Von der Vergangenheit lernen

Peels Religious Encounter and the Making of the Yoruba bietet viel interessanten Stoff über den afrikanischen Kontinent

Als sich die Staats- und Regierungschefs der acht größten Volkswirtschaften in einem verschlafenen kanadischen Dorf trafen, zauberten sie einen Evergreen aus dem Hut: Afrika hat ein Anspruch darauf, geholfen zu werden. Unter dem vollmundigen Titel „New Partnership for Africa“ (NEPAD) beeilte sich der deutsche Bundeskanzler zu versichern, dass es gar keine Frage sei, dass Afrika auch am Wohlstand der Weltgemeinschaft teilhaben sollte. Wirklich? Wenn man sich die Halbherzigkeit der verabschiedeten Worte ansieht, dann kommen erhebliche Zweifel auf. Und um das Bild vom reichen Onkel aus dem Westen noch zu komplettieren, hätte sich der Kanzler wohl nur noch die Huldigungen der anwesenden afrikanischen Staatsoberhäupter gewünscht. Diese vollmundigen Ankündigungen und Versicherungen beschreiben das Bild von den Beziehungen Afrikas mit dem Rest der Welt. Halbherzige, wenig effektive Hilfe. Und über allem, wie ein Regenschirm gespannt, die Unwissenheit über diesen Kontinent.

Nun hat eine Schar Unentwegter es sich zur Aufgabe gemacht, gegen dieses Unverständnis anzuschreiben. Allein: Sie werden kaum wahrgenommen. Dabei hat das Wort von Marc Bloch immer noch Gültigkeit, dass man die Gegenwart nicht ohne die Vergangenheit verstehen könnte. Nun ist die rapide Ausbreitung des Christentums in Afrika mit all seinen Facetten ein Phänomen, das mittlerweile eine umfangreiche Literatur hervorgebracht hat. John Peels Buch Religious Encounter and the Making of the Yoruba geht der Frage nach, wie regionale Entwicklungen (religiöser Wandel, Ethnogenese) mit globalen Phänomenen wie Kolonialisierung, Modernisierung und Globalisierung korrespondiert haben. Es beschreibt die Geschichte der Christianisierung der Yoruba im Verlauf des 19. Jahrhunderts.

Das die europäische Missionierung ohne afrikanische Männer und Frauen durchzuführen gewesen wäre, ist heute ein Allgemeinplatz. Trotzdem haben Afrikaner sehr wenig Texte hinterlassen, die über ihre Motive und Gedanken Aufschluss gegen. In dieser Beziehung konnte Peel vom Archiv der Church Missionary Society (CMS) profitieren, in dem auch die Berichte, Tagebücher, Briefe und Predigten der afrikanischen Pastoren aufbewahrt werden, die für die britische Missionsgesellschaft gearbeitet haben. Auf den ersten einhundertzwanzig Seiten zeichnet der Autor das Bild, vor welchem Hintergrund sich die Christianisierung und die Genese der Yoruba entwickelte. Hier gelingt es Peel, nuanciert und prägnant die großen Linien in der Geschichte der Region zu zeichnen. Dabei wird deutlich, dass die vielen militärischen Auseinandersetzungen am Anfang des 19. Jahrhunderts später die Basis für die Christianisierung legten. Denn die ersten Christen waren ehemalige Sklaven.

Peel beschreibt die Versuche der Missionare, moralische Werte der Yoruba in ihre eigenen theologischen Botschaften zu übernehmen. Dabei standen die Missionare vor einer dauernden Herausforderung: Sie mussten zeigen, dass das Yoruba-Christentum afrikanische Wurzeln hat. Und so halfen sie sich manchmal auch mit Anleihen aus dem Islam. Der Zweck heiligte die Mittel. Trotz der emsigen Bemühungen der Missionare, die Zahl derjenigen, die zum Christentum konvertierten, blieb gering. Hier beschreibt der Autor die enge Verbindung von Religion und Macht. Vor allem das Lesen und Schreiben und medizinische Kenntnisse waren es, die eine Konversion attraktiv erscheinen ließen. Die spätere rapide Ausbreitung des Christentums, schreibt Peel, war vor allem die Arbeit der afrikanischen Pastoren, die in ihren Predigten den richtigen Ton zu treffen schienen. Was waren die Ergebnisse der Christianisierung für die Yoruba? Hier stellt Peel eine These auf, die für viele Yoruba schwer zu schlucken sein dürfte: Ein von christlichen Eliten propagierter „cultural nationalism“ schuf erst den Terminus „Yoruba“.

Peel versucht zu zeigen, dass religiöser Wandel in Afrika nicht verstanden werden kann, wenn die Rolle der Missionsgesellschaften, die europäische Kolonialisierung und Entwicklungen in den afrikanischen Gesellschaften, nicht berücksichtigt wird. Religious Encounter and the Making of the Yoruba offeriert viel Stoff zum Nachdenken über einen Kontinent, der viel mehr ist, als nur Ort von Hungerkatastrophen und Kriegen.

John D.Y. Peel: Religious Encounter and the Making of the Yoruba
Indiana University Press: Bloomington and Indianapolis, 2001
420 Seiten, 60 €

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