Stefan Müller: „Das Verkaufte Dorf“

Auszug aus dem Werk des DLL-Absolventen 2002

Liebenberg, ein deutscher Ort

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Karl, Ankunft
Liebenberg von seinen Anfängen bis zur Ära Eulenburg
Philipp Fürst zu Eulenburg und Hertefeld, Graf von Sandels
Der baltische Baron
Karl, Große Lanke
Libertas – eine Frau im Widerstand
Otto Warburg – ein Labor im Seehaus
Die Herrschaft unterm Hakenkreuz
Karl, das Dorf
In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs
Vom Dritten Reich zum Arbeiter- und Bauernstaat
Alfred Neumann – der lange Mann aus dem ZK
Karl – Wir sind das Volk
Ein Haus am See
Zehn Jahre Nachwende, zehn Jahre Wirrungen
Neubeginn mit alten Häusern
Karl, Abschied
Anhang
Dokumente
Fotos
Literatur

Vorwort

„Liebenberg. Im März spazieren zu gehen ist schauderhaft. Es regnet, es ist ungemütlich, aber selbst bei strahlender Frühlingssonne ?-oder an einem prachtvollen Wintertag – kann ich mir nicht vorstellen, daß dieser Ort jemals Lebensfreude ausgestrahlt hätte.
Dazu muß man wissen, daß Liebenberg lange Zeit hindurch von der Nomenklatura der DDR genutzt wurde (hohe Parteifunktionäre verbrachten hier die Wochenenden).
Mag auch das übliche Linoleum fehlen – statt dessen gibt es überall glänzendes Parkett -, mag man auch überall die Absicht spüren, diesem Schlößchen einen besonderen Anstrich zu verleihen, an diesem Ort schlägt einem noch immer jene Atmosphäre von Gleichgültigkeit oder unbesonnener Achtlosigkeit entgegen, die all die Orte dieser Art, die ich mir in Osteuropa habe ansehen können, kennzeichnet – als wenn vierzig Jahre lang dort niemand ein Gespür für etwas gehabt hätte, jedenfalls für nichts, was den Alltag ausmacht.“

Dies schreibt eine Französin in ihrem „deutschem Tagebuch“ (Brigitte Sauzay: Retour á Berlin, Wolf Jobst Siedler Verlag, 1999), bevor sie auf das Verhältnis des Fürsten Philipp zu Eulenburg zu seinem Kaiser eingeht.

Kam man Mitte der Neunziger Jahre wie Brigitte Sauzay nach Liebenberg, kann man vielleicht ihren ersten Eindruck nachvollziehen – und doch tat man schon damals diesem Ort mit einem vorschnell gefaßten Urteil unrecht.

Liebenberg. Ein kleiner Ort an der B 167 zwischen Liebenwalde und Löwenberg in Brandenburg gelegen, gerade 60 km nördlich Berlins. Ohne trifftigen Grund hält hier niemand an. Und doch ist dieses im ersten Ansichten unscheinbare Fleckchen Erde mehr als der flüchtige Blick begreift.

Liebenberg ist ein beinahe magischer Ort und läßt man sich erst einmal auf seine Wirkung ein, fragt nach der Geschichte, ergeht sich im Park und in der seenreichen Landschaft, dann kann es passieren, daß die Magie in einem wirkt und weiterwirkt bis man wiederkehrt, um immer wieder zurückzukommen.

Liebenberg ist ein Schloßgut mit Lennépark, ein Dorf mit Seen, mit Wald und Feld.
Liebenberg ist aber auch eine beinahe vergessene Konstante in der preußischen und der gesamtdeutschen Geschichte und wirkt bis heute fort.

Liebenberg ist Kunst und Politik.

Fontane war hier gern gesehener Gast, Philipp von Eulenburg lud zur Liebenberger Tafelrunde. Kaiser Wilhelm II. kam zu seinem Freund Philipp in Jagd- und Herzensangelegenheiten bis zum Skandal um diese Freundschaft, die in der Anklage der Homosexualität gipfelte.

Göring jagte hier, und Libertas, Enkelin Eulenburgs, arbeitete im Widerstand bis sie mit anderen Mitgliedern der Roten Kapelle hingerichtet wurde. Die SED nutzte Liebenberg als Schulgut und das nahe Seehaus als Erholungsheim der Funktionäre im Zentralkomitee.

Nach der Wende wuchs das Moos der Vergessenheit über die Mauern Liebenbergs bis es durch verschiedene Hände verwaltet, abgenutzt und ausgeblutet war. Endlich, im Dezember 1999, kaufte es die Landesentwicklungsgesellschaft Wohnen des Landes Brandenburg (LEG Wohnen) und begann für die Deutsche Kreditbank (DKB) eine umfassende Renovierung des gesamten Besitzes, um es als Managment School nutzen zu können. Mit den neuen Besitzern kam das Nötigste, was gefehlt hatte, in den Ort: Geld.

Über viele Jahre wurde hier nur von der Substanz gelebt. Die Bewohner Liebenbergs waren finanziell und ideell nicht in der Lage ihr nur angemietetes Habitat in Schuß zu halten, vor allem auch, weil es immer wieder unklar war, was mit dem Ort Liebenberg passieren würde. So gab das einstige kulturell und in politischer Hinsicht prosperierende Liebenberg einen traurigen, beinahe infausten Eindruck ab, als die ersten Ideenträger der Wohnungsbaugesellschaft und der Bank auftraten.

Im Folgenden soll versucht werden, die Entwicklung Liebenbergs von den Anfängen bis heute aus der Sicht eines anfangs Fremden zu beschreiben und das Augenmerk auf einen Ort zu lenken, der für einen großen Teil der preußischen und deutschen Geschichte steht.

Karl, Ankunft

Karl kam im Mai. Für einige Tage nur. Karl kam im Juli und blieb.

Er steht lange vor dem Haus, das für ein Jahr seine Heimstatt sein wird. Das Haus ist eine leerstehende Villa inmitten eines ausgedehnten, verwilderten Parks, am Rande eines großen Sees. Ein hoher, weißer, dreigeschossiger Hauptbau mit symmetrischen, um ein Stockwerk niedriger gehaltenen Seitenflügeln. Der Haupteingang ist von einem säulengestützten Portikus überspannt, an dem Rosen ranken. Karl geht die gepflasterte Auffahrt hinauf und schließt die leichte, verglaste Türe auf, die in ihrer Bauweise zu den festen Mauern des Hauses lächerlich wirkt. Mit einem Tritt fliegt sie ein, denkt Karl, als er die Türe hinter sich schließt. Stille. Er steht in der Eingangshalle, die voller Hirschgeweihe und Rehgehörne und Keilerwaffen hängt. Über der Aufzugstüre glotzt ein ausgestopfter Elchkopf herab. Doch noch vor den Jagdtrophäen nimmt Karl den Geruch wahr. Das Haus stinkt. Es riecht nach Fäulnis, nach Urin. „Der Palm hat tagelang seine Köter eingesperrt“, sagte Einer vom Dorf, „und feierte hier so Techno-Parties!“ Er stellt den Koffer ab und geht durch die Eingangshalle in den angrenzenden Raum. Er durchschreitet den Saal, das Kaminzimmer, am Ende befindet sich der Wintergarten, dahinter eine große Terrasse, unterhalb davon, weiß Karl, ist es nicht weit zur Großen Lanke, einem See, an dessen Ufern das Haus, das Seehaus steht.

An der linken Seite des Saales ist der große, reichverzierte Marmorkamin. Die Jahreszahl in seinem Kapitell lautet 1906. Der obere Teil des Kamins, die Wand dahinter und die ganze Decke des Saales sind schwarz verräuchert. In der Luft hängt der Geruch von altem Rauch, vermischt mit dem abgeschwächten Uringeruch der Eingangshalle. Vor dem Kamin sind einige Sessel und Tischchen gruppiert, sonst ist der Raum – bis auf die riesigen, geschmiedeten Leuchter – leer.

Karl geht durch das Kaminzimmer in den angrenzenden Speisesaal, dann durch die Küche zurück in die Vorhalle. Alles wirkt unbewohnt, alles, denkt Karl, ist unbewohnt. Er geht die Treppe zu den oberen Stockwerken hinauf, wo die Gästezimmer sind. Der Teppichboden im ersten Stockwerk ist gesprenkelt mit eingetrockneten Urinflecken. Karl öffnet die großen Fenster zum Park und tritt auf den Balkon über dem Portikus. Über den Wipfeln sieht er gerade noch die Schloß- und Kirchturmspitze des Dorfes, das etwa zwei Kilometer entfernt liegt. Dann sucht er sich ein Zimmer in dem großen Haus.

Karl ist angekommen.

Den ganzen Sommer waren die Fenster geöffnet und der Uringeruch verschwand. Nur nach längerer Abwesenheit erinnern verstreute Moleküle in der Luft des Hauses Karl an den anfänglichen Gestank.

Er hat sich die Suite über dem Wintergarten ausgesucht. Es ist ein geräumiges Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Konferenztisch und dazugehörigen Freischwingern, einer Polstergarnitur und einer Kommode mit Fernsehapparat. Alles im Stil der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, wie überhaupt die gesamte Einrichtung im Seehaus. Passend abgestimmte Polster und Bezüge, die gleichen Holzfurniere für Wandverkleidung und Mobiliar. Vor dem Arbeitszimmer zum See hin ist ein großer Balkon, auf dem Karl seine Sommerabende verbringt, wenn er alleine hier ist. Daneben gibt es ein Schlafzimmer und ein Badezimmer, das mit beigen Kacheln hoch verkleidet ist und an eine Schlachthalle erinnert.

Karl hatte Jahre zuvor in einem Schlachthof gearbeitet. Er war als Tierarzt zur Fleischuntersuchung angestellt gewesen. Die Arbeit begann gegen Mitternacht und dauerte bis in die Morgenstunden an. In seiner Erinnerung mischt sich der Lärm der schreienden Tiere und der Maschinen mit dem Blut und der Anstrengung zu einem Sturzbach aus Abscheu. Andererseits schwang unter der Abscheu auch eine Faszination für die Arbeit an dieser Stätte mit. Er fühlte sich mit der Kopfschlächtertruppe zu einer seltsamen Komplizenschaft verbunden und noch immer sieht er die einzelnen Schnitte und Handgriffe der Männer vor sich: exakt geführt, beinahe mühelos eröffneten sie einen weißen Leib und brachten die Farben Rot und Braun und Grau gleich einer Explosion zum Vorschein. Er sieht sich mit blutverkrusteten Unterarmen am Fließband stehen und Herzen eröffnen, Lungen einschneiden und die Messer wetzen.

Karl benötigt zwei Tage, bis er sich in dem Haus und dem verwinkelten Keller zurechtfindet. Er braucht zwei Tage, bis er jeden Winkel im Haus kennt und den Plan des Hauses in seinem Kopf nachzeichnen kann. Jetzt fühlt er sich sicher und schläft fest.

Tage der Ankunft, des Verortens. Karl geht spazieren, um den See, durch den Wald, fährt in die Nachbarorte, lernt erste Einheimische kennen, vor allem Walter Buchholz mit Frau. Er, Ende Siebzig, rüstig, ehemals Volkspolizist, einmal Polizist, immer Polizist, sagen die Leute. Buchholzens wohnen nahebei im Park des Seehauses, einige Hundert Meter entfernt in den ehemaligen Gesinde- und Kutscherhäusern. Einladung zum Frühstück, die Gardinen im Schlafzimmer Karls wäscht ihm Frau Buchholz. Sie wissen über alles Bescheid und bekommen alles mit. Die Frau war Erzieherin, Kindergärtnerin. Der Feind kommt aus dem Westen, aus Berlin, aus einer anderen Weltanschauung. Sie machen Karl ihre Position klar. Er schätzt ihre Offenheit und mag das Ehepaar, auch wenn er ihre Ansichten nicht immer teilt, lernt er sie zu tolerieren und am Ende, wenn er geht, wird er sie in sein Herz geschlossen haben. An der Zufahrt zum Seehaus ist eine hölzerne Schranke und Buchholz sofort zur Stelle, wenn ein Auto vorfährt, zur Überprüfung der Zufahrtsbefugnis.

In einem Bungalow neben dem Ehepaar Buchholz wohnt Frau Heitmann, die nach der Wende das Seehaus für einige Jahre als Hotel führte, sie ist geblieben und bleibt eine Fremde, denkt Karl, aus dem Westen und getrennt von ihrem Mann, der hier eine unrühmliche Rolle spielte. Er kam als Liquidator, wickelte eine LPG in der Nähe ab und pachtete gegen die Betriebskosten das Seehaus, verschwand irgendwann und ließ ein schlechtes Andenken und seine Frau zurück. Karl glaubt die Geschichten über ihn nicht recht, Geschichten über Betrug und Bankrott. Dazu ist ihm die Frau zu sympathisch, die Vorstellung von einem schlechten Menschen an der Seite der, wie er findet, offenen und ehrlichen Frau, paßt nicht zusammen, aber es paßt einiges nicht zusammen, denkt er, hier in Liebenberg.

Dann ist da noch Balduan, Schichtarbeiter im Recyclinghof in Grüneberg, den sieht Karl fast nie.

Das Dorf ist zwei Kilometer entfernt, eine Gaststätte im heruntergekommenen Schloß, die von den Einheimischen nicht besucht wird, die gehen lieber zu Rolfs Eckladen, Flaschenbier trinken. Der Laden ist in einer ehemaligen Garage eingerichtet und die einzige Einkaufsmöglichkeit im Ort. Dorfleben findet hinter verschlossenen Türen oder auf dem Friedhof als sommerlicher Treff statt. Alle zwei Wochen, dienstags, ist Rommétag bei Buchholzens, wo sich die ältesten Liebenberger, kaum ein Dutzend, treffen und die Politik bestimmen. Die anderen Einwohner sind sowieso keine richtigen Liebenberger, meist erst nach dem Krieg zugezogen, heißt es von den „richtigen“ Liebenbergern.

Karl lebt sich ein. Er liebt die Sonnenuntergänge, das Schwimmen im See, die Spaziergänge in den Wald. Er schläft ohne Uhr, sitzt nachts lange wach und liest. Alle paar Wochen organisiert er eine Lesung für Liebenberg, aber auch für sich. Er lädt ein, und aus Berlin und Leipzig kommen Freunde und aus der Lesung im Ort wird ein Fest im Seehaus. Und die, die da waren, kommen wieder zu Besuch, und Karl freut sich über Leben im Haus und ist froh, wenn wieder Ruhe einkehrt in die stillen Mauern.

Am Ende seines Aufenthaltes soll er eine Chronik abliefern, so will es der Vertrag. Die LEG Wohnen ist sein Auftraggeber. Die Brandenburgische Wohnungsbaugesellschaft hat Liebenberg gekauft, offiziell am 01. Januar 2000. Das Schloß, den Park, das Dorf, die Kirche, das Seehaus, Wald und Feld, die Seen, insgesamt etwa 1500 Hektar Land. Aus Schloß und Seehaus soll eine Management-Schule für die Deutsche Kreditbank, die Nachfolgerin der „Staatsbank der DDR“, werden.

Karl liest, Christian Graf von Krockow, Wolf Jobst Siedler, natürlich Theodor Fontane. Preußen, Brandenburg, die Mark im Allgemeinen, Liebenberg im Besonderen. Was ist Liebenberg? Die Frage drängt sich Karl auf. Er will die Vorgeschichte kennenlernen, um die Gegenwart bewerten zu können, er will versuchen, sich mit dem Alten vertraut zu machen, um einen Blick auf das Neue zu finden.

Ein Kommentar anzeigen

  1. Das unrühmlichste und skandalöseste ist doch, das man auch noch mit Herman Göring als : “ …Geschichte – der preußische Ministerpräsident und Reichsjägermeister

    Hermann Göring …“ wirbt – ach wie niedlich….

    Kein Wort von Nazi, Kriegsverbrecher u.w.a.noch

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