen der Fotografien an den Betrachter. Die Bilder verlassener Wartehallen und Uniformierter an Kontrollpunkten zeigen Banales und sprechen doch vom Besonderen. Denn dort, wo sich frischgebohnerte Flughafengänge im Unendlichen verlieren, Fahndungsplakate an Grenzgänger appellieren und Förderbänder in Endlosschleifen rotieren, erreicht die Grenze ihren breitesten Raum und wird zur eigenen Institution, in der die Passanten das Außerterritoriale durchlaufen können.

Dem Ausstellungsbesucher bleibt die Generalisierung und die innere Suche nach vergleichbaren Räumen, „Nicht-Orten“, wie sie der französische Ethnologe Marc Augé nennt: Zonen, in denen ein Territorium bereits verlassen scheint, doch das neue noch nicht erreicht ist.

Ganz anders erscheinen da die Projektaufzeichnungen zu Christian Philipp Müllers „La Tour 1%“ (2001), die in einfach gehaltenen Fotos, Zeichnungen und Modellen die Arbeit an einem künstlerischen Raum für die gemeinsame Produktionsstätte der Hochschulen in Grenoble, Lyon und St. Etienne, den Grands Ateliers in L’Isle d’Abeau, dokumentieren. Der Schweizer Künstler erarbeitete gemeinsam mit Studenten der Freien Kunst, Architektur und des Bauingenieurwesens der drei Hochschulen eine vertikale Struktur, die sowohl die drei Schaffensbereiche als auch jene drei Orte vereinigen soll. Als Orientierung dienten die Wassertürme von Bernd und Hilla Becher, Pflanzenmotive Karl Blossfeldts als auch räumliche Rückzugsbereiche verschiedener Künstler. Das Ergebnis des Projektes, ein Turm, dessen hölzerne Streben sich gen Himmel in immer weiteren Abständen verlieren, ist ein durchscheinendes Fanal der geistigen Vereinigung verschiedener künstlerisch-wissenschaftlicher Wirkungsbereiche: fragil, nach allen Seiten offen und ? unbegehbar. Elfenbeinturm und Glashaus zugleich soll das Konstrukt aus Holz gemeinsam geschaffene Kunstobjekte tragen und damit der produktiven Symbiose von Kunst, Architektur und Ingenieurwesen in den weltentlegenen Grands Ateliers ein Wahrzeichen geben.

Auch wenn die Darstellungsformen von Martha Roslers Fotoserie, welche in eher kritischem Ton Globalisierung und Institutionsbegriff thematisiert, und Müllers „La Tour 1%“ Projekt in seiner optimistischen Perspektive, unterschiedlicher nicht sein könnten, liegt beiden die Idee eines „dritten Raumes“ zugrunde, der Festgefügtes und neu zu Eroberndes in einem eigenen Bereich vereinigt. Das Spannungsgeladene einer Konfrontationslinie wird sichtbar gemacht und auf seine Fertilität hin geprüft – im „La Tour 1%“- Projekt manifestiert sich sogar das kreative Potential des Grenzraumes selbst.

Auf persönlicherem Niveau gehalten ist das Video „May you live in interesting times“ (1997) von Fiona Tan, die ihrer eigenen kulturellen Identität in Interviews mit Verwandten in China, Australien, den Niederlanden und Indonesien nachzuspüren sucht. Als Dokumentation gewandet und das Intime verbalisierend zeigt der Film in fragmentarischen Erzählungen der Familienangehörigen das Bruchstückhafte und schwer Faßbare der Herkunft der Künstlerin. Fiona Tan deutet so mit einfachsten Mitteln die Zone des Überganges als Ort im Inneren des Menschen, der sich auf der Suche nach der eigenen Identität immer wieder neu gestaltet, indem er aus seiner Wurzel schöpft und doch den fremden Einfluß sucht – wissend, daß das Eigene erst von Außen betrachtet werden muß, um erkannt zu werden.

Der Film illustriert damit auf anschaulichste Weise, daß die wahren Grenzräume in den Köpfen der Menschen verhandelt werden.

(Jenny Lagaude)

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