Baldassare Galuppi „Die verkehrte Welt oder Die Herrschaft der Frauen” (Oliver Huck)

04.10.2002
Deutsches Nationaltheater Weimar (eWerk)

Baldassare Galuppi „Die verkehrte Welt oder Die Herrschaft der Frauen“ (Repertoire)
(Il mondo alla roversa, o sia Le donne che comandano)

Inszenierung: Michael Dißmeier
Musikalische Leitung: Olaf Storbeck


Frauenherrschaft in einer kastrierten italienischen Oper

Nach Veracinis Wie es euch gefällt im vergangenen Jahr ist Die verkehrte Welt die zweite Musiktheaterproduktion des Deutschen Nationaltheaters Weimar im eWerk. Galuppis Musik erwies sich dabei als resistent gegen dramaturgische deutsche Sonderwege, auf die noch einzugehen sein wird. Die unter der souveränen musikalischen Leitung von Olaf Storbeck differenziert und von jeder aufführungspraktischen Ideologie befreit hervorragend musizierende Staatskapelle Weimar zeigte, daß sich Barockoper auch mit hauseigenen Kräften produzieren läßt.

Die Bühne (Ausstattung: Bettina Merz) ist als multifunktionales Rondell angelegt, es dient den in Antagonien herrschenden Frauen als Curia, als Manege, in der sie sich ihre maskuline Menagerie halten, und als plüschsamtene Spielwiese zwischengeschlechtlicher Annäherung, die schließlich von Ferramonte und den durch seine Intervention ihrer Wildheit bewußt gewordenen Männern zur Ruine demontiert wird.

Mit Marietta Zumbült und Heike Porstein waren die beiden partie serie (Tulia und Rinaldino) optimal besetzt. Beide verfügen bei unterschiedlichem Stimmtimbre über jene unbedingte und atemberaubende Virtuosität, die jedes da-Capo und jede Kadenz zum uneingeschränkten Genuß werden lassen. Marietta Zumbült lotete in der Kadenz der Eingangsarie der Tulia Fiero leon che audace die gesamte tessitura ihrer brillanten Sopranstimme aus, selbst die Choreographie (Barock lies: Bar-Rock?) konnte den Eindruck der prophetischen Beschwörung der Gefahren löwenhafter Mannhaftigkeit nicht trüben. Rinaldinos Arie Nocchier, che s’abbandona wurde als viriles comming-out unter Ferramontes Anleitung inszeniert. Ferramonte stattet ihn nach und nach mit den Insignien eines vollwertigen Macho aus, neben dem Cowboyhut und dem Chefsessel auch mit einer Zigarre; Heike Porstein singt, dieselbe lässig zwischen den Zähnen balancierend, weiter und zelebriert damit die unerträgliche Leichtigkeit des sängerischen Seins. In ihrer ersten Arie Gioie care erreichte sie im da-Capo „an der Rampe“ mit rein stimmlichen Mitteln ein Maximum an auratischer Unmittelbarkeit.

Uwe Stickert als Ferramonte erwies sich als deren würdiger Gegenspieler, sein fulminanter Auftritt mit der Arie Quando le donne parlano war gleichermaßen musikalisch wie darstellerisch exzellent durchgestaltet. Damon Nestor Ploumis gab einen routinierten Giacinto, in seiner Arie Al bello delle femmine hielt es ihn, von den Frauen unwiderstehlich angezogen, nicht mehr auf der Bühne. Sein Ausflug ins Publikum war der Höhepunkt einer durchgehend sportlich akzentuierten Darstellung, doch ist physische Nähe des Sängers zwar wirksam, aber noch keine Garantie für die Wirkung der Musik. Während man bei ihm geschmackvolle Verzierungen im Vortrag vermißte, war deren Üppigkeit dem Charakter der ersten Arie der Aurora Quegl’occhietti s? furbetti nicht angemessen; Ulrika Strömstedt interpretierte die für sie maßgeschneiderte Partie ansonsten jedoch hervorragend.

Die beiden anderen Solisten wußten darstellerisch zu überzeugen, sängerisch zeigte Andreas Koch (Grazosino) gute Anlagen, in der ersten Arie Quando gl’augelli cantano, in der Galuppi sich als humoristischer Tierstimmenimitator zeigt, mangelte es jedoch an Präzision. Christine Hansmann (Cintia) vermochte ebensowenig die vollkommene Herrschaft über die Männer wie über ihre Stimme zu erlangen.

Hatte Michael Dißmeier im vergangenen Jahr mit Veracinis Wie es euch gefällt eine Oper gewählt, deren Rezitative nicht überliefert sind und konnte die Aufführung mit gesprochenen Dialogen damit als unumgänglich gelten, so bedarf die Streichung sämtlicher Rezitative in Il mondo alla roversa eines Kommentars. Die Suche nach einer dramaturgisch motivierten Balance zwischen Singen und Sprechen ist eine Grundkonstante des deutschsprachigen Theaters mit Musik, der Faust des Weimarer genius loci, aus dem Graziosino Gretchens Lied Mein Ruh‘ ist hin sprechend zu zitieren hatte (warum eigentlich?), ein beredtes Beispiel dafür. Das Singspiel – die bevorstehende Premiere von Mozarts Entführung aus dem Serail, für die sich zwei Sängerinnen heute unbedingt empfohlen haben, wird es hoffentlich zeigen – ist eine der möglichen Lösungen. Eine kastrierte italienische Oper ist trotz der Herrschaft der Frauen aber noch kein Singspiel. Während selbst in dem Film Spiel mir das Lied vom Tod die Titelmelodie, mit der Dißmeier Cintia auftreten läßt um Giacinto als Frauenmörder zu dingen, als Musik dramaturgisch motiviert ist, stehen sich in Dißmeiers verkehrter Welt hingegen deutsche Prosa und italienische Arien unvermittelt gegenüber. Die Musik ist ihrer Selbstverständlichkeit beraubt, ohne daß sie neu begründet wird. Es geht mir nicht darum, für die Oper eine der Aufführungspraxis dieser Gattung im 18. Jahrhundert nicht eigene und damit unangemessene Texttreue einzufordern. Die Streichung einzelner Arien ist je nach Besetzungsmöglichkeit legitim (ich habe keine Partitur verfügbar und schließe daher aus der Numerierung der Arien im Programmheft). Wenn jedoch die Finali – jene Form, der Goldoni und Galuppi ein Jahr vor Il mondo alla roversa in L’Arcadia in Brenta ihr unverwechselbares Gepräge gegeben hatten – nicht mehr am Aktschluß stehen, sondern durch die veränderte zweiteilige Gliederung der Oper (Pause war nach Tulias Arie Fra tutti gli affetti) als eher zufällige Ansammlung von mehreren singenden Personen auf der Bühne erscheinen, wenn Ansätze zu szenischen Komplexen wie die Losszene (II/1) mit ihren Choreinwürfen in die Rezitative zerstört werden und der dritte Akt auf einen Torso ohne Kontinuität der Handlung reduziert wird, ist ein Grad der Beliebigkeit im Umgang mit Goldonis Text und Galuppis Musik erreicht, der eine konzertante Aufführung der musikalischen Highlights und eine freie Adaptation von Goldonis Libretto als Prosa-Sprechtheater angemessener erscheinen läßt. Denn eine Weimarer-Modell-Dramaturgie zu inaugurieren hieße auch Mozarts Nozze di Figaro künftig im großen Haus ohne Rezitative zu geben.

Es ist unbedingt wünschenswert, daß die Reihe der Musiktheater-Produktionen im eWerk fortgesetzt wird. Gegenüber einer ästhetisch halbherzigen Kopplung von Alter Musik und teatro alla moda wäre jedoch die Aufführung einer Oper des 18. Jahrhunderts mit Rezitativen bzw. die Produktion einer zeitgenössischen Kammeroper konsequenter. Michael Dißmeier hat in einer Reihe von Arien gleichermaßen überzeugende wie unterhaltsame Lösungen gefunden, um Form und Gehalt der Musik szenisch zu vergegenwärtigen und sich damit als Regisseur für eine solche Opernproduktion empfohlen.

(Oliver Huck)

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