Frühling lässt sein blaues Band…

Zum 11. Mal flattert um diese Jahreszeit auch der Sächsische Literaturfrühling durch die Lüfte, diesjähriges Motto „AUTO(R)MOBILE – Bilder in Bewegung“

Zum 11. Mal flattert um diese Jahreszeit auch der Sächsische Literaturfrühling durch die Lüfte. In diesem Jahr hat man sich das Motto „AUTO(R)MOBILE – Bilder in Bewegung“ gegeben. Die Veranstaltung im Haus des Buches vereinte Lyrik in Theorie und Praxis. Die Theorie lieferte der Vortrag von Alexander von Bormann, die Praxis übernahm der Autor Richard Pietraß.

Prof. von Bormann war bis vor kurzem an der Universität in Amsterdam tätig. Sein Vortrag „Bewegung der Bilder. DDR-Literatur 1980-1990“ befasste sich mit deutscher Lyrik der Moderne und stand unter der Frage, was es bedeute, dass moderne Lyrik auf das Wort setze und das Bild entprivilegiert habe. Von Bormann formulierte dazu einige Ideen und Gedanken, die er dann an Beispielen zu verifizieren suchte.

Seine These lautete, dass es zwei gleichrangige anthropologische Modelle gebe, die entweder vom Wort oder vom Bild ausgingen, und dass diese zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich in der Lyrik bewertet und benutzt wurden. Für ihn steht das Genre in einem Spannungsverhältnis zwischen Wort und Bild, zwischen Begriffen und Metaphern, Metonymien, Symbolen, Emblemen oder Allegorien. Von Bormann verdeutlichte, dass der Vorrang des Wortes auch mit Politisierung von Literatur in Verbindung stehe, getreu dem 68er Motto: Dem Machtwort muss die Wortmacht entgegen gestellt werden. Bilder werden verworfen, da sie nicht mehr als Erkenntnismittel haltbar sind, sondern täuschen und verführen. Dem Wort hingegen vertraut man, auch im Gedenken daran, diesem Widerspruch entgegen halten zu können. Lyrik dagegen fordert, für von Bormann, vom Leser den Dialog mit dem Text, fordert, dass man mit statt über Lyrik spreche und dass man den lyrischen Text sich verlautbare, in seiner eigenen Stimme hörbar mache.

Im weiteren Verlauf seines Vortrags trat von Bormann dann selbst mit mehreren Gedichten in Dialog, zitierte und interpretierte unter anderem Stefan Steins Anton Zacksack, Thomas Rosenlöchers An die Klopapierrolle oder Uwe Kolbes Sehnsucht. Das 1983 veröffentlichte Gedicht Anton Zacksack beginnt mit der Zeile „ich stimme dagegen.“ und endet mit „ich gehöre dazu.“. Von Bormann las darin eine Problematisierung der Subjektposition. Um sich an erster Stelle (jeder Zeile) halten zu können, ist das Ich gezwungen, etwas zu tun. Es muss verschweigen, verdrehen oder verschleiern. So entwickelt es sich vom Dagegensein zum Dazugehören. Das Gedicht stellt in einem leicht verwunderten Ton die Frage nach dem Wie der Entwicklung. Von Bormanns Vortrag endete mit einem Plädoyer. Er appellierte, sich mit der Machart von Texten vertraut zu machen, um mit diesen in einen Dialog treten zu können. Und dazu gab er auch gleich eine Literaturempfehlung: Lausbergs Elemente der literarischen Rhetorik.

Den zweiten Teil der Veranstaltung bestritt dann der jetzt in Berlin lebende, sächsische Autor Richard Pietraß. Dessen neuester Lyrikband, Schattenwirtschaft, wird im Juli 2002 beim Leipziger Faber & Faber Verlag veröffentlicht. Pietraß begann seine Lesung mit der Betonung seiner Vorliebe für Bilder. Auf den Vortrag von Bormanns anspielend sagte er, man müsse diese ja nicht „in der ausgefahrenen Wagenspur nachvollziehen“, sondern könne sie auf lustvolle Art und Weise neu erfahren. Dann dankte er jedoch von Bormann, denn dieser hatte mit seiner Stiftung Kulturaustausch Schriftstellern der DDR ermöglicht, noch vor dem Fall der Mauer nach Amsterdam zu reisen. Und so war auch Pietraß in die niederländische Hauptstadt gelangt. Nach dem Prosadank folgte ein lyrisches Dankeschön, das anlässlich des 65. Geburtstags von von Bormann entstanden war. In Salve beschreibt Pietraß von Bormann liebevoll als „Menschensammler“, „Trüffelrüffel“ und „Muskatmatrosen“.

Nach zwei weiteren Gedichten, die von Reisen nach Amsterdam inspiriert waren, las Pietraß seinen Gedichtzyklus Totentanz. Der sieben Gedichte umfassende Zyklus war im Auftrag der Leipziger Bibliophilen Abende entstanden. Ein Projekt, das bereits 1998 begonnen wurde. Der Auftrag, Gedichte zu dem Motto „Totentanz“ zu schreiben, war dabei noch an fünf weitere Autoren, unter ihnen Volker Braun und Kerstin Hensel, ergangen. Im Herbst 2002 wird die Reihe vollständig als Band der Inselbücherei herausgebracht werden.

Pietraß hatte sich für seinen Totentanz-Zyklus von der Natur anregen lassen und seine Zwölfzeiler jeweils einem Tier gewidmet. So hat er Fledermaus, Mistkäfer, Gepard, Gorilla, Blatthuhn, Maulwurf und Blauwal bedichtet. Neben den Gedichten erzählte Pietraß kleine Anekdoten zur Entstehungsgeschichte oder Familienvorlieben. Und so erfuhren die Besucher der Veranstaltung, dass der Maulwurf das Lieblingsgedicht seines 18jährigen Sohnes sei. Pietraß findet in seinen Gedichten anschauliche Beschreibungen für die einzelnen Tiere. Sei es, dass er den Mistkäfer als Sisyphos des Mistbeets bezeichne, oder den Maulwurf als Gruftgraf im Pelz. Doch wie der Titel des Zyklus Totentanz ahnen lässt, geht es nicht gut aus für die Tiere. Der Maulwurf etwa endet „geköpft von einem Spaten“.

Die Verknüpfung von Vortrag und Lesung ist ein engagierter Versuch, die Theorie mit der Praxis zu verbinden, diese sich gegenseitig erhellen zu lassen und auch aneinander zu brechen. Hier ist er gelungen und macht Lust auf mehr.

„Bewegung der Bilder. DDR-Literatur 1980-1990“
Vortrag von Prof. Dr. Alexander von Bormann
„Mit Helikoptern unters verschilfte Dach“
Lesung mit Richard Pietraß
05. Juni 2002, Haus des Buches

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