Liedbegleitung auf unterstem Niveau

Es hätte ein schöner Abend werden können: mit Liedern von Beethoven, Brahms, Schubert und Wolf

Es hätte ein schöner Abend werden können, wirklich! Mit Schuberts „Schwanengesang? und Brahms‘ „Vier ernsten Gesängen“ hatten Gotthold Schwarz und Michael Schönheit ja einige der größten Highlights des Liedrepertoires überhaupt auf ihrem Programm stehen – bzw. nicht stehen; denn im Programmheft war der „Schwanengesang“ gar nicht aufgeführt. Durch einen ausgeteilten Ersatz-Programmzettel stellte sich das Ganze aber als technischer Fehler heraus, und es gab dann doch das komplette Programm – leider, wie man hinterher nur noch seufzen konnte. Die harmlose Programmheft-Panne erwies sich im Nachhinein als eine passende Ouvertüre zu den folgenden zwei Stunden, in denen eine Peinlichkeit die andere geradezu jagte. Übrigens enthielt auch der korrigierte Programmzettel eine Merkwürdigkeit. Auf diesem fehlte nämlich das letzte Lied des „Schwanengesangs“, die „Taubenpost“. Beim ersten Lesen konnte man noch nicht wissen, dass das Lied an diesem Abend aus unerfindlichen Gründen tatsächlich nicht gesungen wurde. Dass die Zahl der Schubert-Lieder damit auf symbolträchtige dreizehn fiel, hätte abergläubischen Menschen wahrscheinlich sofort gesagt, was die Stunde geschlagen hat, allen anderen blieb noch eine Schonfrist bis zum zweiten Teil des Konzerts; denn zuerst gab es Beethoven, Wolf und Brahms.

Das Konzert begann mit Beethoven-Liedern, zumindest mit Teilen aus ihnen. Warum die Künstler sich während der Aufführung entschieden, die Lieder abzukürzen und nicht alle Strophen zu bringen, ist völlig unklar – wie so viele Dinge an diesem Abend. Gotthold Schwarz weckte durch ansprechende, vornehm zurückgehaltene Gestaltung dennoch Lust auf das weitere Programm, Michael Schönheit hielt sich (noch) angenehm im Hintergrund, was angesichts des äußerst schlichten Klavierparts und der klanglichen Voraussetzungen des Hammerflügels aber auch nicht allzu schwierig war.

Doch schon bei den Liedern Hugo Wolfs war Michael Schönheit als Liedbegleiter schlicht überfordert. Dem Prinzip der Steigerung folgend, ließen die schlimmsten Ausfälle zwar noch bis zu Brahms und Schubert auf sich warten, aber auch hier war vieles bereits einfach nur noch ärgerlich. Unbekümmert setzte Schönheit sich über die meisten Vortragsanweisungen Wolfs hinweg, überspielte Pausen, als stünden sie nicht da, und leistete sich auch sonst alle möglichen Freiheiten, oder besser: Ungenauigkeiten. Gotthold Schwarz‘ Gesang wollte auch nicht so recht begeistern: zu blass in leiseren Passagen, zu bemüht in extremer Höhe und Tiefe.

Besonders problematisch zeigte sich das in den „Vier ernsten Gesängen“ von Johannes Brahms. Diese ergreifenden Werke, mit gutem Grund „Gesänge“ und nicht „Lieder“ genannt, verlangen in ihrem Wechsel von rezitativischer Textdeklamation und melodienseligen Passagen große sängerische und darstellerische Wandlungsfähigkeit. Vor allem aber müssen sie mit Würde und großem Gewicht, eben ernst, vorgetragen werden. Gotthold Schwarz nahm man eine innere Beteiligung an dem, was in den Gesängen ausgedrückt ist, nur selten ab. Kaum einmal nutzte Schwarz die Gelegenheit für groß angelegte Steigerungen, kaum einmal durchmaß er die Abgründe des Todes bis zur ästhetisch letzten Konsequenz. Ebenso wenig verlieh er im Finale des letzten Gesangs dem Sieg der Liebe jenen leuchtenden, zärtlichen Glanz, mit dem Brahms‘ Musik ins Religiöse transzendiert. Allerdings hatte Schwarz auch arg mit seinem „Gegner“ am Klavier zu kämpfen, der ihn bremste, wo es nur ging, weitgriffige Akkorde kurzerhand arpeggierte und in schwierigen Passagen einfach an der Temposchraube drehte (leider ohne hörbaren Erfolg). Vom orchestralen Glanz, den Brahms in den Klavierpart legte, und von seiner strukturellen Vielschichtigkeit blieben allenfalls Rudimente erhalten. Wer jedoch glaubte, hiermit sei der Tiefpunkt des Abends erreicht, wurde nach der Pause in schmerzlicher Weise eines Besseren belehrt; denn im zweiten Teil gab es Schuberts „Schwanengesang“ in einer Aufführung zum Abgewöhnen.

Gotthold Schwarz gestaltete viele der Lieder sehr subtil und mit vielfältig nuanciertem Ausdruck, vor allem die stillen, leisen Lieder gelangen wirklich überzeugend. Auch Michael Schönheit fand hier zu seltenen Anflügen sensiblen Begleitens. In den extremen Liedern, wie „Aufenthalt“, „Der Atlas“ oder „Der Doppelgänger“ stieß Schwarz jedoch immer wieder an seine Grenzen. Insgesamt hätte es aber zumindest eine solide Aufführung werden können, wenn nicht Michael Schönheit falsch gemacht hätte, was falsch zu machen war. In den technisch schwierigen Liedern ging es drunter und drüber, Melodieansätze wurden verschluckt, Akkorde mit falschen Tönen „gefärbt“. Selbst geringste rhythmische Komplikationen waren bereits zuviel an Herausforderung für Schönheit, der doch sonst an der Orgel mit Reger-Fantasien keine Probleme hat. Hatte er einfach einen schlechten Tag? Hatte er keine Zeit zum Proben? Anders ist kaum zu erklären, dass Lieder wie „Abschied“ beinahe zur unfreiwilligen Parodie verkamen. Genug davon.

Da das Publikum wohl vor allem auf den Sänger achtete, gab es noch genug Applaus für eine Zugabe. Es wurde jedoch nicht etwa die fehlende „Taubenpost“ geboten, sondern Schuberts beliebtes „An die Musik“. Dass Schönheit sich selbst bei diesem schlichten Lied noch verspielte, rundete den Konzerteindruck nach unten hin ab. Wie gesagt: Es hätte ein schöner Abend werden können…

Liederabend mit Werken von Beethoven, Brahms, Schubert und Wolf

Gotthold Schwarz, Bass
Michael Schönheit, Klavier

29.11.2002, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal


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