Ein knapper Sieg

Das Pauliner Kammerorchester und der Leipziger Universitätschor geben das deutsche Requiem op. 45 von Johannes Brahms

Nach und nach füllt sich die Peterskirche mit Menschen; vor allem mit Angehörigen und Freunden der Mitwirkenden, aber auch mit jenem Konzertpublikum, das nur wegen Brahms gekommen ist. Mit Jacken, Mänteln und Taschen stecken sie alle ihr Sitzplatz-Revier ab, um dann noch einmal frische Luft schnappen zu gehen. Da in der Kirche noch bis kurz vor Beginn der Aufführung geprobt wird, tun sie auch gut daran, vorerst draußen zu bleiben – es sei denn, sie wollen ihr Konzerterlebnis gern mit derartigen Workshop-Eindrücken beginnen, die schon einige problematische Aspekte der Aufführung gleichsam als Vorschau präsentieren. Doch auch das Publikum muss noch proben; denn ein derart penetrantes Husten, wie es während des Konzerts zu erleben war, ist ohne viel Übung wohl kaum zu bewerkstelligen. Und dem ständigen Gepolter nach zu urteilen, hatten manche Gäste gleich ihren halben Hausrat auf dem Arm, um ihn im unpassendsten Moment fallen zu lassen. Eine Kunst für sich, Respekt!

Brahms‘ Requiem stellt hohe Anforderungen an die Solisten, vor allem aber an den Chor. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass der Leipziger Universitätschor unter der Leitung von Wolfgang Unger mit diesem Werk auftritt, es ist jedoch zu beachten, dass die Fluktuation in Universitätschören teilweise erschreckend groß ist. Kontinuierliches Erarbeiten von Repertoire ist da nur sehr eingeschränkt möglich. So ist denn doch jede Aufführung in mancher Hinsicht eine Premiere. Berücksichtigt man diese Umstände, überrascht es kaum, dass die diesjährige Aufführung allenfalls anständig zu nennen ist, mit geringfügigen Abweichungen nach oben und unten.

Der erste Satz („Selig sind, die da Leid tragen“) zum Beispiel gelingt durchaus ansprechend: Gefühlvoll und mit samtenem Timbre verbreitet der Chor Zuversicht im Angesicht des Todes, wenn seine tröstende Botschaft auch hin und wieder vom Orchester übertönt wird, welches an diesem Nachmittag überhaupt etwas undifferenziert klingt. Doch der erste Satz enthält auch gleich einen groben Schnitzer. So setzen die Bässe mit ihrem „Sie gehen hin und weinen“ einen ganzen Takt zu früh ein, was ein entsprechendes Chaos nach sich zieht. Dieses ist zwar etwas später überwunden; trotzdem – so etwas sollte eigentlich nicht passieren.

Die folgenden Sätze bieten ein ambivalentes Bild. Wirklich herausragend ist eigentlich nur der fünfte Satz („Ihr habt nun Traurigkeit“) zu nennen, und dieses vor allem wegen der wunderbaren Antje Perscholka. Auf anrührende Weise verkündet sie die tröstenden Bibelworte, begleitet vom Chor, der hier seine besten Momente hat (abgesehen vielleicht von „Wie lieblich sind deine Wohnungen“, das auch sehr gut gelingt).

Eher enttäuschend hingegen die Nr. 6 („Denn wir haben hie keine bleibende Statt“), eigentlich der Höhepunkt jeder Aufführung. Egbert Junghanns wirkt als Verkünder der Apokalypse zu blass, in der Höhe fehlt es ihm deutlich an stimmlicher Substanz. Ein Bariton, wie von Brahms vorgeschrieben, hätte da vielleicht weniger Schwierigkeiten. Der Chor ist in diesem Satz nur als schwammiger Einheitsklang wahrnehmbar, der von irgendwo weit hinten herüber schallt. Hier schlägt die problematische Akustik des Kirchenraums gnadenlos zu. Doch auch die Sängerinnen und Sänger haben so ihre Probleme. Den Stimmen fehlt es für diese Musik bei allem ehrlichen Bemühen schlicht und einfach an Gewicht und Tiefe, das grandiose „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ klingt schlicht laut, von monumentaler Wucht keine Spur. Doch an diesem Satz beißen sich noch ganz andere Chöre die Zähne aus, oftmals mit ähnlichem (Miss-)Erfolg.

Versöhnlich stimmt der Schlusssatz („Selig sind die Toten“), wo der Chor noch einmal ein Niveau erreicht, das man sich für die ganze Aufführung gewünscht hätte. Am Ende ist der Tod musikalisch bezwungen, und Trost tritt an die Stelle der Verzweiflung. So hat der Leipziger Universitätschor unter seinem Leiter Wolfgang Unger auch am diesjährigen Totensonntag einen Sieg für das Leben errungen – wenn auch einen knappen.

Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45

Antje Perscholka, Sopran
Egbert Junghanns, Bass

Pauliner Kammerorchester
Leipziger Universitätschor

Leitung: Wolfgang Unger

24. November 2002, Peterskirche Leipzig

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