Galerienrundgang in Leipzig (Jenny Lagaude)

Galerien-Rundgang
20 Leipziger Galerien
22. Juni 2002 von 17 ? 21 Uhr


Antje Blumenstein ?you will be showered by attention? (2002)
22.06. – 03.08.2002
Galerie André Kermer

Albrecht Tübke ?Citizens? (2001)
22.06. – 10.08. 2002
Dogenhaus Galerie

Ulrich Gebert ?Hellfeld? (2001)
22.06. – 29.06.2002
Galerie Kleindienst

?Sommer bei Eigen+Art? mit Arbeiten von
Birgit Brenner, Martin Eder, Nina Fischer & Maroan el Sani, Jörg Herold, Stephan Jung,
Uwe Kowski, Maix Mayer, Carsten Nicolai, Olaf Nicolai, Neo Rauch und Annelies Strba
22.06. – 31.08.2002
Galerie Eigen+Art

(Foto: Albrecht Tübke „Citizens“, San Francisco 2001)


Der Blick ins Kaleidoskop

Jeder art-ige Leipziger, den es am Samstag nicht in den eigenen vier Wänden hielt, konnte sich zu einem Abend-Spaziergang der besonderen Art aufmachen: Zahlreiche Galerien Leipzigs luden zu ungewohnter Uhrzeit ein, um Auge und Herz des Kunstinteressierten den facettenreichen Spektren Zeitgenössischer Kunst zu öffnen. Die Themen der Ausstellungen waren bunt gemischt, die Spielarten der Darstellung vielfältig und die Stationen des Galerien-Parcours ganz der Kombination des schaulustigen Spaziergängers überlassen.

Wer seinen Rundgang mit der Karl Schmidt-Rottluff – Ausstellung im Museum der bildenden Künste begonnen hatte, schlenderte nun vielleicht auf der Suche nach dem nächsten Kunsterlebnis durch die Einkaufspassage des Messehofes, um dann ahnungslos von einem freundlichen Liftboy im Fahrstuhl Nr. 3 zur Galerie André Kermer befördert zu werden. Und während man noch über den verlockend klingenden Titel der eigens für diesen Galerieraum geschaffenen Installation von Antje Blumenstein sinnierte, öffneten sich schon die Fahrstuhltüren und schnell wurde klar, was sich hinter ?you are showered by attention? verbarg: Allein auf einer Tribüne stehend konnte der nun vollends irritierte Kunstliebhaber sich ganz der versprochenen Beachtung durch andere Galeriebesucher hingeben, die sich zahlreich auf einem weiß eingegrenzten Feld in den Weiten des Ausstellungsraumes tummelten. So wurde man selbst Teil von Blumensteins Installation, die sich in ihren Werken dem Motto ?passgenau? verschrieben hat und in ?you are showered by attention? Negativformen des menschlichen Körpers zur Darstellung bringt: Der Tribünenbesucher beobachtet die sich im vorgegebenen Spielfeld immer wieder neu formierenden Menschen und ihre Bezugnahme aufeinander, während er in seinem Schau-Kasten die Einpassung in die Kopfschubladen der gaffenden Menge erfährt.

Ein anderes Objekt der Reihe ?passgenau? von Antje Blumenstein bildet eine Art Modulsystem in Sitzbankform, in dessen weichgerundete Plastikteile man auf Anraten der Galeristen seine Gliedmaßen schmiegte und sich all‘ den negativen Konnotationen von Anpassung hingab, aber doch vor allem die Wohligkeit des Opportunismus genießen konnte.

Animiert durch soviel Lebensnähe von Kunst stürzte sich der von Neugier getriebene Galerie-Rundgänger dann gerne wieder in das sommerliche Treiben auf den Strassen Leipzigs, um seine Schritte über Stadtring und Leuschnerplatz hin zum Glasbau der Dogenhaus Galerie an der Ecke der Beethovenstraße zu lenken und dort die ganzfigurigen Porträts von Bewohnern San Franciscos und Berlins in der Fotoausstellung ?Citizens? von Albrecht Tübke zu bewundern. Vor dem Betongrau einer Hinterhofmauer und auf staubigen Seitenstraßen posieren einzeln oder als Zwillingspärchen die Normalbürger in großer Garderobe und antikisierender Kontrapost-Stellung, die Gesichter zu repräsentativer Miene geballt. So wirken vor der Einheitsfläche der Großstadtfassaden ihre aufgeputzten Bewohner nicht minder maskenhaft und für die fotografische Aufnahme artifiziell inszeniert. Reflektiert der Künstler hier über das Kaschieren von Emotion in einer hart gewordenen Welt, oder will er nicht vielmehr die Beziehung Modell ? Fotografie thematisieren? Kann man nicht gerade an diesen Aufnahmen ablesen, wie der Akt des Fotografierens, das zum Objekt modifizierte Subjekt auch äußerlich verändert, es sich selbst neu erschafft für eine angenommene Öffentlichkeit? Tübke zeigt dem Betrachter die Absurdität des Posierens, die Ambivalenz der als authentisch gepriesenen Fotografie.

Bei so viel kritischer Distanz zur eigenen Profession konnte der Galeriebesucher nur fasziniert einen Schluck vom dargereichten Erfrischungsgetränk schlürfen, um sich dann Richtung Musikerviertel aufzumachen, wo noch zu entdeckendes Galerien-Land auf Eroberung wartete. Eine Ausstellung, die versucht möglichst vielfältig Eindruck zu geben über die Formen heutigen Kunstschaffens, fand der Rundgänger dann in der Galerie Eigen+Art in der Ferdinand Rohde Str. 14. Unter dem Motto ?Sommer bei Eigen+Art? gab es vom überdimensionalen Kitsch asiatischer Filmplakate in Redubbing und einem Video über die Créateurs (Maix Maier ?Subfiction 1?; Supplement-Video), über ästhetisierende Fotogemälde in Weichzeichneroptik (Annelies Strba ?Linda und Samuel?), bis hin zu Papier-Flechtarbeiten in Bonbonrosa (Olaf Nicolai ?Farbteppiche?) so manches zu sehen. Beim Verlassen jener Exposition blieben sicherlich die Darstellung der Destruktionskraft von Beziehung in der mehrteiligen Collage ?Angst vor Gesichtsröte? von Birgit Brenner, die Entdeckung der vibrierenden Oberfläche von ?Milch?, einer Arbeit von Carsten Nicolai, und die auf Formelhaftes gebrachte Sexualität im Werk ?ABCD? von Stephan Jung im Gedächtnis.

Wenigstens bis zur nächsten Straßenecke, denn dort konnte der schon etwas ermattete Kunst-Konsument in die Galerie Kleindienst in der Grassistrasse einkehren, wo Ulrich Gebert in seiner Fotoserie ?Hellfeld? von kriminologischen Ermittlungen und Seuchenschutzmaßnahmen auf Nachbars Grundstück erzählt. Im Stile des polizeiaktlichen Beweisfotos wird der harmlos scheinende Ort hinter dem Gartenzaun als Schauplatz des Verbrechens dokumentiert und seiner Harmlosigkeit beraubt – die kriminelle Energie seiner Verschwiegenheit fixiert. Die Fotografien von Männern in Schutzanzügen, welche die unsichtbare Katastrophe im Griff zu haben scheinen, zeigen besonders deutlich, dass Gebert in seinen Werken auf die durch staatliche Instanz und ihre Ermittlungs- und Bekämpfungsmethoden vermittelte, trügerische Sicherheit anspielt, die das Wahrnehmen einer unmittelbaren Bedrohung fernzuhalten meint.

Wessen Aufnahmebereitschaft nun langsam erschöpft war, der trat vielleicht müde den Heimweg an und versuchte, das wirbelnde Durcheinander der gewonnenen Eindrücke in klarere Strukturen zu fassen. Hier, in den kleinen und großen Galerien Leipzigs, hatte man sie nun also alle wiedergetroffen, die großen Themen der Zeitgenössischen Kunst: Wahrnehmung von Selbst und Welt, Abgrenzung von Privatraum und Öffentlichkeit, Verhandlung von menschlichem Beziehungsgeflecht und Körperlichkeit, Identitätsfindung und nicht zuletzt die Selbstreflexion der Kunst. Im Zentrum immer wieder der postmoderne Mensch in der Brüchigkeit seiner Existenz, deren Fragmente die Kunst abzubilden sucht und damit im Wechselspiel ihrer Formen und Farben distanzierte Blicke auf unser Dasein ermöglicht.

(Jenny Lagaude)

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