Mutmaßungen über Guido Knopp

Es tagt „Der Tote Salon“ mit Gerhard Henschel, Rayk Wieland und Michael Rudolf

Fast schon traditionell ist diese Einrichtung zu nennen, die nun seit schon fast drei Jahren jeweils einmal im Monat im Nachtasyl des Hamburger Thalia-Theaters stattfindet: Wenn die „Titanic“-Autoren und selbsternannten Kulturkritiker Gerhard Henschel und Rayk Wieland zur monatlichen Lesung samt Gast bitten, jubiliert das Publikum und delektiert sich an den kurzen Prosastücken und Gedichten, die in Zeiten der politischen und kulturellen Indifferenz dem politischen und gesellschaftlichem mainstream die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Von besonderer Brisanz ist der Auftritt des Duos mit ihrem Gast Michael Rudolf (Brauer, Pilzkenner und wie Wieland schon als Autor und Herausgeber einiger Bände des Reclam Verlags Leipzig in Erscheinung getreten) an diesem Abend aus zweierlei Gründen: zum einen liegt die Bundestagswahl gerade einmal zwei Nächte zurück, zum anderen sind Wieland und Henschel nicht zuletzt in ihrer Funktion als „Titanic“-Redakteure nicht gerade beliebt beim ostdeutschen Publikum ? „Zonen-Gaby“ und andere Stiche gegen die Menschen aus der „Zone“ dürften dafür gesorgt haben, daß der Lesungskeller der Moritzbastei an diesem Abend nicht allzugut gefüllt ist.

Doch die Satiriker sorgen schnell dafür, daß Heiterkeit dunklen Gemäuer füllt. Rayk Wieland beginnt mit einem Gedicht, welches Auskunft von seinem Haß auf den großen Geschichtsbedenkenträger des deutschen Fernsehens, Guido Knopp gibt. An dieser Stelle sei schon verraten, daß Wieland Knopp auch die Schuld am Tod von Prinzessin Diana gibt, denn der Autor Wieland schrieb einst selbst eine Monographie über die „Neurose of England“ und vertritt in einem exklusiv an diesem Abend in der MB vorgestellten Mehrzeiler die These, Guido Knopp habe am Steuer des weißen Fiat gesessen, der im Sommer vor fünf Jahren den Spencerschen Mercedes durch ein gefährliches Überholmanöver schließlich an einem Tunnelpfeiler kollabieren ließ. Das Terrain ist denn auch schnell abgesteckt: Wieland und Henschel lesen aus ihrem jeweils umfangreichen Werk, das Romane, Lyrik und eine Vielzahl von Glossen u.a. für die „Wahrheits-Seite“ der Berliner taz umfaßt. Michael Rudolf hingegen, der gerade einen beachtlichen Verkaufserfolg mit einem neuen Bierführer gelandet hat und ehedem schon als Pilzkenner in Erscheinung trat, gibt kleine Häppchen aus diesen Werken zum Besten.

Hier wird Zynismus kultiviert, und wenn man mit Rudolf und Wieland gleich zwei gebürtige Leipziger am Tisch sitzen hat, darf der Zuhörer sicher sein, daß auch die neuen Länder und ihre Einwohner nicht vom Spott des Trios verschont bleiben. So trägt Henschel eine Passage aus seiner neuesten Kollaboration mit Wiglaf Droste, dem „Mullah von Bullerbü“, vor. In jener Szene läßt er den Theologen Hans Küng in einer Erlebnisbuchhandlung in Eisenach zur Lesung antreten. Erst im Verlauf der Lesung wird ihm klar, daß das ostdeutsche Publikum ihn für einen Autor von Horrorromanen mit ähnlich lautendem Namen hält, woraufhin sich Küng seiner Rolle als Prediger des Weltethos gewahr wird und Heil in einem Irish Pub sucht. Rayk Wieland erzählt später von dem Leid, den Namen „Leipzig“ als Geburtsort im Paß zu tragen, und Rudolf unterzieht auf Bitte Wielands das den Lesenden bereitgestellte Bier einer eingehenden und recht wohlwollenden Kurzkritik.

Das Prinzip des „Toten Salons“ besteht in der Auffassung der Autoren, sich nicht der allerorten gepflegten „Tyrannei der Intimität“ (ein vom amerikanischen Soziologen Richard Sennett geprägter Terminus) zu ergeben, sondern in stoischer Gelassenheit eigene Texte vorzulesen, ohne die anderen Podiumsmitglieder dabei fortwährend über ihre Intentionen zu befragen: „Wir drei kennen uns inzwischen alle ganz gut“, konzediert Rayk Wieland, „doch auf der Bühne sprechen wir nicht miteinander !“ Wohin die Öffnung des Privaten im öffentlichen Raum führt, demonstriert Gerhard Henschel anschließend an dem fortschreitenden Danksagungs-Unbill in Dissertationen und wissenschaftlichen Abhandlungen, sowie dem Verbalgeplänkel der Nachrichtenredakteure während einer „News“-Sendung im Privatfernsehen.

Es wundert daher nicht, daß sich ihre Texte, ob in taz oder Titanic, größter Beliebtheit erfreuen. In dem Maße, in dem die gesellschaftlichen Diskurse vereinheitlicht bzw. vor dem Ansturm der Massen vulgarisiert werden, entsteht ein Vakuum, das die gute politische Satire trefflich zu füllen weiß. Kein Wort der drei Autoren an diesem Abend zur gerade erlebten „Krimiwahlnacht“. Andere haben weiß Gott genug darüber geredet und geschrieben. Stattdessen kleine, feuilletonistisch-satitirische Leckerbissen, wie etwa ein offener Brief Wielands an de ehemaligen Hamburger 1. Bürgermeister Ortwin Runde, oder, von Rudolf mit grienender Häme vorgetragen, ein „Porträt“ der „MDR-Riverboat“-Moderatorin und Schlagersängerin Kim Fisher, der Meinung Rudolfs nach „prasseldumm“ und die eigentliche Offenbarung ostdeutschen Kulturfernsehens.

Gerhard Henschel schließt die Zugabe mit einem Aufruf: seine Zungenbrecher-Sammlung (aus der er einige zum Besten gibt) sehne sich nach Zuwachs, man möge ihm schöne Wortschöpfungen zukommen lassen. Triumphal und unter dem lauten Klang eines DDR-Liedermarsches verlassen die Autoren die Bühne; ein nachdenklich-begeistertes Publikum begibt sich hinaus: “ Es wird deutsch in Kaltland!“ (Henschel)

„Der Tote Salon“ mit Gerhard Henschel, Rayk Wieland und Michael Rudolf
24. September 2002, Moritzbastei

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