Fassbinder-Retrospektive 2 „Effi Briest” (Enrico Ille)

19.05.2002
R.W.Fassbinder-Retrospektive
Schaubühne im Lindenfels
19. Mai 2002„Effi Briest“ – ein Film von Rainer Werner FassbinderRainer Werner Fassbinder: Fontane Effi Briest oder Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und dennoch das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bändigen (1974)Enrico Ille: Der Text als Spiegel oder Von Einem, der eine Ahnung hat und in seinem Kopf versucht, sie durch seine Worte zu festigen und somit etwas zu bändigen (2002)

Auf die Vorderseite des schon vor Zeiten der Plagwitzer Renovierungswelle von der Schaubühne Lindenfels genutzten Hauses zu Leipzig fiel der fahle Schein der abendstillen Straße, während auf der Dachseite eine große, mit gleichmäßig eingeritzter, sechzehnteiliger Glasplatte versehene, alte Uhr einen schmalen Schatten erst auf die symmetrisch nebenstehenden und lichtdurchwirkten, gemustert eingeschnittenen Kugeln auf durchsichtigen Würfeln und dann auf die wie Flügel die schmale Terrasse abdeckende, gelbliche, mit weißen Buchstaben beschrifteten Markisen warf. Nach einigen Schritten, der breiten Treppe zur Terrasse folgend, folgten breite, ebenfalls flügelähnliche, in einfach geschwungene Rahmen gefasste Holztüren, die den Weg auf einen, die bisherige Stille und den bisherigen Stil durchbrechenden Innenraum mit verschiedenen Tischen, Stühlen, Treppen, Türen und Menschen freigaben. Eine schlichte Treppe führt hinauf zum grünen Salon. Eine Frau gibt die Eintrittskarte. Drinnen plötzlich Dunkelheit, auf der Leinwand Effi auf der Schaukel. Kargheit, historische Aktualität, Distanz, Fassbinder.

„Nun, es kam, wie’s kommen mußte, wie’s immer kommt.“ sagte Effi, „Er war ja noch viel zu jung, …“ und erzählte ihren jungen Freundinnen weiter die Geschichte des Landrats Baron von Instetten, ihres Zukünftigen. Sie schaukelte leicht hin und her.

Schwarz ist der grüne Kinosessel in der Dunkelheit, weiß jede Überblendung in ein neues fotografisches Bild. Jedesmal ein neues Aufgehen in das farbliche Alles, das ein Nichts ist. In diesem Gegensatz die ewige Distanz der theatralischen Sprache, direkt von Fontane genommen und indirekt in unzähligen Spiegeln gezeigt, in denen die Personen erscheinen, verschwinden, verdoppelt werden.

Spiegel sind die visuelle Entsprechung für konventionalisierte Sprechweise, Spiegel des verborgenen Ichs vor sich selbst und vor den anderen. „Die Jungen, und das ist eben das Gute, stehen immer bloß vorm Spiegel und zupfen und stecken sich was vor und sehen nicht viel und hören nicht viel …“ sagte des Amtsdieners Frau und ging weiter mit Johanna, des Landrats Dienerin, plaudernd über die gnäd’ge Frau.

„Es ist am Ende das beste, du bleibst, wie du bist. Ja, bleibe so. Du siehst gerade sehr gut aus.“ sagte Effis Mutter. Nur die Natur ist ohne Spiegel, hier offenbart sich das leidenschaftlich Intime, hier ist Instetten hilflos und Major von Crampas der erfolgreiche Verführer. Die Natur ist die Gefahr der Wärme in einer kalten Gesellschaft. Kalt wie die Wände auf der Leinwand in Instettens Haus. „Freilich, ein Mann in seiner Stellung muß kalt sein. Woran scheitert man denn im Leben überhaupt? Immer nur an der Wärme.“

Sie erkennen ihre Bedürfnisse und spielen doch angesichts des gemeinten öffentlichen ewigen moralischen Gesetzes die Komödie des bedürfnislos glattpolierten ewigfreundlichen Idyllischen. Für die Karriere. Für die Ehre. „Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm.“ sagte Instetten. Bitter klang ihm das „Effi komm!“ der Gespielinnen Effis im Ohr. Eine nahe Einstellung in seine verstehenden Augen. Er hatte einen Vogel gefangen und würde ihm Angst einjagen müssen, um ihn an sich zu fesseln. Nächstes Bild.

Effis Gesicht. Eine Fotografie. Ein Erzähler liest ein Stück Fontane. Nächstes Bild. Einzelne Sätze. Ohne Gefühl. Ohne Ausdruck. Nächstes Bild. Eine weiße Tafel mit schwarzer Schrift. „Eine Art Angstapparat aus Kalkül.“ Die überlangen Vorhänge im Saal oben, wenn der Wind durchzieht, klingt es, wie als ob Geister tanzen. Hier im Saal sind sie auch überlang, aber zu schwer und kein Wind. Nächstes Bild. Eine Einstellung. Nächstes Bild. Ein wenig Bewegung.

Nur wenig Emotion lässt er den Schauspielern. Sie sind kalt, nur die Hilflosigkeit und Wut lässt sie aufschreien, Verwünschungen, die wieder zurückgenommen werden. Am Ende gibt niemand irgendetwas zu. Nichts darf geändert werden. „Es ist ein weites Feld.“

Manches ist unfreiwillig komisch. Neben der seelensteinernen Johanna hängt ein Metzgerbeil. Freund Gieshübler „findet ziemlich schnell“ seinen Hut, den er in der Hand hält. Daneben purer Spott und herzlicher Wortwitz: Fontane in Reinform, ausgewählt seine ausgesuchten Weisheiten („…je mehr man mich auszeichnet, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts ist.“), in realistischer Historität durch ihre aktuelle Stimmigkeit treffend, schwarzweiß wie die Schauspielerfotos im Gang. Und doch Momente der Verwirrung, regierte Fehlerchen, Schnitte weggeschnitten, abgerissen wie die alte Bordüre an der Kinowand.

Und am Ende: Nicht die sonstige Ernüchterung des eindringenden Äußeren, sondern ernüchtert durch das im Inneren Gesehene. Wer den Roman nicht kannte, rang um Verständnis der hingeworfenen Szenehäubchen, wer ihn verinnerlicht hatte, verstand ihn neu. Die Versinnlichung des Buches nicht als Ersatz, sondern nur sinnvoll durch dieses. Ob er es nicht mehr in Zucht hätte nehmen müssen? Oder ist doch nicht soviel daran, wie man glaubt? … Diese beständigen Zweideutigkeiten – aber: Briest sagte ruhig: „Ach, Luise, laß… das ist ein zu weites Feld.“?(Enrico Ille)

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