Die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941-1944“ wurde trotz aller Versuche, in Leipzig verheimlicht und dann kriminalisiert zu werden, rege besucht
Die besseren Zeiten des Alten Messegeländes liegen schon einige Jahre zurück. Damals, als zweimal im Jahr, während der Messe, Tausende von Besuchern über das Gelände pilgerten. Heute regiert hier allein Tristesse. Verlassen liegen die Straßen da, verschlossen sind die Messehallen. Ein einsamer Wachmann vertritt sich die Beine. Nur ein Fahrradhändler und ein Ramschladen haben sich in dieser Abgeschiedenheit niedergelassen. Allein die Hoffnung, dass sich jemand hierher verirrt, stirbt zuletzt. Am Eingang kein Hinweis auf die Ausstellung. Nur an einem Laternenmast baumelt ein Plakat.
In diesem Niemandsland, in der ehemaligen Messehalle 14, war in den vergangenen Wochen die neu konzipierte Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimension des Vernichtungskriegs 1941-1944“ zu sehen. Überall, wo die Ausstellung gezeigt worden ist, riefen die gezeigten Dokumente heftige Diskussionen hervor. Das war auch in Leipzig der Fall. Aber der eigentliche Skandal ist das Verstecken der Ausstellung in der Einöde des Alten Messegeländes. Erstaunlicherweise rief das bei der Leipziger Bevölkerung kein Unverständnis hervor.
Dass die Stadt als Veranstalter auftreten konnte, verhinderte ein Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 1999. Dieser war auf Drängen der CDU-Fraktion unter Führung ihres Vorsitzenden Volker Schimpff beschlossen worden. Der Politiker wehrte sich gegen die städtische Unterstützung mit der Behauptung, die Ausstellung „arbeitet mit Verfälschungen, Verzerrungen und Verleumdungen.“ Dabei sieht sich der Fraktionsvorsitzende gar nicht als Verhinderer der Ausstellung, denn, so Schimpff, „in unserer Demokratie gibt es Meinungsfreiheit – auch für Fälscher.“ Soviel zum kruden „Geschichtsverständnis“ eines Herrn Schimpff. Doch am Ende hat alles Verstecken und Verheimlichen nichts genutzt. Wie in vielen anderen Städten zuvor wurde auch in Leipzig die vom Hamburger Institut für Sozialforschung initiierte Ausstellung verlängert.
Leipzig war die dritte Station der überarbeiten Schau, nachdem sie im Jahr 2000 wegen falsch zugeordneter Fotos vorübergehend geschlossen worden war. Das ist für ihre Kritiker das beliebteste Argument, dass die Verbrechen nicht von der Wehrmacht begangen worden sind. Dabei steht außer Frage und ist nicht erst durch die Ausstellung belegt, in welchem Ausmaße die Wehrmacht an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen ist. Auch das Argument, der Titel der Ausstellung pauschalisiere und beschuldige zu Unrecht unbeteiligte ehemalige Angehörige der Wehrmacht, greift zu kurz. Dieser Vorwurf ist schon aus dem Grund haltlos, weil die Ausstellungsmacher Dokumente zusammengetragen haben, welche die Mitwirkung einzelner Verbände der Wehrmacht zeigen.
Da mag es manchen ehemaligen Wehrmachtssoldaten überfordern, wenn Jan Philipp Reemtsma in einem Vortrag genau auf diesen oft gehörten Vorwurf eingeht, und wenn er die ?Handlungsspielräume? jedes einzelnen Individuums in einem theoriegeschichtlichen Rekurs erklärt. Das soll so sein. Was viel bedenklicher erscheint, ist, wie intakt die Glorifizierung der Wehrmacht ist, wie ungeniert jegliche Kritik zurückgewiesen wird, wie ein Geschichtsbild gepflegt wird, das Staunen macht. Da kann ein Familienvater in einem Radiointerview gegen die Verleumdung seines Großvaters wettern, hält ein Verein ehemaliger Wehrmachtssoldaten unter dem Dach der Gemeinnützigkeit ihre Version der Geschichte lebendig.
Ein Blick in das Gäste-Buch der Ausstellung verrät: Die Mehrheit der Besucher hat das Anliegen verstanden. Und denjenigen Schüler und Schülerinnen, denen die Ausstellung zu langweilig gewesen ist, ist zu wünschen, dass sie hoffentlich bald erkennen, dass sich die Welt nicht nur um modische Klamotten, nahtlose Solariumbräune und Disko-Besuche dreht. Aber das eigentliche Verdienst dieser Ausstellung ist es, gezeigt zu haben, dass auch mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende dieses Thema noch längst nicht abgearbeitet ist.
Verbrechen der Wehrmacht. Dimension des Vernichtungskriegs 1941-1944
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