„Urlaub unter Balken” Versuch 17, Uraufführung (René Granzow)

26.09.02 Schaubühne Lindenfels

„Urlaub unter Balken“ Versuch 17 (Uraufführung)

von und mit Riccarda Herre und Wolfgang Krause Zwieback
Bühne/ Licht/ Ton: Bernd E. Gengelbach
Assistenz: Vera Sitz


Urlaub bis sich die Balken biegen

All das Folgende nur unter Vorbehalt: Es ist nur eine Variante der Deutung des Stückes, welches am Donnerstag in der Schaubühne Lindenfels Premiere feierte. Jeder, der in diese Aufführung geht, verlässt diese wahrscheinlich mit anderen, einander womöglich widersprechenden Assoziationen und Empfindungen. Und das ist gut so: das Gesehene lädt ein zum Austausch, zur Diskussion, zu Fragen (diese sind zahlreich nach dem Stück). Offen gesagt, alle diejenigen, die sich einen typischen Theaterabend vorstellen, also vielleicht eine stringente Handlung erwarten, logisch nachvollziehbare Dialoge, sind hier fehl am Platze. Doch für diejenigen, die sich gerne in der Imagination treiben lassen, ist diese Vorstellung ein Muss. Die Zuschauer erwartet eine Collage aus wirrem Spiel, absurdem Wortwitz, hervorragendem Tanz und Philosophie.

Worum geht es?
Zwei Menschen, Isabella ( Riccarda Herre) und Worko (Wolfgang Krause-Zwieback) machen Urlaub, dieses Mal zu Hause. Wie diese beiden Figuren zueinander stehen, bleibt ein Rätsel ? sie könnten ein Paar, Arbeitskollegen oder auch nur durch Zufall, durch die geistige Vorstellung, zueinander gekommen sein. Alles ist irgendwie möglich. Jedenfalls wird im Laufe sichtbar, dass sie Gegenpole bilden, dass sie sich verschiedenartig entwickeln, dass sie sich nah und gleichzeitig fern sind. Sie spielen miteinander, aber scheinbar auch gegeneinander, sie ziehen sich an und stoßen sich gleichzeitig wieder ab. Und obwohl sie im gleichen Raum leben bzw. sich erholen ? denn es ist ja Urlaub ? ist sein Denken und Handeln in diesem Raum gefangen, das ihre hingegen geht über die Grenzen hinweg, sucht Neues, Anderes.

Sichtbar wird dieser Unterschied zwischen beiden besonders im Umgang mit den zahlreichen Büchern, die in einem überdimensionalen schiefen Turm aufgestapelt sind (die Symbolik des Turmes bleibt ebenso ein Rätsel; der schiefe Turm der Pisastudie z.B., andere Deutungen sind möglich). Während er die Bücher immer nur kurz aufschlägt, um sie gleich wieder zu schließen, diese gelegentlich sogar durch das Zimmer schmeißt, scheint sie die Texte der Bücher zu leben; sie träumt sich mit ihnen ans Meer ? in die blaue Stunde ?, durchlebt und durchleidet jede einzelne Seite. Er ist also der Sammler, der Wissen in materieller Form anhäuft, sie ist diejenige, die das Wissen für sich nutzt. Aber „man muss nicht immer alles auf einmal machen“, sagt er ihr in einer Szene.

Die beiden machen also Urlaub, zu Hause. Seit siebzehn Jahren oder erst seit drei Wochen, auch das bleibt offen. Sie haben sich gegenseitig Spiele entwickelt, Denk- und Körperspiele. Bis zu dieser Stelle könnte man glauben, hier werden verschiedene, teilweise sehr witzige Variationen eines Themas ‚Urlaub zu Hause‘ vorgeführt. Sie bleiben aber nicht am Ort. Sie reisen auch, in das Gestern, das Jetzt, in das Nahe und das Ferne. Doch verlassen beide wirklich den Raum? Reisen sie in Wirklichkeit nach Paris ? oder denken, reden sie sich nur dorthin? Und kehren sie beide zurück? Es scheint fast, als würden sie sich dadurch verlieren. Sinnloserweise versucht er sie zu halten, indem er ihre Schatten nachmalt. Er kehrt zurück in die eigene Welt, und sie? In einem großem Finale (wunderbar in Szene gesetzt) tanzt sie sich durch die bis dahin steinern wirkende Wand. Man sieht sie zum Schluss außerhalb der Bühne. Doch ist sie es wirklich?

„Urlaub unter Balken“ ist ein Stück mit verschiedenen Ebenen, ein Streifgang durch die Phantasie, die alles zulässt und nichts verabsolutiert. Es ist eine Improvisation mit dem Wissen aus dem Bücherschrank, das unterschiedlich genutzt wird, ein Spiel mit der Mythologie (die Balken als Götter). Und Worko will ein Buch darüber schreiben, weil die Menschen so orientierungslos seien und weil ja schließlich Urlaub ist. Und die Zeit will ja irgendwie genutzt werden, im Hier und Dort ? das wird sie zweifelsohne.

(René Granzow)

Nächste Aufführungen: 27., 28.09.02 und 4.-6.10.02 jeweils um 20.30 Uhr

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