Bären, Hunde und eine Auster

Tierisches von Harry Rowohlt gibts auf den Übersetzertagen 2002

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß es keine Übergangszeiten mehr gibt? Ich habe seit Jahren weder Frühling noch Herbst erlebt – ich meine diese Art von Übergangszeit, in der wir die Chance haben, uns auf das jeweilige Extrem (entweder Winter oder Sommer) einzustellen, ein paar Wochen, in denen es kontinuierlich wärmer oder kühler wird und in der die Tageslänge zu- oder abnimmt und wir uns langsam… Aber egal, es gibt sie nicht mehr – was bleibt, ist ein urplötzlicher Wechsel von Winter auf Sommer und umgekehrt.

Dieses Jahr kam der Wechsel im Juni – relativ spät – genauer gesagt am Montag, dem 18. Juni. Hundstage. Am Montag, dem 18. Juni 2002, hatten sie ihren Anfang. Sie dauerten gerade mal zwei oder drei Tage, aber sie waren heftiger als in den letzten paar Jahren. Immerhin zwangen mich die Temperaturen, die innerhalb weniger Stunden um deutlich mehr als 10° C gestiegen waren, dazu, langsam und bedächtig zu laufen, als ich mich gegen 19 Uhr auf den Weg ins Haus des Buches machte. Hätte mich jemand wahrgenommen, hätte er meinen können, ich sei jemand, der bedächtig freudig und sicher auf ein unverrückbares Ziel zusteuert, das er genau kennt.

In Wahrheit hätte er jemanden gesehen, der jeden Schritt mit Bedacht wählte, weil er genau wußte, daß hinter der nächsten Ecke der Hitzschlag lauern könnte, der genau aus diesem Grund beschlossen hatte, auf die übliche Spaziergangszigarette zu verzichten und der in diesem Moment von einem Gedanken aufrecht gehalten wurde: „Die haben doch sicher Aircondition im Haus des Buches!“

„Harry Rowohlt ist ein Erlebnis“, wurde mir gesagt, „Harry Rowohlt sprengt den Rahmen jeder Lesung“, Harry Rowohlt tut dieses, jenes und wieder solches und es ist immer… Man könnte Seiten füllen mit Lobeshymnen, ohne jemals selbst an einer seiner Lesungen teilgenommen zu haben.

Meine erste (literarische) Bekanntschaft mit ihm machte ich Anfang der 90er Jahre. Ich hatte mit großem Vergnügen Flann O‘ Brians At Swim-Two-Birds gelesen und war über dieses Paperback gestolpert, das sich als deutsche Übersetzung eben dieses Buches ausgab. Viele Menschen hielten Flann O‘ Brian für nicht übersetzbar. Viele Menschen lasen aus purer Neugierde und Schadenfreude die eine oder andere O‘ Brian-Übersetzung von Harry Rowohlt – ich war einer von ihnen. Vielen Leuten verging schon nach den ersten Absätzen die Schadenfreude – ich war einer von ihnen.

Übersetzer waren für mich immer Menschen, die im besten Fall von den Verdiensten anderer profitieren, im schlimmsten Fall einen guten Text ein für alle Mal in den Abgrund der Mittelmäßigkeit stürzen (Sie glauben mir nicht? Lesen Sie Böll’s Übersetzung von Salinger’s Catcher In The Rye und sie werden weinen!). Harry Rowohlt hat in meinen Augen bewiesen, daß das Übersetzen fremder Texte eine eigene Kunstform sein kann, ohne daß Stil oder Aussage des Originals darunter leiden. Mit jedem seiner Texte zeigt er, daß mehr dahinter stecken kann als bloßes stilistisch und grammatikalisch korrektes Übertragen; und zumindest mir hat er gezeigt, daß es Spaß machen kann, Übersetzung und Original unmittelbar nacheinander zu lesen. Und wenn dieser Mann die Bühne betritt, kann ich es sogar akzeptieren, daß der Übersetzer mehr gefeiert wird als der Autor – denn wer kennt schon Shel Silverstein?

Es liegt nicht daran, was er liest. Wahrscheinlich sind es eher die Momente, wenn er mitten im Satz aufhört zu lesen, um eine kleine Randanekdote zu erzählen. Am besagten Montag ging es bei seiner Lesung im Haus des Buches getreu dem Thema „Tiere in der Literatur“ nur um „Viechzeug“. Wir hörten Passagen aus seiner Übersetzung von Milnes‘ Pu der Bär, einige Hundegedichte von David Sedaris, Auszüge aus Jim Dolan’s Fup, garniert mit seiner unnachahmlichen Version von Shel Silverstein’s Auster.

Was (bei mir) übrigblieb, sind nicht die Texte selbst – Winnie the Poo habe ich oft genug gelesen und ich interessiere mich nicht mehr merklich für David Sedaris – sondern der Eindruck, jemanden erlebt zu haben, der Spaß hat an dem, was er tut – genug Spaß, um ihn für ein paar Stunden an sein Publikum weiterzugeben.

Als ich nach Hause ging, war es immer noch zu warm, ich ging genauso langsam und bedächtig wie auf dem Hinweg, aber diesmal beschäftigte mich etwas anderes als Klimaanlagen (das Haus des Buches scheint übrigens eine zu haben). Was mich bis heute (als gebürtigen Oberbayern) nicht losläßt, ist die Frage, wie ein Hamburger auf die Idee kommen kann in perfekter Mimikry tiefsten Murnauer Urdialekts loszugranteln: „Des is der Auster a so wurscht!“ Vielleicht sollte ich ihn einfach fragen, wenn er das nächste Mal hier ist…

18. Juni 2002, Haus des Buches

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