Geist und Seele wird verwirret

Ein misslungenes Benefizkonzert für eine neue Große Orgel in der Peterskirche

„Wenn er rauskäme, würden seine Finger das Stück neu erfinden“, sinnierte ein begeisterter Konzertbesucher über die stupenden Fähigkeiten des Matthias Eisenberg nach einem Konzert im Jahre 1992. Das war vor 10 Jahren. Der ehemalige Gewandhausorganist, welcher 1986 auf die Insel Sylt auswanderte, feierte viele Erfolge in seiner sächsischen Heimat und versammelte eine große Anhängerschaft hinter sich, die bis heute kaum einen Auftritt des unumstrittenen Improvisationstalentes versäumt.

Diese fand sich auch am 14. November als nahezu lückenloses Auditorium in der Leipziger Peterskirche ein, um den „Meister“ gemeinsam mit Trompeter Mathias Schmutzler, derzeit Solist an der Staatskapelle Dresden, deutsche, italienische und englische Instrumentalmusik des 17. und 18. Jahrhunderts intonieren zu hören. Die Erlöse kamen einem Orgelneubau zu Gute, welcher im Jahre 2010 an die Stelle des inhaltslosen Prospektes der ehemaligen Sauer-Orgel treten soll – eine rühmliche Initiative des Orgelförderkreises Peterskirche und der Vereinigung zur Förderung von Aufbau und Erhalt des Peterskirchengebäudes e. V.

Das Konzept schien aufzugehen: Man engagiere eine Leipziger Künstlerikone, wähle beliebte Melodien und Bearbeitungen des Barockzeitalters und erhalte – finanziert durch den großen Publikumszuspruch – bald ein paar Orgelpfeifen mehr für das neue Instrument, das sich – in Anlehnung an das Kirchengebäude im Stil der französischen Kathedralgothik – an einem Modell des bedeutendsten französischen Orgelbauers des 19. Jahrhunderts, Aristide Cavaillé-Coll, orientiert.

Ging das Konzept auf? Wohl in pekuniärer Hinsicht – nicht aber künstlerisch. Bereits in der eröffnenden Sonate für Trompete und Orgel des bislang zu Unrecht vernachlässigten Johann Ernst von Sachsen Weimar ließ Matthias Eisenberg offenkundig erkennen, daß er dem Abend ohne künstlerische Ambition oder technische Vorbereitung begegnete. Weder beherrschte er die Partitur, noch vermittelte er eine Vorstellung von dem aristokratischen Duktus, der diesem Werk zu eigen ist. Rhythmus war ein Fremdwort in allen fünf suitenartigen Sonatensätzen, der Solist Mathias Schmutzler wurde durch das diffuse Accompagnato des Organisten mehr irritiert als unterstützt und mit seinen glänzenden Kantilenen alleingelassen.

Dieser erste Eindruck des ungleichen Duos wurde im Verlauf des Programms zunehmend bestätigt. Dabei traten die Unstimmigkeiten nicht allein im Zusammenspiel der beiden langjährigen – so die Biographie – musikalischen Partner auf. Auch Eisenbergs solistische Beigaben – Vivaldis bearbeitetes Concerto h-moll für Orgel solo, Scarlattis Toccata XI und Bachs Präludium und Fuge G-Dur (BWV 541), das etwas besser geriet – ließen durchweg technische Souveränität, rhythmisches Gleichmaß und gestalterischen Geschmack vermissen, ja gar am Vorhandensein eines solchen zweifeln.

So abwechslungsreich auch die Registerwahl bei Vivaldi wirkte, die Verzierungen in Scarlattis Toccata dem Ohr schmeichelten und das Bach’sche Werk dem Vortragenden verinnerlicht schien, so holprig geriet jede schnellere Tonfolge, so schlampig wurden die Allegro- und Presto-Passagen absolviert, der Gesamtvortrag ausdrucks- und lieblos hingelegt, wurde das Werk der drei großen Barockmeister durch die Ausführung entweiht.

Seine offensichtliche Lustlosigkeit vermochte Eisenberg auch als Begleiter des bemühten Solisten nicht zu überspielen. Hinzu kam, daß man sich nicht etwa in der Sicherheit unbekannten Repertoires vor kritischen Ohren verbarg, sondern mit Arrangements von Bach’schen Arien aus den Kantaten „Ich hatte viel Bekümmernis“ (BWV 21), „Geist und Seele sind verwirret“ (BWV 35) und „Herz und Mund und Tat und Leben“ (BWV 147) Melodien wählte, die selbst dem bachfernen Musikfreund wohl vertraut sind.

Um so erschütternder der Vortrag. Nicht nur, daß die erste Arienbearbeitung „Seufzer, Tränen, Kummer, Not“ dem Zuhörer angesichts der allzu banalen Wiedergabe, bei der nun auch Mathias Schmutzler in intonatorische Not mit seinen Spitzentönen geriet, tatsächlichen Kummer verursachte, und auch die zweite Arie „Gott hat alles wohlgemacht“ mehr Wettlauf zwischen den Beteiligten als künstlerisch wohlgemacht zu sein schien. Auch das innige 2Jesu meine Freude“ entfaltete nicht die große Kantilene und ihm eigene Wärme, sondern entlockte lediglich dem Solisten – nun am Corno da caccia – singende Töne. Eisenberg blieb ein emotional Unbeteiligter des Geschehens.

Purcells elegisches „Queens Dolour“ verlor sein Geheimnis, John Alcocks „Voluntary in C“ mußte musikalische Einbrüche hinnehmen und die das Programm beschließende Sonata IV in C-Dur von Ignaz Franz Biber gab ihr Ende lediglich durch ein zäsurübersteigertes „Schlußloch“ vor dem letzten Akkord zu erkennen, nicht weil etwa die Entwicklung des Vortrags daraufhin gedeutet oder gearbeitet hätte.

Auf die drei Zugaben hätte man gerne verzichtet.

Benefizkonzert für eine neue Große Orgel in der Peterskirche

Mathias Schmutzler, Trompete
Matthias Eisenberg, Orgel

Programm:
Johann Ernst von Sachsen-Weimar (1696-1715), Sonate D-Dur für Trompete und Orgel.
Antonio Vivaldi (1677-1741), Concerto h-moll, Übertragung für Orgel.
Johann Sebastian Bach (1685-1759), Arien aus verschiedenen Kantaten bearbeitet für Orgel und Trompete.
Allessandro Scarlatti (1660-1725), Toccata XI in A für Orgel.
Henry Purcell (1659-1695), The Queens Dolour für Corno da caccia und Orgel.
John Alcock d. Ä. (1715-1806), Voluntary in C.
Johann Sebastian Bach, Präludium und Fuge G-Dur (BWV 541) für Orgel.
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704), Sonata IV in C-Dur für Trompete und Orgel.

Donnerstag, 14. November 2002

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