Zierliches Singen und Spielen

Kammermusik des Barock von Gabrielli, Händel, Telemann, Bach, Scarlatti und Fasch mit dem Barockorchester Leipzig

Die Leipziger Barocksolisten stehen in einem wohlgeformten Halbkreis angeordnet. Der Trompeter, ohnehin schon durch eine knallrote Fliege (die der anderen ist dunkelrot) auffällig, stellt sich mittig zwischen Violine, Oboe, Fagott und Kontrabass. Sie tragen die Sonate D-Dur von Domenico Gabrielli vor. Die Solopassagen der Trompete sind verblüffend. Das zentrale Allegro verbindet den Teil der Violine mit dem der Trompete in einem virtuosen Dialog. Es ist erstaunlich, welch großen und eindringlichen Eindruck die Sonate hinterlässt, bedenkt man ihre sehr kurze Dauer. Das sich dem Allegro anschließende Largo ist nach nur ca. 20 Sekunden beendet, das folgende furiose Presto (in dem noch einmal die Trompete hervortritt) nach nur knapp einer Minute, und insgesamt vergehen nicht einmal ganze sechs Minuten.

Es folgen die neun deutschen Arien von Händel. Die Texte von dem Hamburger Ratsherrn Barthold Heinrich Brockes tragen einen sehr beschaulichen, religiösen Charakter. Die darin enthaltenen tiefempfundenen Naturbetrachtungen verlangen von der Sopranstimme und den Instrumenten in einer starken Farbigkeit vorgetragen zu werden. Die Eingangsarie „Künft’ger Zeiten edler Kummer stört nicht unsern sanften Schlummer“ beginnt sehr leise, weich und zurückhaltend. Der Eindruck ist tatsächlich der eines Schlummers, in dem ein schöner Traum von einer matten Sorge durchzogen wird. Während der frischen und munteren zweiten Arie „Das zitternde Glänzen der spielenden Wellen“ habe ich wegen des rasanten Tempos leider kaum Zeit, mir ein Bild von jenen Wellen zu machen. Es ist schwierig mitzukommen. Im letzten Teil der Da-capo-Arie wird es mir endgültig zu viel. Die Verzierungen nehmen überhand, und ich denke darüber nach, dass das Meer ja zwar beweglich ist, frage mich aber zugleich, ob es denn gleich eine Springflut sein muss? Am Ende habe ich reichlich Wasser geschluckt und lausche den folgenden Arien mit ihren wechselnden Affekten. Während die eine ruhig und gelassen ist, macht sich bei der anderen eine verschleierte Wehmut breit. Die Arien sind in ihrem Kontrast bemerkenswert. Die Gegensätze und die Vielfalt der Gefühle werden nicht nur im Wechsel von der einen zur anderen Arie deutlich, sondern auch innerhalb jeder einzelnen. Die Sopranistin weiß den Tönen nachzuspüren und schafft es somit auch an solchen Stellen, wo der Text eintönig weiterzutraben scheint, große, kleine und zarte Gefühle hervorzubringen.

Den Händel-Arien schließt sich Telemanns um 1724 entstandene „Musique de Table“ an. Für mich ist diese Programmgestaltung vom unmittelbaren Höreindruck her stimmig, aber auch aufgrund der historischen Hintergründe. Händel und Telemann verband nämlich eine enge Freundschaft. Als Händel im Jahre 1701 auf den Wunsch seines Vaters an der hallischen Universität Jura studierte, befand sich Telemann gerade auf dem Weg von seiner Vaterstadt Magdeburg nach Leipzig, wo auch er die Rechte studieren sollte. Telemann machte Zwischenstation in Halle und lernte dort den damals 16-jährigen Händel kennen, woraus sich eine intensive Freundschaft entwickelte. Dreizehn Jahre später stand Telemann, der ebenfalls ein enger Freund der Familie Bach war, bei Bachs zweitem Sohn Carl Philipp Emanuel als Taufpate.

Folgerichtig erklingt nach der Pause J. S. Bachs Sonate für Violine und obligates Cembalo E-Dur. Das einleitende Adagio stellt in Bachs Schaffen eine Besonderheit dar. Die Violin- und Klavierstimme verlaufen gänzlich selbstständig, da es keine übergreifende Thematik gibt. Somit wäre es nicht richtig, den Cembalopart ?nur‘ als Begleitung einzustufen. Dafür ist er in sich zu interessant. Die Violinstimme wird phantasievoll ausgestaltet und lässt dem Cembalo dennoch Raum. Das Allegro bietet neue Themenfiguren und Gedanken. Durch die reizvoll verflochtenen Motive und kontrapunktischen Mittel, hier im besonderen Maße die Imitation, entsteht eine interessante Steigerung. Das Adagio ma non tanto ist recht eigenartig. Es wirkt intimer, meditativ, seine Schönheiten liegen nicht offen und wollen aufgesucht sein. Es entwickeln sich zwei Melodiestimmen: Eine ist der Violine anvertraut, die andere der rechten Hand des Cembalos. Daneben haben aber sowohl Violine und rechte Hand die akkordische Generalbassbegleitung auszuführen. Zwischen diesen beiden Elementen ist klar zu unterscheiden. Ein Pianist hätte hier die Möglichkeit, beide Stimmen klanglich voneinander abzusetzen, der Cembalist, der ja nicht mit Anschlagsvarianten arbeiten kann, hat diese leider nicht.

Es erscheint merkwürdig, dass sich die beiden Größen des Barock, Bach und Händel nie begegnet sein sollen. Es heißt zwar, dass Bach mehrmals den Wunsch hegte und in Angriff nahm, seinen Zeitgenossen näher kennen zu lernen, aber jedes Mal, wenn Bach dort ankam, wo Händel sich derzeit befinden sollte, war dieser schon nicht mehr dort. Vielleicht war er dann gerade nach Italien gereist, fühlte er sich doch zu der italienischen Tradition des 17. Jahrhunderts sehr hingezogen. Zu recht, wie das nächstes Stück, Alessandro Scarlattis Arie „Mio tesoro, per te moro“, beweist. Doch auch in Deutschland gab es neben den drei großen Meistern Bach, Händel und Telemann noch weitere Talente. So schrieb Riemann über einen „vierten“, Johann Friedrich Fasch, man werde nicht „umhin können, ihn fürderhin zu den hervorragendsten Zeitgenossen J. S. Bach zu rechnen“. Seine Sonata B-Dur für Violine, Oboe, Fagott und basso continuo gehört einem älteren Typus der Sonata da chiesa mit ihrer Folge langsam – schnell an.

Am Ende glänzt noch einmal fanfarenartig die Trompete in der Arie aus Händels Oratorium „Samson“. Es mag nicht ganz einfach sein, sich während des Vortrags vorzustellen, was kurz zuvor geschehen ist. Das Oratorium schildert die tragische Situation Samsons, der blind und enttäuscht von seiner großen Liebe zu Dalila ist, die ihn verraten hat. Nun muss er als Sklave der Philister den Mühlstein drehen. Das Oratorium ist sehr emotional geladen. Samson stirbt und ist bereits tot, als die Israelitin mit ihrer glanzvollen Arie „Let the bright Seraphim“ einsetzt. In diesem enthusiastischen Aufruhr, mit Glück und Lobpreisen auf die errungene Freiheit, endet das Konzert.

Kammermusik des Barock

Barockorchester Leipzig
Stephanie Petitlaurent, Sopran

10. November 2002, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.