Vorruhestand auf französisch

Der Held in Graffs „Feierabend“ verbringt freiwillig, aber zu früh, eine Zeit im Altersheim

Werden junge Menschen gefragt, was sie denn später einmal in ihrem Leben erreichen wollen, dann ähneln sich sehr oft die Antworten. Viel Geld wäre nicht schlecht, damit man sich schon frühzeitig dem Müßiggang „sinnvoller und sinnfreier Art“ widmen kann. Das wird dann gerne damit begründet, dass man nicht wie die Alten in einen Kreislauf aus Arbeiten, Essen, Schlafen und sonstiger perpetuierender Tätigkeiten des Menschen gefangen wird. Wozu, fragen die Hedonisten von heute? Das letzte Hemd hat keine Taschen, also carpe diem.

Laurent Graffs dritter Roman beschäftigt sich im weitesten Sinne mit einem Vertreter dieser Spezies. Immer wieder essen, arbeiten, reden, Kinder zeugen. Wozu? Um am Schluss in einer Eichenkiste zu landen. Das hat Antoine nicht vor, und deshalb holt er, kaum 18, sein Geld von der Bank und kauft sich ein Grab. In dem Alter kaufen sich Jugendliche ihr erstes Auto, Antoine beschließt, sich eine Grabstelle zu kaufen. Ein passender Grabstein wird gleich mit bestellt. Er besucht häufiger sein Grab als die Vorlesungen an der Universität. Und er geht zu Prostituierten, weil er sich nicht in der Monotonie von Vorspiel und Palaver aufreiben lassen will. Er lernt ein Mädchen kennen. Sie glaubt an die große Liebe, er kurz auch, sie bekommen zwei Kinder, die Ehe kriselt, dann kommt die Scheidung. Dann hält das Leben eine unerwartete Wendung parat. Er macht eine Erbschaft. Diese unerwartete Wendung in seinem Leben, verlangt eine Entscheidung. Und Antoine trifft sie: Er zieht in ein Altenheim ein. Er ist fünfunddreißig Jahre alt.

Graff beschreibt die Welt eines Altenheimes mit all seinen Facetten, seinen Bewohnern, ihren kleinen Macken. Manchmal ironisch, doch immer respektvoll. Hier wird das Altenheim nicht nur zur letzten Station des Lebens verharmlost, wo es auf den Fluren nur nach Desinfektionsmitteln riecht, sondern der Alltag geschildert, der zwar monoton ist, aber durch die Mitbewohner des Jungpensionärs belebt wird. Jetzt sitzt er dort auf der Parkbank und lebt sich ein. Neben ihm sein Kumpel Al, der Alzheimer hat. Bébel (78) joggt puterrot vorbei. Und dann ist da noch Alice (80) mit ihrer violetten Dauerwelle, immer auf Männerfang. Schließlich Marguerite (86), über deren Vermögen man tuschelt. Zeit totschlagen ist hier das Motto – so wie draußen. Das Jahr ordnet sich festen Abläufen unter. Im Sommer der Ausflug in den Wildpark, im Herbst schaut der Bürgermeister vorbei und Weihnachten kommt der Zauberer.

Dann zieht Mireille in das Heim. Sie weiß, sie wird bald sterben und wünscht sich, ein letztes Mal das Meer zu sehen. Dort, wo sie mit ihrem Mann so glücklich gewesen ist. Zusammen mit Antoine und einem geliehenen Rallyeauto geht die Reise los. Graff macht aus dieser Reise ans Meer ein Roadmovie der besonderen Art. Dabei gleiten die Passagen nie ins Kitschige ab. Am Ende ist Mireille tot. Das Altenheim „Glück im Winkel“ wird von einem neuen Heimleiter in ein Ferienheim für Kinder und Jugendliche umgewandelt. Der Zirkel schließt sich, Antoine sitzt wieder auf Bank, umringt von Kindern, den Kreislauf des Lebens vor Augen.

Laurent Graff: Feierabend
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Antje Kunstmann Verlag, München, 2002
98 Seiten, 14,90 Euro

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