„Die Teufel von Loudun”, Oper in drei Akten und dreißig Szenen von Penderecki (Gerhard Lock)

1. Juni 2002, Semperoper Dresden
?Die Teufel von Loudun?, Oper in drei Akten und dreißig Szenen
Musik und Libretto: Krzysztof Penderecki (*1933)

Hauptpersonen:
Pater Grandier: Hans-Joachim Ketelsen
Priorin Jeanne: Evelyn Herlitzius
Regie: Harry Kupfer
Bühnenbild: Hans Schavernoch
Choreinstudierung: Matthias Brauer

Staatskapelle Dresden
Dirigent: Vladimir Jurowski

(Foto: Semperoper)

Machen etwa die Teufel Politik?

Im Rahmen der 25. Dresdner Musikfestspiele darf eine Oper nicht fehlen, zumal die eines Zeitgenossen. Es zeugt von Mut, den Opernerstling des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki aus dem Jahre 1969, ?Die Teufel von Loudun?, auf die Bühne zu bringen. Mut deshalb, weil in dieser Oper vieles anders ist, als man von einer Oper gewöhnlich erwartet. Nun denn, Belcanto-Gesangspartien im italienischen Stil schlossen sich von Vornherein aus. Wer Penderecki von seinen bahnbrechenden Klangflächenkompositionen Anaklasis, Threnos oder Polymorphia kennt, durfte gespannt sein, wie seine Oper im Klangflächenstil daherkommt.

Und los geht es gleich mit der Priorin Jeanne (Evelyn Herlitzius) aus dem Ursulinenkloster, die mit sich selbst ringt, Gott um Beistand anfleht und verbotene sexuelle Begierden für den als schönen Mann bekannten Pater Grandier (Hans-Joachim Ketelsen) von der Kirche St. Peter hegt. Da sie ihn nicht als geistlichen Berater ihres Kloster gewinnen kann, beginnt sie sich immer mehr in ihre krankhaften Sehnsüchte hineinzusteigern. All die innere Erregung der Nonne wird musikalisch durch exaltierte und sprunghafte Gesangsbewegungen ausgedrückt, die jedweden Anklang an Belcanto auslöschen. Wo es dramatisch wird, geht Jeanne in Sprechgesang oder gar Schreien über.

Es gibt generell zwei inhaltliche Ebenen, einerseits die der Wahnvorstellungen Jeannes und andererseits die der Realität, zu der auch die Stadtintriganten (ein Arzt und ein Apotheker als makaber-witziges Paar) gehören. Interessant auch, dass Penderecki gleich am Anfang in der Vision Jeannes die Schlussszene der gesamten Oper vorwegnimmt, in der Pater Grandier dann vor dem Ursulinenkloster Abbitte dafür leisten soll, dass er die Nonnen verhext habe. Weil Jeanne ihr Verlangen nach Grandier nicht befriedigen kann, beginnt sie, ihn zu verleumden. Das führt zu Teufelsaustreibungen, die an ihr und später auch an ihren Ordensschwestern vorgenommen werden. Dabei erwähnt sie mehrfach Grandiers Namen und erzählt von angeblichen obszönen Handlungen, die Grandier an ihr und ihren Mitschwestern begangen haben soll.

Pater Grandiers Problem ist, dass er tatsächlich Frauengeschichten hat und man meinen könnte, er würde über solche Unzucht stolpern. Aber nein, und das betont die Dresdner Aufführung, es sind politische Verstrickungen, in die der Kirchenmann gerät. Seine lasterhaften Frauengeschichten nutzt die Kirche lediglich geschickt aus, um ihn aus dem Weg zu räumen.

Das von Penderecki selbst geschriebene Libretto basiert auf der von Erich Fried verfassten deutschen Übersetzung des Dramas ?The Devils? des Engländers John Whiting, der sich wiederum an der historischen Studie ?The Devils of Loudun? seines Landsmannes Aldous Huxley orientierte. All diese Vorlagen sind relativ zeitnah zur Oper zwischen 1952 und 1960 entstanden, so dass Penderecki mit seiner Oper am Puls der damaligen Zeit war.

Der Opernstoff ist dem Jahre 1634 entnommen, über das Quellen sehr ausführlich zu berichten wissen. Im Frankreich Ludwig des XIII. passt Kardinal Richelieu genau auf, dass die seit gut dreißig Jahren gewissermaßen anerkannten Protestanten (Hugenotten) nicht zu viel Macht erlangen. Dazu sollen die Stadtmauern von Loudun abgetragen werden, die ein Symbol für Stadt- und Geistesautonomie sind. Pater Grandier ist gegen die Schleifung der Mauern und schafft sich deshalb in Paris Feinde. Dies bewirkt später seine Folterung und anschließende Verbrennung als Ketzer und Gotteslästerer.

Obwohl nun der Stoff ein historischer ist, baut Penderecki ihn als Librettist erstens für seine Zwecke um, und zweitens hebt die Klangflächenmusik ihn vollends aus dem Zeitbezug. Harry Kupfer als Regisseur tut gut daran, weder ein reines Historiendrama noch ein völlig abstraktes Theater auf die Bühne zu bringen. Seine Hauptpersonen sind auffallend schwarz-weiß gekleidet. Die Nonne Jeanne und ihre Ordensschwestern ganz in weiß, Pater Grandier und die Intriganten in schwarz. Farbe bringt nur ein von Grandier geschwängertes junges Mädchen in gelb ins Spiel, außerdem die mit übergroßen Symbolen des Adels und der Macht ausgestatteten königlichen Gesandten aus Paris und der Experte für Teufelsaustreibungen, Pater Barré, mit seinem blutroten Schal.

Wie steht nun die Musik zur bühnentechnischen Realisierung der Oper?
In der Kupferschen Inszenierung kann die Musik deshalb zur Geltung kommen, weil durch die wenigen symbolischen und funktionalen Requisiten das Auge nicht zu sehr auf eine rein historische Sichtweise gelenkt wird. Mal zeichnet die Musik mit ironischer E?Bassgitarre die makabren Dialoge der Intriganten, mal schafft sie durch Glockengeläut plötzlich Realität, oder sie untermalt das mit Worten nicht ausdrückbare Grauen der Teufelsaustreibungen und der Folterungen, zeitweise illustriert sie durch Paukenschläge die Hammerschläge der Folterer. Oft sorgt die Musik für Atmosphäre. Um diese zu schaffen, komponiert Penderecki geschickt teils statische, teils etwas bewegtere Klangflächen in allen Instrumentengruppen. Der hervorragende Chor hat höchst komplizierte Cluster und Flächen zu singen, ist dabei multifunktional (als Nonnen, Karmeliter, Volksmassen und Atmosphärezauberer). Überhaupt entsteht aus den schauspielerischen, gesanglichen und instrumentalen Leistungen des Ensembles ein eindrucksvolles Gesamtbild.

Beeindruckend ist auch Kupfers Bühne mit ihrem von einer riesigen Faust in den Erdboden gerammten, umgekehrten Kreuz. Durch sein überzeugendes Bühnenkonzept können lange Umbaupausen vermieden werden. Vier mal vier Hubbühnen heben und senken sich nach einem perfekten Plan und ermöglichen einen reibungslosen Übergang von Szene zu Szene. Und in der Mitte ragt das schon erwähnte Kreuz heraus, unter dem Jeanne die ganze Oper hindurch verharrt. Um sie herum passieren alle Visionen und realen Situationen, und manchmal geht es sehr, sehr schnell von einer in die nächste der 30 Kurzszenen.

Die beiden Hauptpersonen Jeanne und Grandier stehen sich nur ein einziges Mal gegenüber, nämlich dann, wenn Grandier zum Scheiterhaufen getragen wird. Fest steht, dass Grandier durchaus etwas zu beichten hat, nämlich seinen lasterhaften Umgang mit allerlei Frauen der Stadt. Aber die Nonnen und Jeanne verhext zu haben, trifft für ihn wahrlich nicht zu. Also sieht sich Grandier einer ungerechten Verurteilung gegenüber, die Penderecki mit einem ganz bestimmten Bild in der christlichen Religion, der Kreuzigung Jesu, vergleicht. Dies unterstützend ist viel lateinischer Text zu hören, der, wenn man ihn in der Übersetzung hat, die Parallelen noch deutlicher werden lässt. So ganz will der Vergleich jedoch nicht passen, da Grandier eben nicht völlig frei von Schuld ist. Fakt ist allerdings sein Auflehnen gegen festgefahrene Strukturen in der Gesellschaft, doch er lebt in einer falschen Zeit.

Bleibt nun noch die Frage zu klären, wo die Teufel sind. Die Teufel hört man aus Jeanne heraus mit tiefen Männerstimmen sprechen. Sie sollen durch Exorzismen ausgetrieben werden. Aber sind nicht gerade die Teufelaustreiber und besonders die Folterer Grandiers die Teufel?

Alles in allem macht die Dresdner Aufführung auf überzeugende Weise deutlich, dass in diesem Drama keine Helden, sondern Menschen auf der Bühne stehen. Aber eben nicht nur Menschen mit all ihren Fehlern, niederträchtigem Gebaren und (unerfüllten) Begierden, sondern auch Teufel. Und wenn die Teufel einmal herbeigerufen sind, wird man sie nicht wieder los. Im Gegenteil, man braucht sie, um Machtpolitik zu betreiben. Die zweifellos oft untermalende oder die Geschehnisse rein atmosphärisch begleitende Musik zeigt am besten ihre Wirkung, wenn sich in ihr am Ende die schrecklichen Ereignisse widerspiegeln.

(Gerhard Lock)

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