Nachbetrachtungen zur Mendini-Ausstellung (Anja Szymanski)

?alessandro mendini – zwischen den künsten“
Grassimuseums Leipzig, Museum für Kunsthandwerk (Interim Neumarkt 20)
15.11.2001 – 10.02.2002

(Foto: Bushaltestelle Hannover)


Die Realität feiern und gleichsam erheben
Nachbetrachtungen zu einer Ausstellung

Heutzutage können wir uns aussuchen, mit welchen Dingen wir uns umgeben. Und genau das tun wir, mehr oder weniger exzessiv. Möglicherweise entscheidet das Geld unsere Vorlieben. Etliche von uns zieht es zu Jugendstil, alten Möbeln und Silberlöffeln. Keine Anstrengung wird gescheut für wenigstens ein bisschen historisch-authentisches Lebensgefühl. Andere fahren zu Ikea (schließlich ist da Natur verarbeitet und neu muss es schon sein). Die meisten aber benutzen, was es gerade gibt, was überall zu sehen ist und was praktisch (= billig) ist. Wir müssen nichts mehr neu erfinden. Heute gibt es einfach alles, irgendwo. Wenn wir zu Mendini gehen, dann wissen wir es ganz genau.

Nein, wie befinden uns nicht in Legoland, aber in der riesigen Ausstellungshalle ist, wie es scheint, ein Stück Raum für die Kinder abgetrennt, zum Toben und Wohlfühlen. Nein, doch nicht, leider darf man nichts anfassen. Die grünlichen Kunststoff-Tische (extra klein, extra breit) und die flauschig gekämmten Teppiche (in den schreiendsten Farben) sind Teil der ?emotionalen Architektur?. Ah, deshalb erinnern sie uns ans moderne Kinderzimmer.

Das Museum für Kunsthandwerk gab dem wohl erfolgreichsten und bekanntesten Architekten und Designer Allessandro Mendini (geb. 1931 in Mailand) Gelegenheit zur Schaustellung einiger seiner Ideen. Der Meister selbst, ein drahtiger verschmitzt-wachsamer Gentleman, freute sich, in Leipzig zu sein und die Städter mit ihrem wohl auch eigenen Kunst-Geschmack zu konfrontieren. Neben großen, glatten Gemälden mit irgendwelchen amöbenartigen Mustern (die jedes gut geführte Karstadt-Restaurant mit Freuden aufhängen würde) sehen wir Gebrauchsgegenstände aller Art (chromblitzende Thermoskannen mit knallblauem Plastikgriff, verspielte Korkenzieher-Mädchen und natürlich die üblichen Swatch-Uhren), Keramiken, kleinformatige, leicht ramponierte Modelle von architektonischen Entwürfen und immer und immer wieder Möbel: bemalt, bedruckt, aufgestockt, Mendinis Interesse an der Schöpfung eines eigen-artigen Raumes verratend.

Schon immer hat der Mensch sein Lebensumfeld gestaltet, sowohl für praktische als auch zu ästhetischen Zwecken. Meist wurden die natürlichen Gegebenheiten und Materialien für die Beweise seiner Existenz genutzt, oft vergänglich, wie auch ihr Schöpfer. Oft genug aber auch dauerhaft und langlebig, wenn es das Material hergab. Mendinis Material gibt es her, bedient er sich doch aus dem Fundus des Schonbewährten. Alles wird mit allem kombiniert: Holz mit Plastik, Metall mit Plastik und Holz mit Metall. Dass der Kunststoff (in meist knalligen unvermischten Farben) dominiert, liegt wohl im Kunststoffboom und in der Knetbarkeit des leblosen Materials begründet.

Mendini bedient sich ungehindert und unkonventionell des Verfügbaren. Wir erkennen alles wieder, die Inspiration vom Futurismus, Pointillismus, Kubismus, von Kandinsky und den Mosaiktechniken der arabischen Kultur. Die Ausstellung zeigt einen wenngleich unvollkommenen so doch beeindruckenden Querschnitt durch Mendinis schöne neue Welt. Alte Sechziger-Jahre-Kommoden (mit ihren lächerlich schlanken Fesseln) erhalten durch witzige pastellfarbene Übermalungen und Überklebungen Stabilität und Würde. Auseinandersetzungen mit Funktionalität und Form führen zum berühmten ZIG-ZAG?Stuhl oder zum mit Maiskörnern und Sand gefüllten Glasstuhl. Oder zu einem, dessen Lehne man herunterklappt wie einen Klodeckel, wenn man ?fertig ist mit Sitzen?. Witzig der überdimensionale, windschiefe grauglänzende Stuhl, der (wieder einmal) deutlich macht, dass zur Zweckdienlichkeit ein gewisses Maß an Symmetrie gehört. Ebenfalls witzig die ?Möbel für den Herren?: riesiggroße Torsos von Jackett oder Handschuh, die aus goldglänzenden Mosaikstücken so sorgfältig gearbeitet sind, dass die Ironie solcher Anordnungen erheblich gesteigert wird. Ironie und eine ausgeprägte Melancholie (die der Seele der Dinge?) führt Mendini spielerisch zusammen. Erleichtert spüren wir, dass wir diese Kombination annehmen können.

Die Vitrinen und Schaukästen mit den Gebrauchgegenständen und auch die Architekturmodelle sind schnell abgelaufen. Vieles kommt uns bekannt vor und die kleinen Plastik- oder Papierentwürfe von Gebäuden oder Installationen können (dem Laien) nicht wirklich einen authentischen Eindruck vermittelten. Verblüfft aber stehen wir vor den im Museum arrangierten Zimmern: auf klassischen Schachbrettmusterboden stehen alte Barocksessel (z.B. pointillistisch dekorierte Proust-Sessel), deren Oberfläche durch eine schrille Übermalung eingefroren und dadurch unergründlich geheimnisvoll ist. Die Bemalung fließt über die Sesseloberfläche hinaus, erreicht den Fußboden, ein Gemälde, den Bilderrahmen, die Wand. Eine wohldesignerte Lampe spendet genau das richtige Licht, um die Farben (meist kräftig rot, gelb, blau, grün) miteinander zu verspinnen. Alle Details sind bis in den kleinsten Winkel kreiert und entwickeln trotzdem (oder gerade deshalb?) ein Eigenleben. Mit diesen sogenannten psychologischen Räumen ist das Gestalterische auf die ästhetische Spitze getrieben. Durch die unverschämten Farben, glatten Oberflächen und die suggestive Beleuchtung werden starke Sinnesreize provoziert, die an die Intensität von kühlen, surrealen Träumen erinnert, bei denen kein Detail, sondern nur die Gesamtstimmung im Gedächtnis verbleibt.

Nach dem Architekturstudium am Mailänder Polytechnikum entwickelt sich Mendini zu dem Theoretiker des italienischen Aventgarddesigns. Er ist Architekt, Designer, Publizist (u.a. ?Casabella?, ?Modo?, ?Domus?, ?Ollo?, ?Metamorfosi?) und hat mit der Ausformulierung des reproduzierbaren Kunstwerkes die Designdiskussion der Postmoderne erheblich mitbeeinflusst. Bereits in den Siebzigern verwandelt er eine Reihe von alten Barock-Sitzmöbeln zu bizarren Gegen-Ständen und wendet sich hin zur Gestaltung des Alltags. Die Dinge des alltäglichen Gebrauchs werden durch das sogenannte Redesign zu komisch-ironischen Objekten. Die bürgerlichen Kategorien von ordentlicher Gestaltung und Kitsch werden ad absurdum geführt. Als Künstler, der sich mit alltäglichen Gegenständen befasst und deren Form radikal transformiert, wird er zum Provokateur und Brandstifter gegen die Macht der Gewohnheit, der auch dem Kitsch einen sorgfältigen Platz gewährt und damit das sogenannte Banaldesign zur Hochkultur stilisiert hat. Wartete Mendini auf den Geschmack der Europäer oder warteten diese auf Mendinis Design?

?Es existiert heute keine Originalität mehr. Die Erfindung neuer Formen wird ersetzt durch die Variationen an Dekorationen und Oberflächen. Das Design ist Re-Design. Entwerfen ist Dekorieren.? (Mendini. 1981 im Manifest Alchimia).

Ist die Konzentration auf die Gestaltung der Oberfläche als typisches Zeitphänomen zweideutig zu verstehen? Beim erfolgreichen ? und nicht-oberflächlichen – Mendini jedenfalls erhält diese Erscheinung eine neue Dimension, denn das Atelier Mendini (gegründet 1989 mit dem Bruder Francesco) erarbeitet sowohl theoretische Abhandlungen als es auch praktische Designaufträge realisiert. Weltweit über hundert Swatch-Shops, die neuen Geschäfte für Alessi und die Showrooms für Bisazza, Architekturentwürfe für das Museum in Groningen und den Paradise Tower in Hiroshima gehören zu den herausragenden Aufträgen. Eine typische Arbeitsweise Mendinis ist die des ?Teamworks?. In Kooperation mit ganz unterschiedlichen Gastarchitekten entstehen die Projekte. Der Schalk spricht ihm aus den Augen, wenn er Architekten mit völlig konträren An- und Absichten an einem Entwurf arbeiten lässt. Was kommt dabei heraus? Das, was man überall sieht: ein Mischmasch aus Farben, Materialien und Formen. Allerdings: unter der Leitung Mendinis wird die Realität gefeiert und gleichsam erhoben.

Zudem ist über Mendini zu lesen: ?Zu den wichtigen neueren Projekten gehören die Galerie Tumringerstrasse in Lörrach, die Fassadenerneuerung des `Casino Arosa`, die Umgestaltung des Stadtviertels Maghetti in Lugano, die Scuola del Mosaico in Spilimbergo, das Firmengebäude von Alessi, das `Forum di Omegna`, ein multifunktionaler Park mit Museum, und die urbanistische Neugestaltung des historischen `Parco della Villa Comunale` in Neapel. Im Jahr 2000 gewinnt das Atelier Mendini unter anderem die Ausschreibung für den Neubau eines Hallenbades in Triest und erhält von der Verlagsgruppe Madsack in Hannover den Auftrag für den Bau eines neuen, innerstädtischen Bürogebäudes. Alessandro Mendini lebt und arbeitet in Mailand. Er ist Ehrenmitglied der Bezabel Akademie für Kunst und Design in Jerusalem, Chevalier des Arts et des Lettres in Frankreich und Ehrenmitglied der Architektenvereinigung in New York.?

In Leipzig erhalten wir zumindest einen Eindruck von Mendinis Reise zwischen den Künsten. In der hintersten Ecke der Ausstellung läuft ein Videoband über einige realisierte Ideen und theoretische Studien. Unsere Ahnung bestätigt sich: Mendinis wahres Interesse gilt der Belebung des leeren Raumes, der Architektur! Vor dem Bildschirm öffnet sich für uns eine metaphysische Tür. Wir sehen aus allen Teilen der Welt ausgebaute Häuserlücken (Wohnhäuser mit aalglatten Wänden, aufgestockt durch reine Formen wie Kugel, Zylinder, Kegel), gigantische Licht- und Stoffinstallationen und ? sehr beeindruckend! – in aufwendiger arabischer Mosaiktechnik verzierte Neubauten. Genau aus dem Zusammenspiel der reinen Formen und dem Prinzip der Dekoration entsteht die mendinische poetische Architektur.

Ein Zeitreisender würde in einer Mendini-Schau zweifellos das 20. Jahrhundert wiedererkennen, abgebildet von einem abenteuerlich-toleranten und geistig freien Menschen.

(Anja Szymanski)

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