Gala vollendeter Musizierkunst

Die Eröffnung des diesjährigen Kammermusikfestivals im Festsaal des Alten Rathauses

Bemerkenswert an Leipzig sind nicht allein die kulturellen Institutionen mit jahrhundertelanger Tradition, sondern ist auch, dass immer wieder neue Traditionen entstehen, was oft erst durch das Engagement einzelner Personen ermöglicht wird. So ist es auch als wichtiger Beitrag zum kulturellen Leben der Stadt zu werten, wenn die Initiatoren des Leipziger Kammermusikfestivals, Yuka Kobayashi und Christian Giger sowie Dr. Behrens, nun schon zum siebten Mal mit großem Erfolg Künstler von Weltrang nach Leipzig eingeladen haben, um gemeinsam Kammermusik auf höchster Ebene zu zelebrieren.

In einem so erlesenen und geeigneten Ambiente wie dem Festsaal des Alten Rathauses führte das diesjährige Auftaktkonzert als eine wahre Feierstunde der Künste außerdem vor Augen, wie eng Künstler und Zuhörer in der Kammermusik aneinander heranrücken, welche Intimität und Ungezwungenheit dort entstehen und dieser Musik zur vollen Wirkung verhelfen kann.

Mit einem Klaviertrio von Joseph Haydn ist man zu solchen Anlässen stets auf der sicheren Seite, gelten doch große Teile seines Opus als Inbegriff der Kammermusik schlechthin. Mit warmer, edler Tongebung und viel stilistischem Gespür musizierten sich Nora Chastain, Yuka Kobayashi und Christian Giger durch die ersten beiden Sätze, konnten allerdings einen Hauch von Belanglosigkeit bis zum Rondo „all’ongarese“ nicht völlig vertreiben, wo sie dann jedoch alle vornehme Zurückhaltung ablegten und die Minore-Teile so feurig und temperamentvoll spielten, dass man sich fast in einem wirklichen Zigeunerlager wähnen konnte.

Der „ungarische Stil“ in der Musik, wie viel oder wenig auch immer daran ungarisch sein mag, bildete übrigens einen der Schwerpunkte des diesjährigen Festivals, dem auch das zweite Stück des Abends, Béla Bartóks „Kontraste“ für Klarinette, Violine und Klavier, Rechnung trug. Viel weniger eingängig als das publikumswirksame Haydn-Trio, äußerst schwer in der Ausführung und dennoch Musik, die süchtig machen kann. Erst recht, wenn sie von so fantastischen Interpreten gespielt wird wie Sharon Kam und Robert McDuffie.

Alle Facetten des für Benny Goodman und József Szigeti komponierten Werkes ausleuchtend, hielten sie technisch souverän und musikalisch expressiv einen Dialog auf allerhöchstem Niveau ab und sogen den Zuhörer förmlich mit hinein in die Klangwelt und den Farbenreichtum Bartóks. Und immer wieder verklangen Sharon Kams Schlusstöne in einer Art und Weise, dass man nur erahnen konnte, wo der Ton aufhörte und die Stille anfing. Die vor Energie sprühende Künstlerin war überhaupt der Star des Abends, ist doch Carl Maria von Webers Klarinettenquintett mehr ein Solokonzert, bei dem die Orchesterbegleitung zum Streichquartett kondensiert worden ist.

Als eine der weltbesten Klarinettistinnen spielte Sharon Kam dieses Stück mit sichtbarer Freude, plapperte bald munter drauflos, hielt bald wieder elegisch inne, scherzte, hüpfte, sang, kokettierte und schaute im Menuetto mit ganz unschuldiger Miene drein, als sie ihren Kollegen den letzten schelmischen Klarinettenkommentar zuwarf. So entwickelte sich der Abend zu einer Gala vollendeter Musizierkunst, und man spürte, dass dieses Festival ein Treffen ausgezeichneter Künstler darstellt, welche selbst die größte Freude an der gemeinsamen Kammermusik haben.

Josef Haydn:
Klaviertrio G-Dur Hob. XV:25 „all ongarese“
Béla Bartók:
Kontraste für Klarinette, Violine und Klavier
Carl Maria von Weber:
Quintett B-Dur op. 34 für Klarinette und Streicher

Yuka Kobayashi, Klavier
Sharon Kam, Klarinette
Nora Chastain und Robert McDuffie, Violine
Tatjana Masurenko, Viola
Christian Giger, Violoncello

Freitag, 22.11. 2002, Altes Rathaus, Festsaal

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