„Er ist meiner Mutter Bruder Schwager!“ – Neues aus dem Corpus Barks

Ein Diavortrag mit Patrick Bahners (FAZ) zum Thema „Fortpflanzung durch Veronkelung? Die Familienverhältnisse der Ducks in Entenhausen“

„Beziehungsweise verwandt“ lautet das Motto des in diesem Jahr vielleicht zum letzten Male stattfindenden Literarischen Herbstes in Leipzig. Dass sich verwandtschaftliche Beziehungsgefüge nicht ausschließlich auf das Zusammenleben von Menschen reduzieren, muß bei all den gutgemeinten Lesungen und Veranstaltungen über die Abgründe menschlichen Zusammenlebens noch einmal besonders betont werden. Was die Literatur nicht leisten kann, bleibt nun der Wissenschaft vorbehalten. Bis auf den letzten Platz ist an diesem Freitagabend die Kunsthalle der Sparkasse am Pleiße-Ufer gefüllt. Der Referent des Abends, ein kleiner Mann mit Vollbart von etwas über dreißig Lebensjahren, ist Patrick Bahners, seines Zeichens Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und zugleich „Ehrenpräsidente“ der deutschen Donaldisten, einer Vereinigung, die es sich seit mehr als fünfundzwanzig Jahren zum Ziel gesetzt hat, die wissenschaftliche Erforschung des literarischen Kosmos von Entenhausen und seiner weltberühmten Bewohner voranzutreiben. Daß auch die anatide Rasse über komplizierte familiäre Verflechtungen verfügt, diesen Nachweis anzutreten hat Bahners sich an diesem Abend vorgenommen.

Der streng wissenschaftliche Charakter des Vortrags scheint gegeben, als Pa-Trick Bahners beginnt, den Anwesenden einige einführende Dias über die Duck’schen Familienbande vorzuführen. Bemerkenswert ist, worauf der Titel des Vortrags schon hindeutet, das Prinzip der Veronkelung, wonach Donald nur Neffe und nicht Sohn von Dagobert, dem reichsten Mann der Welt, ist. Ebenso leben in Donalds Haushalt seine drei Neffen, die nicht seine Söhne sind. Die donaldistische Forschung hat sich lange um eine Klärung dieses Sachverhalts bemüht, und Bahners bietet zur Erklärung die Theorie des Donaldisten Ernst Horst an, der anhand des ungefähr 6000 Seiten umfassenden Duck-Textcorpus aus der Feder des genialen Carl Barks (und in der Übersetzung von Dr. Erika Fuchs) nachzuweisen versucht, daß ein genetischer Zufall für diese familiären Besonderheiten verantwortlich zeichne. Durch eine übermäßig hohe Zahl von Drillingsgeburten in Entenhausen steht es den Erzeugern frei, nach der Geburt der Kinder diese in die Obhut von Brüdern oder Schwestern zu übergeben, um sich von den Folgekosten der anfallenden Kindererziehung schadlos zu halten.

Stoisch erträgt Bahners brüllendes Gelächter im Publikum und tritt den medialen Beweis dieser These an: tatsächlich stammt auch Donald aus einem Drillingswurf, sein Onkel Dagobert wie seine Geliebte Daisy (die gleichzeitig seine Cousine sein dürfte) ebenfalls. Zurückverfolgen läßt sich die Familiengeschichte der Ducks (oder McDucks) bis nach Schottland, wo sie als mächtiger Clan den Grundstein für ein Familienimperium legten.

Sind erst einmal die Duck’schen Familienverhältnisse zur Gänze dargelegt, läßt sich leichter über die gesellschaftspolitischen Dimensionen von Familie und Vererbung in Entenhausen debattieren. Bahners räumt ein, daß auch in diesem Kosmos die Ein-Kind-Ehe wohl der Regelfall war, so daß die Ducksche Drillingsproduktion wohl ein eher singuärer Fall bleibt. Aus den zahlreichen Dias ist zu entnehmen, daß andere Familien ihre Kinder bei sich behalten, während es Mütter und Väter bei den Ducks zwar zu geben scheint, man aber prinzipiell nicht bei Ihnen aufwächst. Auch die Erbfolge scheint in der Welt des Carl Barks anderen Gesetzen zu gehorchen als bei uns. Das strenge Regiment der Primogenitur läßt sich im Stammbaum der Ducks nicht nachvollziehen. Verwandtschaft und Erbe, so insistiert Bahners, beinhalten für die Ducks und ihre Nachkommen vielmehr eine moralische Verpflichtung, der allerdings Begriffe wie ?Rassenreinheit? und ?Blutsbande? fremd zu seinen scheinen. Vielmehr ergehen sie sich mit Goethe darin, was sie ererbt haben, nach moralischen Maßstäben neu zu erwerben, um es richtig zu besitzen. Kinder, und damit ist eine soziologische Ebene des Vortrags erreicht, setzt nur in die Welt, wer es sich auch wirklich leisten kann. So kommt es bisweilen vor, daß die Eltern kleiner Mädchen auch deren Großeltern sein könnten; sie haben sich im Leben eine Existenz aufgebaut, bevor sie ein Kind zeugten.

Der moralische Impetus solcher Bildfolgen ist unübersehbar und macht auch vor der Sippe der Ducks nicht halt. Die Verantwortung vor der Verwandtschaft wiegt schwer, und so mancher ängstigt sich davor, den Ansprüchen der anderen nicht mehr gerecht zu werden. Im besonderen Falle gilt dies für den Taugenichts Donald, der bisweilen sogar den Schutz der Verkleidung sucht, um seinem Onkel oder seinen Neffen eine fremde Existenz vorzutäuschen (das in donaldistischen Kreise so betitelte Permutations-Syndrom): ?So erkennt mich meine eigene Mutter nicht? entfährt es der glücklichen Ente, wenngleich dieser Umstand auf ein prinzipiell gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis schließen läßt, wie auch Bahners bereitwillig konzediert.

Vor den Augen der Zuschauer und ?hörer entfaltet sich nach und nach eine Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die Kantischen wie Keynesianischen Prämissen gehorcht und daraus eine ganz neue sozio-ökonomische Systemtheorie generiert ?, um mit einem Luhmannschen Terminus zu sprechen, dem ?Entenhausen der Gesellschaft?. Bei aller Wissenschaft bewegt den Feuilletonisten Bahners dabei auch der ein oder andere literarische Vergleich; schließlich sei das hier ein Literaturfestival und die Welt der Ducks ein eigenständiger literarischer Kosmos, zu vergleichen etwas mit dem Combray des Marcel Proust. Eine Zuschauerfrage nach den Verfallserscheinungen der Entenhausener Gesellschaft im allgemeinen und der Familie Duck im speziellen kontert der Vortragende mit einem Verweis auf die ?Buddenbrooks?, denen die Ducks immerhin voraus zu haben scheinen, daß sie eine ?Elite im Wartestand? seien und damit geübt im Umgang mit wirtschaftlicher Inflation und geistig-moralischen Verwerfungen jeglicher Natur.

Am Schluß bleibet eine brisante Frage, die nicht nur den Rezensenten an diesem Abend umtreibt. Kann das Verhältnis von Donald und Daisy Duck nach gesellschaftlichen Moralmaßstäben als legitim bezeichnet werden. Bahners lächelt und beschwört die Familientradition: Im alten Schottland der McDucks habe immerhin auch beständig ein Mangel an Frauen geherrscht, weshalb die Ente ein inzestuöses Verhältnis im eigentlichen Sinne nicht kenne. Damit ist der Wissenschaft genüge getan. Der Referent entläßt seine begeisterten Anhänger in die Kälte der Leipziger Nacht. Schnüff! Schnüff!

Fortpflanzung durch Veronkelung? Die Familienverhältnisse der Ducks in Entenhausen“
Kunsthalle der Sparkasse Leipzig, Freitag, 22.11.2002
www.donald.org

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