Tannhäuser – Premiere in Weimar (Oliver Huck)

18.05.2002, Nationaltheater Weimar
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg
Romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner

Regie: Heinz Lukas-Kindermann
Musikalische Leitung: George Alexander Albrecht


Festoper ohne Mäzen

Die Wahl des Tannhäuser als Festoper zum – offiziell 400jährigen – Bestehen der Staatskapelle Weimar ist aufgrund des Stoffes und der Bedeutung Weimars für die Rezeptionsgeschichte dieser Oper ebenso naheliegend wie unoriginell. Im Gegensatz zu der Aufführung des Tannhäuser zum Geburtstag der Großfürstin am 16. Februar 1849 unter der Leitung von Franz Liszt in Weimar, für die man mit Joseph Tichateschek einen Tenor der Dresdner Hofoper als Gast engagieren konnte, dem Wagner bei aller Kritik an seinem Spiel doch „Energie der Stimme“ und einen „scharfen Sprachton“ nachrühmte, fehlt dem Weimarer Nationaltheater heute ein Mäzen vom Schlage des Landgrafen Hermann oder der Großherzogin Maria Paulowna, der eine adäquate Besetzung der Titelrolle finanziell ermöglicht hätte.

Die Trivialisierung der Kunst zu einem gesellschaftlichen Event und ihre inhaltsleere Klassifikation als das Gute, Wahre und Schöne, die Heinz Lukas-Kindermann im zweiten Aufzug vorführt, geben dem Tannhäuser angesichts der großen Vergangenheit und der ungewissen Zukunft des Deutschen Nationaltheaters eine beklemmende Aktualität. Tannhäuser ist auf der Suche nach einem Ort der Kunst, den er weder im Etablissement der Venus, noch in der Wartburger Sängerhalle zu erblicken vermag. Weder die Rolle als Pianist in einem Szeneclub, noch jene als Favorit im Grand-Prix der Minnegesangsmusik um die goldene Harfe entsprechen seinem Bild des Künstlers. Dieses ist im ersten Bild überdimensional sichtbar und transparent; die gesamte Venusberg-Szene spielt sich gleichsam in seinem Kopf ab und diese Vision ist es, die ihn an seine gesellschaftliche Normen sprengende Sendung als Verkünder dessen, was sein Publikum nicht hören will, glauben läßt.

Am Ende ist die Bühne als Triptychon geteilt, rechts eine Statue, links ein zum Baum des Todes abgedorrter Baum der Erkenntnis als Symbole für Maria und Venus, die Tannhäuser bereits im Venusberg als die Pole seiner Existenz benennt. Die mittlere Tafel bleibt leer; keinem der Sänger war es vergönnt, „der Liebe Wesen“ zu ergründen, obwohl es in Elisabeth Fleisch und Blut geworden ist. In ihrem roten (!) Kleid – erst zum Sängerkrieg legt sie eine weiße Stola um und fügt sich so in die ihr zugedachte Rolle eines anbetungswürdigen Engels (Wolfram) und einer heiligen Erlöserin (Tannhäuser) – steht sie außerhalb der mit der Patina des Fin de si?cle überzogenen Gesellschaft. Im Gegensatz zu dieser vermag Tannhäusers Lied in ihr nie empfundene Gefühle und ungenannte Wonnen hervorzurufen.

Konsequent wäre diese Interpretation dann gewesen, wenn Elisabeth dort, wo sie aus der Konvention der Hofgesellschaft ausbricht und Tannhäuser in Schutz nimmt, den ihr aufgezwungenen Tugendmantel hätte wieder ablegen dürfen und wenn Venus nicht im dritten Aufzug aus Tannhäusers Imagination entsprungen und eine auch für Wolfram sichtbare Realität geworden wäre. Gespielt wird in Weimar jedoch die revidierte Dresdner Fassung von 1847 (und keineswegs „die“ Dresdner Fassung). Wenn man schon nicht den seit 1995 vorliegenden Text der Wagner-Gesamtausgabe heranzieht, sondern ein Material aus dem Fundus, dann hätte es sich gelohnt, ein wenig tiefer zu graben. Zumindest hätte man einen Blick in die vorzüglich kommentierte Ausgabe der Schriften des musikalischen genius loci des „silbernen Zeitalters“ werfen sollen, um sich davon zu überzeugen, daß der Tannhäuser in Weimar 1849 ohne den Auftritt der Venus im letzten Akt ausgekommen war und es wäre in jeder Hinsicht plausibel gewesen, die auch in Weimar gespielte Erstfassung von 1845 zugrunde zu legen. Die revidierte Dresdner Fassung kann hingegen als Durchgangsstadium in Wagners lebenslanger Arbeit am Tannhäuser weder historische noch ästhetische Gültigkeit beanspruchen.

Den Preis im real existierenden Sängerwettstreit trugen Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide davon; gegen die wohltuend kultivierte Deklamation von Mario Hoff und die geschmeidige Kantabilität von Johan Weigel blieb Hendrik Vonk als Tannhäuser sowohl eine Verständlichkeit des Textes als auch die musikalische Leuchtkraft der Stimme schuldig. Um es mit den Worten eines zeitgenössischen Rezensenten zu sagen: Er „tat sein Möglichstes in dieser Rolle, welche eigens dazu geschrieben scheint, die Tenoristen systematisch zugrunde zu richten, konnte uns aber nicht ansprechen“. Von den übrigen Kandidaten ließe sich noch weniger Rühmliches berichten. Hervorragend präsentierten sich hingegen Catherine Foster als Elisabeth, Irmgard Vilsmaier als Venus und Heike Porstein als Hirt durch ihren akzentuierten Textvortrag, ihren farbig nuancierten Gesang und ihre präsente Darstellung.

Nicht zuletzt aber machte sich die glänzend disponierte Staatskapelle Weimar selbst ein Geschenk. Bleibt zu hoffen, daß man zum nächsten Jubiläum nicht gezwungen ist, eine Aufführung von Johann Nepomuk Hummels ?Dies Haus ist zu verkaufen? in Erwägung zu ziehen.

(Oliver Huck)

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