„Okay Mutter, ich lese in Leipzig!“

Lesung mit Max Goldt in der Schaubühne Lindenfels und viel Applaus

Der Lindenfels bebt! Um kurz vor 23.00 Uhr an diesem Abend brandet Applaus auf für den unscheinbaren, etwas moppligen Mann auf der Bühne, der die vorangegangenen etwa zwei Stunden damit verbracht hat, den Menschen Geschichten aus seinem Leben vorzutragen, meist Heiteres und bisweilen Nachdenkliches, aber stets lakonisch Aufbereitetes. Max Goldt heißt der Mann, der die Massen an jenem Abend (und auch schon am Montagabend) so sehr in Verzückung versetzt; Max Goldt gilt unter deutschen Intellektuellen als satirisches Gewissen der neuen Berliner Republik, als versierter Berichterstatter aus den verschiedenen Lagern des gesellschaftlichen Lebens.

Max Goldt trägt an diesem Abend – entgegen dem Titel seines jüngst bei Rowohlt erschienenen „Tagebuch-Buchs“ (Goldt) „Wenn man einen weißen Anzug anhat“ – lediglich ein graues Sakko und kariertes Oberhemd zur Jeans. Die Metapher des weißen Anzugs hat trotzdem Methode: gleich einer deutschen Inkarnation des großen Tom Wolfe holt Goldt in seinen Texten zum humorvollen Rundumschlag gegen die deutschen Befindlichkeiten aus. Dies tut er nun schon seit beinahe zwanzig Jahren, und es scheint, als habe seine literarische Stimme nie mehr Anklang gefunden als in unseren Tagen und erst recht seit wir in allen Lebenslagen dem unheilverheißenden „9/11“-Zahlencode begegnen. Seit dem 11. September, das schreibt auch der gute Goldt in seinem Tagebuch, die enervierenden „Kommentarwichsmaschinen“ der überregionalen Feuilletons zitierend, sei nichts mehr wie zuvor.

In der Tat bietet dieses historisch-verdichtete Datum den Rahmen für manch eine der Geschichten im neuen Buch. Da ist die Rede davon, wie Goldt den 11. September und die Folgetage in beinahe totaler Medienabstinenz verbrachte, um schließlich mit zwei Freunden, darunter einem Bürger New Yorks, eine ausgedehnte Kaffeefahrt ins Fränkische zu unternehmen. Behutsam ironisch nähert sich der Autor und Leser diesem Thema, die ätzende Satire beschränkt sich auf die Kommentierung von Leitartikeln oder Aussagen wie denen des Komponisten Stockhausen, der die Anschläge als „großes ästhetisches Erlebnis“ verstanden wissen wollte.

Daß aber im Zeitraum eines Jahres weit mehr passiert im Leben eines Kulturmenschen, davon legen die Einträge Goldts Zeugnis ab. Ob bei einem Festbankett zu Ehren des Schriftstellerkollegen Eckhard Henscheid (60. Geburtstag!), in dessen Verlauf Goldt sich unversehens in die Rolle des Kulturpessimisten gedrängt sieht, oder bei der Beschreibung der Bewohner seines neuen Hauses nach einem Umzug, vieles gibt es, worüber es sich satirisch zu schreiben und zu streiten lohnt, denn „ungeheuer ist viel/ aber nichts ungeheurer als der Mensch.“ Das Publikum hängt an den Lippen des beredten Mannes, der über beredten Staub schreibt, und man könnte ihm höchstens vorwerfen, daß die ein oder andere Pointe zu kalkuliert daherkommt, die Dramaturgie, an deren Ende das brüllende Gelächter der Anwesenden steht, mitunter sehr berechenbar erscheint. Als Goldt gegen Ende des ersten Teils der Lesung einen verklausulierten Rap-Text des Hamburger Musikers DJ Koze zum Besten gibt, hält sich manch einer vor Lachen den Bauch; der Text aber ist schwach und es bleibt des Autors Geheimnis, warum er ihn in seiner Lesung vorträgt: „Deine Reime sind Schweine“ heißt es da, und in der Tat: ein lyrischer Mensch ist Goldt nicht.

Als im Anschluß an eine zwanzigminütige Pause der spiritus rector des deutschen Satirebetriebs wieder die Bühne betritt, wird ein Teil des Publikums recht schnell der Tatsache gewahr, daß der bessere Teil des Abends bereits hinter ihnen liegt. Die besinnlicheren Texte die Goldt nun vorliest, darunter auch ein schaurig anmutender Song, besitzen bei weitem nicht die rhetorische Kraft seiner Satiren und kurzen Erzählungen. Mein Sitznachbar droht ein ums andere Mal einzuschlafen, was man ihm nicht unbedingt verübeln kann. Lebhafter wird es erst wieder, als Goldt zum wiederholten Male die vor der Bühne geschäftig knipsenden Fotografen anpöbelt und sie wenig freundlich zum Verschwinden auffordert. Das hat zwar mit Satire wenig zu tun und zeugt eher von einer explizit zur Schau gestellten Autorenarroganz, doch sei’s drum: das Publikum erwacht aus seiner Lethargie und jubelt fortan wieder kraftvoll dem kleinen Mann auf der Bühne zu, der es seinen Anhängern mit dem Vortrag alter Klassiker dankt.

Die pornographische Kurzgeschichte von zwei jungen Männern, die vor lauter Geilheit unter dem Pariser Eiffelturm die späte Marlene Dietrich „sandwichen“, gehört zu den besten Stücken des Abends und erinnert formal an die derben Texte von Slam-Poeten, wobei Goldt auf die Verwendung von Fäkalvokabular getrost verzichten kann. Das Ende ist nah. Goldt wartet Rufe nach einer Zugabe naturgemäß erst gar nicht ab und liest noch schnell „was kurzes“ vor. Das Volk kramt derweil bereits in Jacken- und Handtaschen, um die mitgebrachten Goldt-Ausgaben vom Meister persönlich signieren zu lassen.

Max Goldt ist im Mainstream des Kulturbetriebs angekommen, und man kann es ihm nicht verübeln. Die Bissigkeit früherer Texte mag einer gewissen Zurückhaltung in Reife gewichen sein, doch so ergeht es wohl vielen, die unabhängig in diesem Gewerbe überleben wollen. Der Unterhaltungswert seiner Geschichten ist unbestritten und wurde an diesen beiden Abenden in Leipzig eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Heute hat Goldt die sächsische „Metropole“ voraussichtlich mit der Mittagsmaschine wieder verlassen.
Lesung mit Max Goldt in der Schaubühne Lindenfels
7./8. Oktober 2002

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