13.07.2002, 22.00 Uhr
Freilichtkino auf der Pferderennbahn (Schaubühne Lindenfels)
„Reservoir dogs“ von Quentin Tarantino (mit Harvey Keitel, Tim Roth, Michael Madsen u.a.)
Was richtige, harte Männer so treiben, wenn man sie lässt.Du solltest wissen, dass es in Like a virgin nicht um ’ne Jungfrau, sondern im Gegenteil um’n echt geiles Mädchen geht, dass bei ’nem Kerl mit ’nem Riesenschwanz solche Schmerzen wie bei ihrem ersten Mal hat. Und wenn es dir nicht passt, dauernd von deinem Boss was über eine Tobi Sonstenwie zu hören, nimm ihm sein Notizbuch weg und schick ihn bezahlen. Und wenn dann einer kein Trinkgeld geben will, weil er die scheiß Gesellschaftsformen nicht einhalten will, bloß weil es den hübschen Kellnerinnen dreckig geht, dann steck ihm, dass du fürs Frühstück geblecht hast und knöpf ihm den Dollar ab.
So viel zum Inhalt der Exposition von Reservoir dogs, einer herzzerreißenden Geschichte um richtige, harte Männer, die sich zu einer harmonischen Gruppe zusammengefunden haben, um – unterbrochen von sinnstiftenden Gesprächen über Hits der Siebziger – den Erlös einer Erbeutungsaktion (mit dem Blickpunkt auf bearbeitete Diamanten auf ihrem Weg zu ihrem Bestimmungsort) zu teilen und sich dabei vollkommen professionell verhalten, wie es sich gehört.
Na ja, abgesehen davon,
dass einer der Typen ein verdeckter Bulle ist, der seine Lebensgeschichte wie ’ne Story aus ’nem billigen Comic auswendig gelernt hat,
dass einer der Typen ein durchgeknallter Ex-Sträfling ist, der zu flotter Tanzmusik einem Bullen ein Ohr abschneidet, um ihn danach anzuzünden,
und dass einer der Typen hinterher nicht weiß, ob er den einen Kerl ins Krankenhaus schaffen soll, der mit ’nem Bauchschuss in einem Lagerhaus liegt und eigentlich der verdeckte Bulle ist, was derTyp natürlich nicht weiß, oder ob er lieber dem anderen Kerl die Fresse einschlagen soll, der während des Coups plötzlich einfach so Leute abknallte und eigentlich der Ex-Sträfling ist, von dem der Typ aber weiß, dass er durchgeknallt ist.
So viel zur durchsichtigen, einfach strukturierten und in sich völlig logischen Handlungsabfolge dieses Tarantino-Films, der wie immer mit zahlreichen überraschenden Details aufwartet – wie Zigaretten, die scheinbar angezündet werden, aber dann doch nicht brennen oder Leichen, die, kurz bevor sie aus dem Bild verschwinden, sich zu bewegen beginnen, sowie weiterer schöner Einfälle, die auch die Macher der Pulp Fiction-DVD zu einer gesonderten Sparte über dieses Charakteristikum des vielgelobten Regisseurs inspirierten.
Tarantino gehört zu den Filmemachern, über die sich schwer diskutieren lässt; entweder man mag das, was er tut, oder man wendet sich angewidert ab. Ich persönlich mag Tarantino. Warum?
Erst einmal natürlich wegen der Musik, die jeden Zweifel an Coolness und ironischem Esprit in seinen Filmen hinwegfegt. Zum Zweiten, weil er es schafft, seine Liebe zu harten Gangstergeschichten, Blutlachen auf dem Set, nebulösen und obskuren Handlungssträngen, verqueren Schnitten und andeutungsreichen Bildelementen zu verbinden mit schreiend komischer Ironie und bitterem Spott auf die wahren Kerls, die nicht halb so hart sind, wie sie glauben, und meist mehr als nur eine Schraube locker haben.
Zum Beispiel,
wenn bei der Ausarbeitung des Plans und der Verteilung der Decknamen Mr. Pink sich aufregt, so genannt zu werden, Mr. White anbietet zu tauschen, wozu Mr. Blonde nur lächeln kann, während Mr. Brown die Assoziation von Scheiße quält und Joe der Boss daraufhin erklärt, dass Mr. Purpur schon vergeben ist und er außerdem die Männer nie die Namen selbst wählen lässt, weil mindestens vier Kerle sich um den Namen Mr. Black streiten,
wenn man sich auf dem Weg zum Raubüberfall darüber unterhält, ob schwarze Frauen härter zu ihren Männern sind als weiße, und ob die Schauspielerin in der und der Serie Pam hieß und schwarz war, oder die nur im Pilotfilm spielte und in der Serie Amy und ob Amy nicht doch weiß war und so weiter,
und wenn Mr. Pink immer wieder betont, wie professionell alles sein müsse und sich bei einer Schießerei verdrückt, um schließlich allein mit der Beute abzuhauen.
Tarantino zieht die Männer durch die klebrige Brühe ihrer selbsteingebrockten Blutsuppe, lässt sie in den Lachen ihres kompromisslosen Schubladenhasses waten, in dem sie nur Gangster, Zivilisten, Weiber, Schwule, Nigger und Bullen als Rangfolge vom Menschen zum Nichtmenschen kennen, verfolgt von Gesetzeshütern mit dem umgekehrten Hass (der hier aber gesichtslos bleibt). In einem reinen Männerfilm, in dem die Frauen nur auftauchen als angerempelte Passantinnen oder hilflos auf den vermeintlichen Gangster – der eigentlich der verdeckte Bulle ist – schießend, liegen am Ende alle Beteiligten sinnlos tot herum, wie es sich gehört.
Auf der Leinwand im Freien nun mischen sich die Umgebungen: So wie die verrottete Lagerhalle auf das bizarre Schauspiel blickt, blicken die brüchigen Gemäuer der Rennbahngebäude auf mich, so wie der Schmutz die filmischen Helden im Inneren zerfrisst, kriecht er mir auf der beschädigten Filmrolle entgegen, etwas unscharf, aber noch klar genug, um zu verwirren und zu schockieren. Und schließlich: So wie ihr Lebensprinzip ihnen den Sinn für Sinn verdeckt, verdeckt mir ein Baum die volle Sicht auf die Leinwand.
Und danach? – Danach war es unsagbar befreiend, den dunklen Himmel über sich zu sehen, den Schmutz abzuschütteln, und mit den Augen dem weißen Hund zu folgen, der mir schon während des Films den gebannten Blick von der Leinwand weggezogen hatte, als er über meine Beine stolperte. Was wäre das nur drinnen geworden?
Es gibt Dinge, die sollte man vielleicht wirklich nur draußen sehen, um rechtzeitig weglaufen zu können. Auf der Rennbahn.(Enrico Ille)
Kommentar hinterlassen