Licht, in dem Finsternis nicht wohnt

Ein lichtvolles zweites Chorkonzert des MDR mit Werken von Mendelssohn, Brahms, Parry und Holst

Ein Jüngling wandert durch die Nacht. Auf verworrenen Pfaden durchstreift er verödete, lebensfeindliche Regionen. Voll Zorn und Verachtung hat er sich von den Menschen abgewandt, die einst ihn verachtet haben. Wird die Versenkung in die Abgeschiedenheit der Natur seinen Hass dämpfen und sein Herz erweichen können?

Johannes Brahms lässt in seiner „Altrhapsodie“ musikalisch keinen Zweifel daran, dass eine solche Läuterung möglich ist. Wenn nach drohenden und klagenden Passagen die zarte und innige Bitte um Liebe erklingt, vorgetragen von der Solistin und einem Männerchor, dann ist die Vergebung nicht mehr fern und musikalisch eigentlich schon eingetreten.

Die Altistin Ulrike Schneider überzeugte in ihrer anspruchsvollen Partie auf ganzer Linie: eine profunde Tiefe und ein hohes Maß an klanglicher Nuancierungsfähigkeit ermöglichten es ihr, die emotionalen Schwankungen im Verlauf der Komposition stets deutlich zu machen. Lief einem eben noch bei der abgründigen Ausgestaltung der alles verschlingenden „Öde“ ein Schauer über den Rücken, war man schon bald tief gerührt von den drängenden Bitten am Schluss. Der Männerchor agierte sehr zurückhaltend, manchmal zu sehr. Zumal das Orchester unverhältnismäßig laut spielte und manchmal sogar die Solistin zu verdecken drohte. Dennoch: Ein besonderes Erlebnis.

Bald nach Brahms‘ Tod im Jahr 1897 verfasste der englische Komponist Hubert Parry eine musikalische Elegie zum Gedächtnis an den verehrten Kollegen. Die sehr kontrastreiche Komposition für großes Orchester erinnert tatsächlich in mancher Hinsicht an Brahms. So wechseln streicherdominierte Abschnitte voller Dramatik mit serenadenhaft heiteren Passagen in durchsichtigem Bläsersatz. Die Aufführung dieses unbekannten sinfonischen Satzes machte deutlich, dass die englische Musikgeschichte weit mehr hervorragende Kompositionen hervorgebracht hat als die bekannteren etwa eines Edward Elgar.

Wer diese Einschätzung nach der „Elegy“ noch für voreilig hielt, wurde spätestens mit Gustav Holsts „Hymn of Jesus“ eines besseren belehrt. Eine glänzende, aber auch subtile Instrumentierung (wie sie der eine oder andere vielleicht aus Holsts „Planeten“ kennt), große melodische Ausdrucksvielfalt und eine enorme formale Gestaltungskraft zeichnen ein Chorwerk aus, das in seiner Originalität noch lange nach dem Konzert im Gedächtnis haften bleibt.

Ein phänomenaler Chor (und Kinderchor, bravo!) sowie ein gut aufgelegtes (wenn auch wieder oft zu lautes) Orchester mit hervorragenden Soli erwiesen Holsts „Hymn“ einen beeindruckenden Dienst, geleitet vom sensibel reagierenden Spiritus Rector des Ganzen, Howard Arman. Als „Licht, in dem Finsternis nicht wohnt“ wird Gott im Text gepriesen; die Musiker des MDR ließen dieses Licht wunderbar erstrahlen.

Musikalisches Grundelement der Hymne ist der Tanz, und auch im Text (der übrigens Schriften des Urchristentums entnommen ist) heißt es: „Wer nicht tanzt, begreift nicht, was sich begibt.“ Gemäß diesem Ansatz steckt Holsts Komposition voller Energie. Assoziationen mit Carl Orffs Chormusik weckt die Einleitung mit Gregorianik-Anklängen und ihrem holzschnittartigen Chorsatz. Es gäbe sicherlich noch viel mehr zu berichten; weitaus eindrucksvoller wird es allerdings sein, sich am 10.12.2002 um 20.00 Uhr die Übertragung des Konzerts (vom 15.11. in Weimar) auf MDR Kultur anzuhören und sich selbst ein Bild zu machen – was hiermit jedem Musikinteressierten wärmstens empfohlen sei.

2. Chorkonzert des MDR

Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonia VII d-Moll
Johannes Brahms: Altrhapsodie op. 53
Charles Hubert Parry: Elegy to Johannes Brahms
Gustav Holst: The Hymn of Jesus op. 37

MDR Sinfonieochester
MDR Rundfunkchor
MDR Kinderchor
Solistin: Ulrike Schneider, Alt
Dirigent: Howard Arman

Sonntag, 17. November 2002, Gewandhaus, Großer Saal

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