Hector Berlioz „Faust Verdammnis”, Premiere (Sebastian Ritschel)

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01.06.2002, Opernhaus Leipzig

Hector Berlioz: La Damnation de Faust (Fausts Verdammnis), Premiere

Musikalische LeitungMarco Guidarini
InszenierungDaniel Mesguich
RegieassistentXavier Maurel
BühnenbildCsaba Antal
KostümeDominique Louis
LichtdesignPatrick Méeüs
PyrotechnikAlpha
ChoreinstudierungAnton Tremmel

Gewandhausorchester


Es friert, obwohl es brennt.

Zur letzten Premiere der ersten Spielzeit Henri Maiers lädt die Leipziger Oper zu Berlioz‘ ?La Damnation de Faust?. Der französische Schauspieler und Filmemacher Daniel Mesguich inszeniert hier seinen ersten Berlioz. Zuvor hatte er bereits die Rolle des Komponisten im Film übernommen. Es ist eine europäische Produktion, mit europäischen Künstlern, in der europäischen Stadt Leipzig ? so hieß es in der Pressekonferenz. Die drei Hauptpartien sind mit Gästen besetzt, einzig Ain Anger ist Ensemblemitglied. Außerdem sei es, so Maier, auch für das Gewandhausorchester, das nicht oft Berlioz zu spielen hätte, eine Premiere.

Fausts Verdammnis ? eine ?légende dramatique? für vier Solisten und Chor ? oder sollte es nicht eher heißen für Chor und vier Solisten? Der Choranteil in diesem Werk ist enorm hoch, was u. a. auch dadurch auffällt, dass die beiden Chöre – der Leipziger Opernchor wird durch den Chor der Musikalischen Komödie unterstützt – nicht immer optimal in der Ausführung und Koordination der an sie gestellten Aufgaben disponiert sind. Auch dem Gewandhausorchester merkt man an, dass es selten mit Berlioz konfrontiert wird. Bereits zu Beginn klappert es im Orchestergraben und Marco Guidarini schafft es nur mit Mühe, Chor und Orchester zusammenzuhalten ? oftmals driften beide Ruder auseinander.

Noch bevor der Vorhang sich hebt, begegnet uns Méphistophél?s ? in hellem Aufzug mit rotem Schal, der sich als Faden durch die gesamte Inszenierung ziehen soll. Frei nach dem Motto ?Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar?, zückt er ein Feuerzeug und erhellt damit den Raum. Allerdings ist er nicht allein, sondern hat, wie alle Protagonisten, einige ?Doppelgänger? im Gepäck, die die Bühne im Verlauf der Oper bevölkern. Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf eine vernebelte Bühne und einen unruhig schlafenden Faust. Der denkt beim Erwachen sogleich durch Méphistophél?s‘ Zauberkraft an Vergangenes. Und, um diese Ebene zu festigen, wird zur Sicherheit gleich noch ein kleiner Faust nebst Doppelgänger ins Spiel gebracht.

Dass diese Inszenierung eine große Demonstration der Bühnentechnik wird, verspricht nicht nur die Anmerkung ?Pyrotechnik? im Programmheft, sondern auch der erste Chorauftritt. Der riesige Chor wird aus dem Bühnenboden heraufgefahren und ?darf? in seiner statischen Aufstellung nur die irgendwann lächerlich wirkenden und völlig unmotivierten Auf- und Ab-Bewegungen des Bühnenbodens über sich ergehen lassen. Liegt hierin eine Ursache des bisweilen unsauberen Musizierens?

Eine riesige, drehbühnenfüllende Bücherwand wird als Dekoration aufgefahren, auf deren Rückseite sich Auerbachs Keller befindet, mit vier Etagen und einem bemüht spielenden Chor. Ain Anger dagegen spielt ? und dies im wirklichen Sinne des Worts – seine Rolle in gewohnter Qualität und lässt seine schöne Stimme strömen. Man bedauert später, dass seine Partie nur so klein ist.

Die gesamte Inszenierung arbeitet mit großen Bildern ? das versucht sie jedenfalls. Die Ideen sind gut und auch eine Anlage scheint vorhanden ? nur werden diese Bilder nicht ausgefüllt. Es bleibt bei der äußeren Anordnung der Szene. Da kann noch so viel Nebel in farbigem Licht zwischen riesigen Bäumen schweben ? Atmosphäre entsteht nur, wenn die Darsteller sie erzeugen. Die aber sind äußerst unsicher und bewegen sich, denn von Spiel kann man über weite Strecken nicht sprechen, beklommen auf der Bühne. Insgesamt wirken die meisten Bewegungen nicht organisch, eine grobe Anordnung scheint zwar abgesprochen, aber der entscheidende Schritt wird nicht gegangen: Es gibt nur wenige Momente, in denen ein kurzes Gefühl, eine Emotion aufflammt und alle Beklommenheit dahin ist. Möglicherweise, es ist zu hoffen, stellt sich mehr Sicherheit beim szenischen Spiel in den weiteren Aufführungen ein.

Auch die Musik ist keine wirkliche Unterstützung, denn es wird größtenteils emotionslos gespielt und leider auch emotionslos gesungen. Selbst die gerne verwendeten Portamenti verleihen dem Gesang weder Leidenschaft noch Feuer, sondern wirken auf Dauer eher geschmacklos.

Feuer aber gibt es massig ? so wird die versprochene Pyrotechnik aufgefahren und Illusion mit Feuer erzeugt. Es fliegen Feuerbälle durch die Luft, Méphistophél?s‘ Klone spielen mit Feuer in den Händen, es brennen Bücher und zum Schluss brennt noch die gesamte Bücherwand ? ein riesiger Feuerzauber entsteht inmitten dieser emotionalen Kälte.

Leider entsteht auch keine richtige Wärme, wenn die Doubles von Marguerite, die eine enorme Ähnlichkeit mit Maria Callas als Medea haben, vor dem schwarzen Vorhang entlang eilen, um die Umbaupause zu überbrücken. Selbst wenn die ?echte? Marguerite die Bühne mit großen Operngesten beschreitet, wird es nicht wärmer. Der arme Faust klammert sich mit aller Kraft an den Bettpfosten: Will er das hohe B bekommen (was er nur mit einem hörbaren Sprung ins flache Falsett schafft) oder will er sich vor ihr schützen? Das Duett weitet sich zu einem ?Grand Prix? der Höhe und Lautstärke, in dem alle vorhandene Stimmschönheit verloren geht und ein einziger Kraftakt auf offener Bettkante praktiziert wird.

Das Publikum sitzt still im Sitz, lauscht den Klängen und regt sich, bis auf ein paar Huster an den bevorzugten leisen Stellen, nicht. Ein leises Lächeln geht jedoch durch die Reihen, wenn einer der Méphistophél?s-Statisten eine übermäßig lange Umbaupause in gewohnter Manier mit dem Feuerzeug umspielen soll. Der einzige Gedanke nach der etwas langatmigen Szene ist: hoffentlich hat er sich nicht die Finger verbrannt!

Das von Mesguich verwendete Motiv der Aufsplittung der Charaktere, wenn man den Begriff Charakter überhaupt verwenden möchte, ist in der Anlage sicherlich gut und sinnvoll, denn die Protagonisten bleiben konsequent im Bild. Andererseits wird gerade dadurch der Bogen etwas überspannt, was auf Dauer die gewünschte Wirkung verfehlt. Auch die individuelle Charakterisierung der einzelnen Figuren ist blass und bleibt mehr an der Oberfläche. So ist Petri Lindroos als Méphistophél?s nicht dämonisch und auch nicht zynisch genug ? er kämpft noch zu sehr mit der Partie, als dass er sich um seinen Charakter kümmern könnte. Luca Lombardo als Faust und Enkelejda Shkosa als Marguerite füllen die Hülle ihres Gesangs nicht mit prägnanten Figuren. Unmotiviert wirkt etwa ihr Auftritt zum großen Finale in Anzug und Abendkleid. Stumm müssen sie vor dem bunt verkleideten, wieder statisch auf den Podesten stehenden Chor agieren.

Der Vorhang schließt sich langsam auf ein Zeichen Méphistophél?s‘ und dieser kommt nach zweieinhalb Stunden endlich zu seiner langersehnten Zigarette

(Sebastian Ritschel)

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