Ekkehard Schulreich und Michael Wilhelm erzählen und illustrieren einen literarischen Landgang
Ein literarischer Landgang lautet der Untertitel des neu im Verlag DIE SCHEUNE Dresden erschienenen Bandes Abräume. Er vereinigt Texte von Ekkehard Schulreich und Michael Wilhelm aus den vergangenen zwölf Jahren, Gedichte, Prosa, aber auch Kneipenlyrik, spontan und assoziativ geschriebene Verse, die den Weg von den Bierdeckeln in dieses Buch fanden. Beide Autoren sind in Leipzig fest ansässig, trotzdem umherschweifend, wie der Klappentext bemerkt. Neben Leipziger Szenen finden sich Spaziergänge in die nähere und weitere Umgebung, Spreewald, Rhön, sogar die Steiermark.
Michael Wilhelm vermerkte bei den meisten seiner Gedichte ein Datum, sie erinnern nicht nur dadurch an rasch notierte Gedanken. In ihnen herrscht eine wütende Stimmung vor. Die Gedichte schreiten oft in Assonanzen voran, die immer wieder zu schönen Wendungen und Wortneuschöpfungen führen: „Die Zeitung lag aus / Schlagzeilen wie Schlagrahm“. In einem wunderbar ironischen Gedicht über die Steiermark treffen wir auf den „Grüß Gottlosen“ und reichen dem „an die Kirchenwand Pinkler“ eine Kruke „mit kochendem Hundertwasser“.
In manchen Gedichten treiben es die Assoziationssprünge auch ein bisschen weit, etwa im Hammersong, der alle nur möglichen Variationen dieses Werkzeugs durchhämmert von „Hammerwerk“ über „hämmernde Herzen“ bis zum Zitat „If I had a hammer“ und kalauerhaften Wendungen wie „Angst hammer nicht, Herr Hammerschmied“. Aber vielleicht ist gerade das die Absicht des Autors: der Leser bleibt am Ende dieses Songs mit einem hämmernden Rhythmus im Ohr zurück. Manche Wortneuschöpfungen und Assonanzen wirken auch etwas erzwungen, vor allem in dem Gedicht Canzone: „Lustwandeln?-/ Frustwandeln / An einem Tresenabend / Augen zu / Und ab durch die Kneipenmeile“, auf der wir im späteren Verlauf des Abends auf „AufSchneider“, „Entmiethaie“ und „Transinvestiden“ treffen. Stark ist Michael Wilhelm in Gedichten, die sich auf ein einziges klares Bild konzentrieren, das die übrigen Elemente des Textes zusammen fasst, wie z.B. in Serbisch kochen: „Serbisch kochen / geht alles in einen Topf / … Dann ist das Partisanenfraß / Macht jeden stark / Doch wer / Löffelt das aus“.
Lyrik und Prosa von Ekkehard Schulreich wirken durchgearbeiteter, auch in ihnen spürt man eine Liebe zu Assonanzen, wie z.B. in dem Prosatext Mittsommerdeutsch: „nach lehm schmeckt das bier, auch das lemberger kammerorchester soll hier gastieren, hörte ich.“ In der Kleinschreibung, die Ekkehard Schulreich in einigen seiner Prosatexte benutzt, deutet sich ein Misstrauen an den Wörtern an, das der Autor in dem Prosatext Ich beginne sogar thematisiert: „dann vergesse ich plötzlich auch, welche Worte groß und welche klein geschrieben werden, ahne, dass alle Worte zu klein sind, zu spröde, zu wenig, um ein Bild zu geben dieser Zeit.“ Der Tonfall seiner Texte ist nachdenklich, weniger laut und wütend als bei Michael Wilhelm. In einigen Gedichten schlägt er durch Wortinversionen einen altertümlichen Klang an: „Staub schneegleich weht aus meinem Mund, / nimmt jedem Wort den Klang.“ In dem verhaltenen Gedicht Im Birnenlaub begegnen wir sogar einem ungereimten Sonett.
Schulreichs Prosa thematisiert Kindheit und Erinnerungen an Dörfer und Landschaften. Nichts ist mehr, wie es war, „was jahrmillionen wuchs, jahrhunderte trug, es ist vergangen mit einer anderen endgültigkeit als mit der, in der die königsfarben wechseln.“ Doch in diesem Neuland der Abraumhalden finden sich neue Räume, „alles liegt vor uns, beginnt erst, beginnt neu, trotzt der Verklärung. Ich fühle mich größer, gewachsen, da ich sehe, wie wenig sichtbar bleibt von jenem, das schwer wiegt, das weiter tragen werden ich und du als meine Komplizin, willst du oder nicht.“ Einen hoffnungsvollen, gelegentlich ironisch durchwachsenen Ton schlägt auch das letzte und einzige von beiden Autoren gemeinsam verfasste Gedicht dieses Bandes an, Unglaubliches Treiben: „Zur Erde / perlt Lust, ein ahnungsvoller Ruch. / … Nun schlägst du zu, Äugeln / in ständiger Periode, Frühlingsweib.“
Einem strotzenden „Frühlingsweib“ greift auf der vorletzten Seite ein Halbmond grinsend an die Brust. Michael Wilhelms Grafiken sind eine weitere Würze dieses literarischen Landganges. Gegenständlich und ganz der Linie verpflichtet, stehen diese Zeichnungen für sich, ohne die beigeordneten Texte nur zu illustrieren. Angedeutete Abrisskanten eines Blockes geben auch den Grafiken des Autors den Anschein des Spontanen, soeben Skizzierten. Die Figuren sind mit wenigen, expressiven Linien gezeichnet und mit einem ornamentalen Gewirr von dünneren Linien gefüllt. Dazu gesellen sich klar erkennbare Symbole, wie fliegende Smilies, Geldstücke oder Herzen. Ironisch und kraftvoll nehmen diese Figuren ihren Raum in Besitz. Abräume schaffen neue Räume.
Ekkehard Schulreich, Michael Wilhelm: Abräume
Verlag DIE SCHEUNE, Dresden 2002
Schulreich: Gedichte und Prosa
Wilhelm: Gedichte und Grafiken
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