Novembertage

Besser als jede Medizin: Strawinsky, Mozart und Mendelssohn im Akademischen Konzert mit Dirigent Horst Förster

Novemberzeit – Erkältungszeit. Die Menschen im Gewandhaus hüsteln, und auch im Orchester scheint die Musik von einer leichten Grippe befallen zu sein. Wie sonst wollte man sich die mitunter auseinanderklaffenden Momente in den einzelnen Werken erklären, die doch so auf präzises Zusammenspiel aufbauen? Dennoch – das Programm und seine Darstellung hat insgesamt sehr erfreut in dieser etwas trüben und verschnupften Jahreszeit.

Mit der Pulcinella-Suite hat Strawinsky eine liebenswürdige, klassizistisch anmutende Musik komponiert, die sowohl Pergolesis Kunst verarbeitet, als auch rhythmisch und dynamisch hervortretende Momente besitzt, wie man sie ansonsten von Strawinskys bekanntesten Kompositionen kennt. Auf humorvoll-spritzige Sätze folgen getragene Kantilenen, an die sich wiederum explosionsartige Momente anschließen. Ein buntes, schön anzuhörendes Werk, welches durch die reduzierte Orchesterbesetzung meistens an Brillanz gewinnt. Aber nicht nur bekannte, abendländische Musik scheint hier vertreten zu sein. Auch orientalisch klingende Momente kommen vor: Bisweilen fühlt man sich in dieser Musik wie in einem Märchenbuch, getragen von einem zauberhaften Kapitel hinein in eine orientalische Räubergeschichte, weiter zu einer Liebesszene, zu einer etwas traurigen Erzählung, hin zu Freudentänzen. Kaum hat man sich an diesen musikalischen Geschichten ausgehört, geht es mit Mozart weiter.

Novemberzeit – Erkältungszeit, auch für die Solistin Iris Richter, die wegen einer Erkrankung nicht kommen konnte und von der Pianistin Yu Kosuge glanzvoll vertreten wurde. Kraftvoll und feinfühlig, glitzernd und flächig, jeden Moment des Konzertes hat die Solistin dem Zuhörer verständlich gemacht. Schön auch, daß der Flügel nicht in seiner Begleitung ertrank: Das Orchester hat sehr eingängig auf die Phrasen des großen Saiteninstrumentes geantwortet. Mancher sagt, Mozarts Klavierkonzert in C-Dur habe den sinnlichsten zweiten Satz aller Klavierkonzerte. In der Tat schmiegte sich hier so mancher Zuhörer in seinen Sessel, auch wenn mal der ein oder andere Ton in der Begleitung nicht ganz den wohltemperierten Ton fand. Im dritten Satz erweckte die Solistin das Publikum zu neuem Leben. Ein „gepfeffertes“ Temperament gelangte an den Tag, und das Zusammenspiel erfreute beim Zuhören und ?sehen. Nicht wenige dirigierten heimlich die markanten Stellen mit und erlebten so die Musik ganz nah bei sich. Es gab großen Applaus, so daß Frau Yu Kosuge eine Zugabe gab. Melancholisch und sensibel war diese Musik, welche eine glückliche Vergangenheit zu umrahmen schien.

Mit einer Art Rahmen beginnt auch Mendelssohns dritte Symphonie. Im ersten Satz wird eine Allegro-Passage von langsamen Melodien in Moll umrahmt. Mendelssohn ließ sich bei dieser Komposition von seiner Besichtigung der Ruinen in Schottland, wo Maria Stuart verweilte, inspirieren. Vielleicht ist der Rahmen ja genau dieser Moment der Gegenwart, in der alles so traurig und gebrochen erscheint, und vielleicht ist der schnelle, fröhlichere Mittelteil der Rückblick in eine freudige, glanzvolle Vergangenheit? So klingt es jedenfalls ein wenig. Sind aber auch stürmische Momente für Schottland typisch? Im Mittelteil gibt es nämlich zwei deutliche Sturmszenen. Eine großartige Landschaft verlangt nun mal nach großartigen Wetterbedingungen – also wird wohl auch die Sturmszene hier richtig plaziert sein. Der zweite Satz hingegen ist ein glücklicher Tanz in schottischen Hochlanden. Klarinetten tragen zunächst das tänzerische Thema, welches durch die Stimmen geführt wird, das Fest ist unverkennbar. Im dritten Satz gelangt unser Schottland-Reisender zur Besinnung. Ruhige, traurige Momente prägen hier den Klang. Doch dieses Gefühl ist nicht von langer Dauer, denn der vierte Satz, in dem eine Schlacht ausgetragen wird, folgt alsbald. Schottland wurde lange Zeit von Kriegen heimgesucht. In dieser Art kann man den vierten Satz vielleicht hören. Wie Kanonenkugeln werden die Auftakte herausgefeuert und fallen an anderer Stelle wieder ab. Auch hier gibt es Sturmszenen und Kampfmomente in klassischen Harmonien und ausschweifender Dynamik – bis alles zum Erliegen kommt, in der kurzen Generalpause. Dann der glorreiche Sieg und Abgesang, den die Zuhörer so sehnlichst erwartet haben. So läßt sich der November doch noch gut ertragen.

II. Akademisches Konzert der Saison 2002/2003

Igor Strawinsky: Pulcinella-Suite nach Giovanni Battista Pergolesi
Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467
Felix Mendelssohn Bartholdy: 3. Sinfonie a-Moll op. 56 ?Schottische?

Akademisches Orchester
Dirigent: Horst Förster
Yu Kosuge, Klavier (statt Iris Richter – erkrankt)

Montag, 18. November 2002, Gewandhaus, Großer Saal

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