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Falko Hennig erzählt humorvoll und inhaltlich reif von Deutschland und Autos

Falko Hennig ist Ostdeutscher und Vorsitzender der Charles-Bukowski-Gesellschaft. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Ein junger Mann Anfang Dreißig, der den Leser mit zusammengekniffenen Augen, unrasiert und lässig von der Rückseite des Schutzumschlags ansieht. Es ist ein knallig gelber Schutzumschlag, der auf der Vorderansicht von einem Spielzeugauto aus Blech geziert wird. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um ein DDR-Blechspielzeugauto. Denn um Autos geht es in Hennigs zweitem Roman. Trabanten sind nicht nur die Autos, welche das Nichtautomobilland DDR nach der Wende international zu zweifelhaftem Ansehen verholfen haben, es bezeichnet laut Duden auch wahlweise Satelliten, die die Erde umkreisen, oder einen Bediensteten. Welche Vieldeutigkeit im Romantitel. Denn Trabanten, das sind auch die beiden Protagonisten in Hennigs Roman, sowie ihr unmittelbares Umfeld. Diener des sozialistischen Arbeiterstaates, Bürger eines Planeten inmitten befeindeter Staaten, in der exponierten Lage Westeuropas.

Es darf reminisziert werden! Ein eigentümlicher Aufbau zeichnet Hennigs Roman aus, eine Geschichte zweier Technikbegeisterter, die doch nicht viel mehr als ihre gemeinsame Wirkungsstätte verbindet. Der Ich-Erzähler wächst auf in Ludwigsfelde bei Berlin, in den späten 70er Jahren des sozialistischen Einheitsstaates. Ein Hauch von Geschichte umgibt diesen kleinen Ort, denn bis zum Ende des 3. Reiches war Ludwigsfelde die Wirkungsstätte des Wissenschaftlers und Raketenpioniers Wernher von Braun, der dort unter Einsatz von Zwangsarbeitern und propagandistischer Parallelaktionen die Entwicklung der sagenumwobenen V2-Rakete vorantrieb, die dem Reich noch in den letzten Tagen eine Kriegswende und den damit verbundenen „Endsieg“ bescheren sollte. Von Braun ist konsequenterweise die zweite Hauptfigur des Romans. Erinnert sich der junge Protagonist des ersten und dritten Kapitels lediglich mit Verachtung der jüngeren Vergangenheit seines Heimatortes, so kommt der umstrittene Wissenschaftler, nach Ende des Krieges tätig in amerikanischen Raumfahrtprojekten, im zweiten Kapitel selbst zu Wort, und zwar in fiktiven Briefen an eine „IM Tereschkowa“, die offenbar den Inhalt der Briefe an das Ministerium für Staatssicherheit weiterleitete.

Trabanten ist ein Entwicklungsroman im doppelten Sinne. Das Primat der Technik stellt nur eine Seite der Geschichte dar, die andere speist sich klassisch aus den Elementen der Entwicklung zweier Menschen in diktatorischen Gesellschaftssystemen. So wie der junge Ich-Erzähler in den letzten Vorwendejahren seine Sozialisation erfährt und seine Begeisterung für Autos und Motoren sich als eine Art Ersatzhandlung für die bewußte Teilnahme am sozialistischen Einheitsstaat verdichten, erfährt der Leser aus von Brauns intimen Briefen vom Altern eines innerlich zerrissenen Technokraten, der sich wehmütig an die gute alte Zeit erinnert. Der Kunstgriff von Hennigs Roman besteht vor allem darin, die beiden unterschiedlichen Charaktere in dem lakonischen Tonfall zu vereinen, mit dem beide ihre Umwelt, ihre Reifeprozesse, ihre Fehler und inneren Konflikte nachzeichnen. Frei von Ideologie und lediglich dem Enthusiasmus für fahrbare Untersätze oder Raketen verpflichtet, gerät die Beschreibung der gesellschaftlichen Begleitumstände zu einer humorvollen Parodie des deutschen Staates zwischen 1933 und den Nachwendejahren 1989 bis 1992. Der raison d’être der Handelnden heißt Fortschritt, heißt Wankelmotor, Straßenbau oder Geschwindigkeitsrausch. Während der junge Ich-Erzähler nach der Wende seinen Freiheitsdrang auskostet, freier Liebe und den unbegrenzten Möglichkeiten des motorisierten Reisens nachgeht, lesen sich aus den späten Briefen von Brauns eine zunehmende Fähigkeit zur Selbstkritik und kritische Einschätzung der eigenen Rolle im faschistischen Unrechtsregime heraus. Hier hat man es abwechselnd mit der Täter-Generation und der Generation der Nachgeborenen zu tun, die keine Ansprüche mehr an die Geschichte des eigenen Landes stellt.

Trotzdem ist Trabanten kein politischer Roman, sondern zuvorderst ein originell erzählter Roman über das Auto, ein Synonym für Mobilität, Freiheit, Beweglichkeit. Tragisch mutet es an, wenn von Braun in den Briefen von seiner Anwesenheit bei der Eröffnung der Avus durch den Führer berichtet, anschließend mit Albert Speer weitere Straßenprojekte bespricht. Die eigentliche Tragweite solcher Zeilen erschließt sich dem Leser erst, wenn der junge Ich-Erzähler Jahrzehnte später mit seinen Eltern und im elterlichen Trabant über eben jene Avus fährt und dabei der Worte seiner Lehrer gewahr wird, wonach von Braun und seine technokratischen Handlanger den Bau der Autobahnen nur veranlaßten, um das faschistische Deutschland kriegstauglich zu machen. Der Technik und dem Streben nach Mobilität wohnt ein Furor inne, der in Deutschland bis heute präsent ist. Und wenn allerorten das samstägliche Autowaschen als typisch deutsche Tugend beschrieben wird, ist man Falko Hennig dankbar, daß er auf den Gebrauch solcher Klischees in seinem Roman verzichtet, und den Leser statt dessen mit Wissenswertem über die Automobilgeschichte versorgt.

„Ich will Spaß, ich geb‘ Gas“ war ein Hit der Neuen Deutschen Welle; dieses Motto greift Hennig in Trabanten auf und setzt es auf die deutschen Verhältnisse insgesamt um. Herausgekommen ist dabei ein inhaltlich reifes und humorvoll-ironisches Erzählwerk, das sowohl dem gesamtdeutschen Autonarr als auch dem theoriegeschulten Germanisten einige Freude bereiten wird.

Falko Hennig: Trabanten
München und Zürich: Piper Verlag, 2002.
285 Seiten, 19,90 €

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