Giaccomo Puccini: „Madama Butterfly”, Premiere (Wolfgang Gersthofer)

Giaccomo Puccini: ?Madama Butterfly?
Oper Leipzig; Sa 7. September 2002, 19.00 Uhr (Premiere)

Musikalische Leitung: Keri-Lynn Wilson
Inszenierung: Robert Carsen
Ausstattung: Paul Steinberg
Choreinstudierung: Anton Tremmel

Cio-Cio-San: Svetlana Katchour
Suzuki: Annelott Damm
Pinkerton: Jyrki Anttila
Sharpless: Martin Ackermann
Goro: Dan Karlström
Yamadori: Arnd Rauhut
Onkel Bonze: James Moellenhoff

Geplatzte Blütenträume
Carsens flämische ?Butterfly? am Augustusplatz

Für die erste Premiere ihrer zweiten Saison griff die Intendanz der Oper Leipzig auf eine bewährte Produktion von Puccinis beliebter Japan-Tragödie zurück: Robert Carsens Inszenierung lief bereits vor einigen Jahren in Antwerpen. Sie basiert auf der weniger bekannten (Uraufführungs-)Fassung von 1904.

Im ersten Akt bohrt sich ein dunkler Schiffsbug in das hier überdimensionierte japanische Häuschen mit den elastischen Wänden. Ein gewiß passendes Sinnbild für die zentrale Figurenkonstellation des Stückes. Etliche eindrückliche Momente bot die insgesamt schlüssig-stringente szenische Umsetzung Carsens. Etwa die abweisende Haltung (mit statisch ausgebreiteten Armen) der violettgewandeten Verwandten gegen Schluß des Bonze-Auftritts. Daß am Ende des großen Liebesduetts, das wie knapp zwanzig Jahre zuvor in Verdis ?Otello? den ersten Akt beschließt, sich plötzlich rauchende Schiffsoffiziere über die Reeling beugen und kennerisch auf das dem Liebesrausch sich hingebende junge Paar unten deuten, hätte Rezensent freilich dem Regisseur gerne geschenkt: Das war doch ein bissl sehr plakativ. (Als dieses Liebesduett sich, romantisch zart, zu entspinnen begann, war übrigens, aus den ersten Parkettreihen, das obligatorische Handy-Klingeln zu vernehmen!) Ungewohnt auch die Gestaltung des berühmten langen Orchesterstücks, das Cio-Cio-Sans durchwachte Nacht zwischen 2. und drittem Akt zu schildern hat. Hier wurde ein großer Traum von der Wiederkehr ihres Marine-Strahlemanns und der Aussöhnung mit ihrer eigenen Familie inszeniert. Bezeichnenderweise tritt Pinkerton dann am nächsten Morgen nicht in Weiß (wie im ersten Akt und im Traum), sondern in Dunkelblau ins Häuschen. Packend dann der ganze Schluß: Butterfly ,säubert‘ ihren Privat-Altar, pfeffert die amerikanischen Fähnchen und schlußendlich auch ,seine‘ Photographie hinweg und streift sich zur Harakiri-Zeremonie das traditionelle violette Gewand über. Daß dabei und danach ihr Kleiner (der Sohn des Sharpless-Darstellers im übrigen) sich noch ? durch eine starr-unheimlich Maske geschützt ? auf der Bühne befindet, erzeugt zusätzliche Beklemmung.

Svetlana Katchour, in der vergangenen Saison bereits als Elisabeth im ?Don Carlo? zu hören, gab der Titelheldin durchaus Profil. Das große Aufblühen in der Höhe blieb sie allerdings schuldig, auch hätten die kindlichen Momente im ersten Akt in der stimmlichen Gestaltung stärkere Berücksichtigung finden können.

Jyrki Anttila, dem man den attraktiven Sunnyboy, welchen er zu verkörpern hatte, gut abnahm, verfügt über eine an sich angenehm timbriete Stimme, der freilich vokale Italianit? ? Geschmeidigkeit und Schmelz ? ein wenig abgeht. Nach der Pause blieb dem Finnen wenig zu tun: ?Addio, fiorito asil?, Pinkertons Reue-Arie gab es in der Urfassung noch nicht! Überhaupt sind dort die Züge kolonialer Überheblichkeit krasser ausgeprägt: Pinkerton ist ganz der arrogante Yankee, der sich über die einheimischen Gebräuche lustig macht, Cio-Cio-Sans Diener als ?Fratzen? (?musi?) bezeichnet oder die japanischen Süßigkeiten verächtlich zurückweist.

Wo es Verantwortung zu übernehmen gelte, schickt Pinkerton seinen besonneneren Freund Sharpless, den Konsul in Nagasaki, vor. Martin Ackermanns Darstellung trug dem ganz Rechnung. Gelegentliche Höhenprobleme können vielleicht der Premieren-Nervosität zugeschrieben werden. Jedenfalls war der junge Ensemble-Bariton in dieser Partie stimm(fach)lich gewiß mehr zuhause als in jener, die ihm bei der Eröffnungspremiere der letzten Saison übertragen worden war (?Hoffmann?-Bösewichter).

Das dünne Programmheft (alles in allem gerademal zwei Dutzend Seiten) enthält wenigstens die nötigsten Hintergründe der ? für diese Oper nicht ganz leicht über- und durchschaubaren ? Fassungsgeschichte. Und immerhin, der längste Artikel des Heftchens ist ein Originalbeitrag ? aus der Feder unseres allbekannten Lokalkritikers: ?Exotismus also, allüberall. Oder Alles abgekupfert ? immer schon?. In seinen ersten vier Fünfteln bietet er, bevor Puccini als ?Quantensprung? bzgl. der Exotismus?Idee in der Oper gefeiert wird, einen flapsig geschriebenen ? wir kennen diesen Stil aus unzähligen Kritiken ? Schnelldurchgang durch die Musikgeschichte von den alten Phöniziern an. Interessant-abenteuerliche Erklärungsmodelle für die Organa der Notre Dame-Schule, die ihre komplexen Mehrstimmigkeits-Techniken den späteren Generationen ?vorgeturnt? hätten, sind da etwa zu lesen. Umstandlos wird dann die ?seconda prattica? ? wir befinden uns nun um 1600 ? mit der Monodie gleichgesetzt (!). Schließlich beweist der Verfasser wenig Einsicht ins Wesen der grand opéra, als er die eigentliche Entdeckung der (musikalischen) couleur locale der späten opéra comique (Bizet) zuschanzt (wenn wir schon beim beckmessern sind: der angesprochene Sachs-Rat lautet dahingehend, die Regel selbst zu ?stellen? ? nicht zu setzen ? und ihr dann zu folgen). Ein ärgerlicher Beitrag (der einem Programmheft eines seriösen Opernhauses nicht eben gut ansteht).

Erfreuliches ist aus dem Orchestergraben zu vermelden: mit einer sauberen Orchesterleistung, wie sie in vergangenen Jahren auf der Nordseite des Augustusplatzes beileibe, selbst bei Premieren, nicht immer die Regel war, warteten die Gewandhäusler auf. Keri-Lynn Wilson schien nicht so sehr auf die oft übliche (bombastische) Puccini-Emphase zu setzen, sondern auf eine straffe, stellenweise fast ,sachliche‘, jedoch mitnichten unbeteiligte, Ausdeutung der Partitur aus zu sein (was der Gesamtwirkung durchaus keinen Abbruch tat!). Gleichwohl gab es satte Tremoli beim Bonze-Auftritt oder hymnische Aufschwünge von atmosphärischem Reiz im Liebesduett zu hören. Die junge kanadische Dirigentin dürfte sich bei ihrer ersten Leipziger Arbeit den Respekt der hiesigen Orchesterherren (und -damen) erworben haben.

(Wolfgang Gersthofer)

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