Ein Haufen Authentizität

Kathrin Röggla ist diesmal bei der L³ Lesereihe und hat Prosa im Gepäck

Keine zwei Tage nach dem Turmfall zu New York schickte Kathrin Röggla ihren ersten Bericht aus Manhattan an die taz. Sie war seit einigen Tagen und für drei Monate als Stipendiatin des Deutschen Literaturfonds in der Stadt, wohnte nur einen Kilometer vom Katastrophenort entfernt. Weitere Texte und Fotos folgten, auch im Tagesspiegel und im Wiener falter. Im Dezember 2001 fanden sie sich in dem Prosaband really ground zero. 11. september und folgendes (Fischer-Verlag) wieder.

Wie reagiert ein Schriftsteller, kann er reagieren, muß er reagieren, fühlt er sich berufen, gewinnt, verliert er, sieht er den Stoff als seine Chance, fiebert sein Stift wie der „des rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch? „Künstlerpech oder Glück im Unglück?“ spielt die Moderatorin der Lesung auf die Ambivalenz einer solchen Ereignishaftigkeit an. Röggla schreibt: „zunächst stand ich vor der frage, was ich damit mache, mit diesem haufen an authentizität, mit diesem scheinbaren aufgehen in einem ereignis, in diesem zu großen bild, in das man plötzlich wie eingezogen ist oder eingezogen wurde.“

Vor etwa dreißig Zuhörern liest die schlanke Autorin, Anfang dreißig, mit heller Stimme aus dem Buch, dann aus einem für den bayerischen Rundfunk produzierten Hörspiel zum Thema. Auffällig zunächst die wiederkehrenden Worte „really“, „wirklich“, „true“. Gelungen ein Kapitel, in dem sie die political correctness von Schweigeminuten hinterfragt, etwa von einem „schweigegerangel“ spricht und Bush „immer wieder aus dem schweigen herausgehen“ sieht. Zunehmend aber wirkt der mit Pressezitaten angefüllte Bericht wie ein Nachrichtenzusammenschnitt. Insbesondere im zweiten Teil der Lesung bleibt das Gehörte in spöttelnder Draufsicht gefangen und entfernt sich durch Wertungen und Interpretationen bald von sachlicher Reportage. Intensität, Bilder, eine neue eigene Sicht auf die Ereignisse, vielleicht auch Ratlosigkeit fehlen. Augenzeugenbericht? Report? Tagebuch? Mitschreibsel? Literatur?

Es gibt einige, die nach der vierzigminütigen Lesung intensiv klatschen. In der anschließenden Diskussion fragt eine Frau: „Das ist eine Widerspiegelung der Verarbeitung in der Presse, aber wie haben Sie das selbst verarbeitet?“ Für sie habe der Verarbeitungsbegriff ein Pathos, sagt Kathrin Röggla. Letztendlich gehe es ihr gut, sie stehe jetzt hier und sei damit umgegangen. Spannend sei für sie das Gefühl im Bauch, wenn Normalität kippt, „daß man so eine Gefühlsgeschichte in sich trägt.“ – „Pragmatisch sehen Sie es also wie ich, wie jemand, der es nur vom Fernsehen kennt.“ faßt die Frau ihren Eindruck zusammen.

Und vermutlich ist es das: die gelesenen Textpassagen offenbaren wenig Unmittelbares. In ihrer Bildlosigkeit erscheint die Prosa überraschend ereignislos. Es läßt sich von einigen Ausschnitten nicht auf das Buch oder das Hörspiel folgern, aber vielleicht hätte Kathrin Röggla sie irgendwann ablegen sollen, die Maske einer New-York-Authentizität aus Nachrichtenflimmer, Politik und amerikanischen Gesprächsfetzen.

L³ Lesereihe, diesmal mit Kathrin Röggla
really ground zero. 11. september und folgendes
28.05.2002 Schaubühne Lindenfels


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.