Tim Etchells/Forced Entertainment \’QUIZOOLA!\‘, Premiere (Ian Sober)

21.09.02, Schauspielhaus Leipzig, Horch und Guck

Tim Etchells/Forced Entertainment ‚QUIZOOLA!‘ (Premiere)
Deutsch von Thomas Oberender

Regie: Ulrich Hüni
Bühne und Kostüme: Diana Pähler
Dramaturgie: Sonja Bachmann

Es spielen:
Patrick Imhof
Aurel Manthei
Theresa Scholze
Michael Schrodt

(Foto: Schauspiel Leipzig)


Wer hat Angst vor bösen Fragen?

Nicht erst seit Big Brother weiß man, daß der Mensch das Bedürfnis hat, dem anderen ins Privatleben zu glotzen. Während zu Prousts Zeiten Fragebögen ? l? „Welche Eigenschaften schätzen sie besonders an einem Mann/einer Frau“ in Mode waren, hat sich Max Frisch einen fiktiven und recht sarkastischen Fragebogen zu Beziehungsproblematiken ausgedacht. Heutzutage im Reality-TV ist der Dialog, das geplante Experiment also, dem bloßen Zugucken gewichen. Dabei erfährt man, daß man mit seinen Problemen nicht allein ist, und dann aber auch, was die anderen behaupten, erlebt zu haben, was das Leben also vielleicht noch an Erlebenswertem bereithielte, gäbe man die passive Zuschauerrolle auf. Und unabhängig von der Container-Soap gibt es die althergebrachten und allseits beliebten Quizshows. Denen scheint ein ähnliches Motiv zugrunde zu liegen: Der Kandidat enthüllt einen Teil seines geistigen Horizonts, der Zuschauer kennt die Antwort, oder er hält sie für belanglos.

Was aber ist QUIZOOLA? Eine Mischung aus Quiz und Reality-TV. Ein Zoo von Fragen unterschiedlichster Couleur in Form einer Zweimann-Show, bei der ganz schnell die Schale des Schauspielerns abfällt. Und das im wahrsten Sinne, denn die Akteure legen rasch ihre Sonnenbrillen und Schnurrbärte ab und die Perücken sitzen ihnen so lose wie Hüte auf dem Kopf. Bald gehen sie sogar zu ihren echten Vornamen über, und die Grenzen zwischen Geprobtem und dem richtigen Leben beginnen sich aufzulösen. Auf harmlose Fragen wie „Woher kommt das Fernsehen?“, „Was kannst Du besser als Goethe?“, folgen plötzlich Fragen nach der beliebtesten Sexstellung oder nach Masturbationsgewohnheiten. Wer ehrlich ist und in den Sog des Bekennens gerät, riskiert noch schamlosere Fragen, und wer mauert, verliert schnell die Sympathie des Publikums. Man gewinnt den Eindruck einer persönlichen Gratwanderung und ist sich nie ganz sicher, wo das Gespielte aufhört und die Spontaneität anfängt.

Sind Aurel Manthei und Michael Schrodt auch privat so giftig zueinander? Erfährt man unbeabsichtigt so viele Intimitäten oder wurde das vorher ausgelotet? Es scheint ein Prinzip von Ulrich Hünis Inszenierung zu sein, solche Fragen offenlassen zu wollen. Das Stück entlarvt den eigenen Spaß am Voyeurismus, der Zuschauer ist gewissermaßen beim Zappen hängengeblieben und schaltet nicht mehr um. Das könnte er nämlich, es gibt zwei weitere Orte, die man während der Vorstellung aufsuchen kann – um andere Gesprächspartner zu belauschen – was aber kaum in Anspruch genommen wird (und es bleibt die einzige Art, wie das Publikum mitmachen kann). Wirklich zwingend sind diese drei Bühnen nicht, denn nacheinander kommen alle vier Mitwirkende auf die zwei Drehsessel der Hauptbühne und übernehmen mal die Rolle des Fragestellers, mal die Rolle des Befragten.

Dabei ist es interessant, die Dynamik der verschiedenen Konstellationen zu beobachten. Vielleicht die gelungenste Kombination ist Schrodt/ Manthei, der erste souverän und um Differenziertheit bemüht, letzterer nie um einen Kalauer verlegen, aber auch weit weniger selbstbewußt als dann in Kombination mit Theresa Scholze, die als langbeinige Blondine den Dialog auf die Flirtebene zu ziehen bemüht ist. Patrick Imhof wiederum verzieht weder in der Rolle des Fragers noch in der des Kandidaten eine Miene und läßt einfallslose Fragen oder Antworten gnadenlos durchfallen.

Alles in allem zwei unterhaltsame Stunden, zu deren Gelingen auch die schrägen Outfits der Protagonisten beitragen. Irgendwelche Prominente mögen einem da in den Sinn kommen (Helge Schneider? Hugh Grant?), und zum Schluß gibt’s sogar ein – Sensation um jeden Preis – Spiegelei als Kandidaten, das erschöpft in seinen Sessel sinkt, nachdem es beim turnusmäßigen Drehen der Bühne außer Atem geraten ist…

(Ian Sober)

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