Krähe (ein Mensch wie du und ich)

„Das poetische Bestiarium des Ted Hughes“: Elmar Schenkel liest „Aus dem Leben und den Gesängen der Krähe“

In der dritten Veranstaltung der Sächsischen Übersetzertage 2002 „Das Tier in der Literatur“ kamen zwei Männer zu Wort: Ted Hughes (1930-1998), einer der bedeutendsten englischsprachigen Lyriker des letzten Jahrhunderts, Staatsdichter, Kinderbuchautor, Essayist, Mythenschöpfer und Mythenformer, und Elmar Schenkel, einer der beliebtesten Englisch lehrenden Professoren dieses Jahrhunderts, Übersetzer, Essayist, Schriftsteller.

Der in West-Yorkshire geborene Hughes, bester Leser seiner eigenen Gedichte, erscheint von Kassette, der aus Westfalen stammende Schenkel leibhaftig. Unterhaltsam stellt er Dichter und Werk vor, spielt Bild- und Tonaufnahmen ein, rezitiert, erzählt Anekdoten. 1986 hatte Schenkel den Fragment gebliebenen Zyklus Crow (Krähe. Aus dem Leben und den Gesängen der Krähe) ins Deutsche übersetzt. Diese Gedichte, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre entstanden, hatten Hughes als Lyriker über Großbritannien hinaus bekannt gemacht. In einfacher, teilweise gewalttätiger Sprache läßt er darin die Krähe in die Schöpfung eintreten. Am Anfang war der Schrei/-/ Welcher zeugte Adam/ Welcher zeugte Maria/ Welche zeugte Gott/ Welcher zeugte Nichts/ Welches zeugte Nie/ Nie Nie Nie/ Welches zeugte Krähe

Die archaisch-kräftigen Texte arbeiten mit Wiederholungen, hämmern sich in den Kopf. Das Gedichteschreiben könne teilweise eine Fortsetzung seiner Jagd auf Tiere sein, hatte Hughes einmal geäußert. So findet sich in seinen Büchern nicht nur das für Lyrik typische Kleingetier der Art Motte, Milbe, Holzwurm, Blattfloh (lat: psyllina), sondern auch Tiger, Wolf, Bär, Jaguar und allerart Vögel, wie Krähe, Falke, Abenddrossel. Raubtiere bevorzugt, was Hughes zuweilen den Vorwurf einbrachte, er schreibe eine Lyrik der Gewalt, sei Immoralist. Nach Hughes aber hat Kunst unsere Sinne wieder auf das Eigentliche zu lenken, so auf die gewaltigen und gewaltsamen Energien der Natur, auch der eigenen. Vom Tier aus sieht er den Menschen; in seinem Engagement für Natur und Kinder (Kinderbücher, wie Der Eisenmann oder Wie der Wal wurde) wird er im Gegenteil tief moralisch.

Das Zentrale in dem Buch sei die Körpersprache, so Schenkel, der seit 1993 an der Universität Leipzig lehrt. Vor dem vorwiegend studentischen Publikum läßt er Krähenmythen aufleuchten, verteilt „Handouts als Wegweiser nach Hause“. Der große Vogel mit dem schwarzen Gefieder und dem kräftigen Schnabel scheint mehr zu können als zu krächzen.

13. Juni 2002, Haus des Buches

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