Andreas Sauter / Bernhard Studlar „A. Ist eine Andere” – Premiere (Dajana Bajkovic)

27.10.2002 Schauspielhaus Leipzig (Horch und Guck)

Andreas Sauter / Bernhard Studlar „A. Ist eine Andere“ – Premiere (Kleist-Förderpreis für junge Dramatik, 2000)

Regie: Jorinde Dröse
Darsteller: Patrick Imhof, Aurel Manthei, Olaf Burmeister, Carmen Betker und Katinka Auberger


Viermal Unglück und ein Glück

Wer glaubt und damit dem Namen des Theaterstück folgt, in diesem gehe es um A. (Anna), hat sich geirrt. Das Drama behandelt nicht die retrospektive Analyse von Annas Wesen und die Frage, weshalb sie „eine Andere ist“. Das Stück versucht nicht zu erklären, weshalb sich Anna bei lebendigem Leibe verbrannt hat, obwohl sie jung ist, dabei frisch und glücklich verheiratet mit dem jungen Architekten Gerd (Patrick Imhof), bewundert von ihrer Freundin, der 25-jährigen Studentin Nina (Carmen Betker), begehrt von dem Kneipier und Gigolo Bongo (Aurel Manthei) und über alles geliebt von ihrem verwitweten Vater (Olaf Burmeister). Ganz im Gegenteil: das Drama zeigt, wie eben diese vier Personen mit dem Verlust Annas umgehen, wie sie Annas Selbstmord, die Ursache und die Art ihres Selbstmordes verkraften oder nicht.

Dazu werden die vier Figuren in ein vollkommen weißes Wohnzimmer gestellt, so daß sich der Zuschauer ganz auf sie konzentrieren muß. Eine Stunde lang übernimmt er die Rolle ihres Gewissens, dem sie abwechselnd ihre Beziehung zu Anna schildern. Sie geben in Bruchstücken den Verlauf des Abends wieder, an dem das Unglück passierte, sie berichten stückweise in nicht chronologischer Reihenfolge, wie sie die Nachricht von Annas Tod aufgenommen und später ihre Asche verstreut haben.

Ihre Schilderungen bilden den Kern des Stücks, der die extremsten Gefühlslagen bei den Figuren hervorruft. Dem Zuschauer wird ein krasses Wechselbad der Gefühle dargeboten, das jedoch an vielen Stellen unglaubwürdig erscheint. Schon die Eingangsszene, in der Annas Vater ihre Freunde mit einer Motorsäge bedroht, um seinem Schmerz und seiner Wut freien Lauf zu lassen, wirkt überzogen, nachdem er als peaciger 68er vorgestellt wird, der sein Leben lang Bonsaipflanzen züchtet und verkauft. Weitaus glaubhafter ist dagegen, daß ihn seine melancholische Erinnerung an den Sommerurlaub, in dem sich Anna und er als glückliches Liebespaar ausgegeben haben, in einen lethargischen Zustand versetzt. Sein Unverständnis für Annas Tod, für die Reaktionen ihres Mannes und ihrer Freunde hindert den Vater, diesem Zustand zu entkommen. Auch daß die gegenseitigen Vorwürfe, die sich Bongo und Gerd an den Kopf werfen, erst zu einem erbitterten Kampf zwischen den Freunden führt, der sich schlagartig in einen Schwoftanz auflöst, bei dem sich die Freunde daran erinnern, wie Gerd Anna kennengelernt hat, rückt das Geschehen ins Übertriebene. Die Untermalung dieser Szene mit dem Hit „Falling in Love“ verstärkt diesen Eindruck. Nicht minder unglaubwürdig wirken die allzu häufigen Ausbrüche, bei denen sich die vier Figuren mit Sekt, Bier und Brezeln überschütten.

Ein wenig mehr Zurückhaltung hätte nicht geschadet. Im Gegenzug dazu könnten sich die Schauspieler so manches Mal mehr in die Gefühlswelt ihrer Figuren fallen lassen, damit der Kampf zwischen Gerd und Bongo weniger mechanisch aussieht, damit Gerds verzweifelte Raserei nicht verhalten wirkt oder Nina nicht albern kindhaft, sondern wirklich so betrunken vor Schmerz, daß sie ohne Rücksicht auf die Gefühle der anderen ihren Gedanken freien Lauf läßt.

Insgesamt bietet sich dem Zuschauer durch den unaufhörlichen Wechsel zwischen ernstem und kindischem Verhalten und zwischen abgrundtiefer Verzweiflung und Lebenslust, die ihren Höhepunkt im unverhüllten Sex findet, ein überladenes, verzerrtes Bild. Ein intensiveres Spiel, reduziert auf das Innenleben der Figuren, würde weitaus deutlicher den entscheidenden Grundkonflikt dieses Dramas darstellen: das Entsetzen der vier Figuren, ihre schmerzvolle Trauer und die Unlösbarkeit ihrer Verzweiflung darüber, daß „Anna tot ist, total verkohlt, daß sie sich angezündet hat!“ Es käme klarer heraus, daß gerade die Vollkommenheit ihres Glücks, über das Anna selbst (Katinka Auberger) auf Videobändern zu Gerd spricht, der Keim allen Unglücks ist. Dennoch bleibt allen einzig Annas Botschaft: „Ich machs aus Liebe./ Wie soll ich das alles sagen, Gerd?/ Gerd, Gerd, Gerd./ A.“, und die Erkenntnis, daß sie – ob verbrannt oder nicht -, gegangen ist, bevor der Keim des Unglücks auch sie selbst erfassen hätte können.

(Dajana Bajkovic)

weitere Aufführungen: 1.11.02, 12.11.02, 21.11.02, 28.11.02

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