8. Französische Filmtage vom 28.11.- 04.12.2002 Leipzig/Halle, Eröffnungsfilm: „Cet amour là”, Diese Liebe (Anja Szymanski)

8. Französische Filmtage vom 28.11. – 04.12.2002 Leipzig/Halle
(www.franzoesische-filmtage.de)
Auf der Suche nach Liebe

Seit im Jahr 1995 die Französischen Filmtage vom Grassi-Betreiber Stefan Paul (Chef von Arsenal Filmverleih und Passage Kinos) ins Leben gerufen wurden, ist das einwöchige Festival im Spätherbst nicht mehr aus Leipzigs Kulturleben wegzudenken. Neben dem Grassi-Kino, zog es die Zuschauer in den folgenden Jahren auch in das Filmkunsthaus naTo, die Schaubühne Lindenfels, nach Schließung des Grassi in die Passage-Kinos und in das Programmkino Halle (Zazie). Volle Kinosäale zeigen, daß die Parabeln von Leidenschaft, Authentizität und Desillusion voller Begierde aufgesaugt werden.
Eröffnungsfilm „Cet amour l?“, Diese Liebe (Passage-Kinos)

Frankreich 2001, 98 min, OmU
R: Josee Dayan
mit Jeanne Moreau, Aymeric Demarigny
Ich bin nicht böse, ich bin intelligent

Marguerite Duras, die „Kaiserin der Literatur“, die von sich behauptete, nie geschrieben zu haben, wenn sie glaubte, zu schreiben, nie geliebt zu haben, wenn sie glaubte zu lieben, hat nie etwas anderes getan, als zu warten vor verschlossener Tür.

Im Jahre 1980, 66-jährig in der Periode der diskreten Berühmtheit, erlebt sie den lebendigen Tod: von allen verlassen. Niemand soll und darf mehr zu ihr kommen. Sie fühlt die Einsamkeit nicht. Den Tag verdämmert sie, die Nacht übersteht sie mit viel Rotwein. Der Alkoholismus führt zu wiederholten Aufenthalten in Krankenhäusern. Jedoch, jeder frühere Schmerz ist dicht verpackt, kein Mann spielt eine Rolle mehr in ihrem Leben. Bis sich der siebenundzwanzigjährige Yann Andréa, der ihr seit zwei Jahren leidenschaftliche Briefe schreibt, entschließt, sie zu besuchen. Dank der „Lichteinfälle in der Dunkelheit der Zeit“, die ihr die Briefe waren, ist es ihr „unmöglich, völlig ohne Liebe zu sein“. Jede Leidenschaft, meint sie, entstehe aus einem wundersamen Zusammentreffen mit einer ursprünglichen, inzestuösen Bindung und neige dazu, diese absolute Bindung zu reproduzieren. So ist der Kuß, das weiß sie, den Yann Andréa schon an der Tür erhält, einer früheren Liebe gewidmet.

Marguerite, 1914 in der Nähe von Saigon geboren, ist von Anfang an ein wildes Kind. Mit den beiden Brüdern, den jüngeren abgöttisch liebend, lebt sie näher an den annamitischen Einheimischen als an den Franzosen, deren kolonialem Vampirismus sie ebenso wenig entfliehen kann, wie dem Anblick der Armut der Annamiten. Von der Mutter abgelehnt, die nur ihren ältesten Sohn vergöttert, wird sie zu dem, was sie immer bleiben wird: unwiderstehlich, auch ohne „Hurenkleid“, ohne Schminke und großem aufreizendem Männerhut. „Sie ist unmittelbar sexuell.“ Den Chinesen in Saigon nimmt sie, weil er ihr alles bietet, was sie erwartet: Geld (für ihre arme Familie) und Erfahrung im Umgang mit Frauen. Er ist „Der Liebhaber“, der Angriff auf ihre weiße Rasse, den sie verlässt, als die Familie Indochina verlässt.

Mit dem Leben in Frankreich wird die Vergangenheit wie mit einem Messer abgetrennt. Schon immer spricht Marguerite davon, zu schreiben. Voller Furcht davor, weil Schreiben unanständig ist, schickt die Mutter Marguerite zum Mathematik-Studium nach Paris und trennt sie endgültig vom geliebten Bruder.Marguerite ist an der Tür ihrer Familie, die das Wesentliche von ihr enthält, stehengeblieben und kann sich nicht mehr davon losreißen. Sie hat sich dort niedergelassen. Ein ganzes Leben wird nicht genügen, diesen für sie ausgedehntesten Ort der Welt zu begreifen, überhaupt zu erreichen.

Marguerite schreibt. Sie heiratet Robert Anselme, entbindet ein totes Kind, verfällt in Rausch, schließt sich 1943 mit Francois Mitterrand dem Untergrundkampf an, rettet ihren Mann vor den Folgen vom Konzentrationslager Dachau, um sich dann von ihm zu trennen, verkraftet nicht den Tod ihres geliebten Bruders, radikalisiert ihr Schreiben und Denken, bekommt ein Kind mit Dionys Mascolo, trifft sich mit Männern, verlässt und wird verlassen. Ihr Exil ist das Schreiben, gepaart mit Rotwein.

Der Kuß, der die Generation Yann Andréa meint, weckt die alten Tiger wieder. Es ist zwecklos, den Leidenschaften zu entfliehen, auch wenn man so alt ist. Von Anbeginn ihrer Beziehung mit Yann Andréa fordert Marguerite. Sie fordert totale Hingabe, Symbiose. Mit der Kraft der Worte und Weisheit fordert sie, was sie selbst nie geben konnte: die einzige Liebe. Der vom Leben desillusionierte Yann Andréa gibt und verweigert, gibt und verweigert. Beide trinken bis zur Bewußtlosigkeit, um die unruhigen, klopfenden Herzen zu übertönen und um nachts schlafen zu können.

Woher weiß die wunderbare Jeanne Moreau vom Wesen der großen Marguerite Duras? Keine andere hätte sie in „Diese Liebe“ verkörpern können. Voller Sinnlichkeit ist der Mund, voller Blankheit die großen Augen. Die Lebendigkeit, die die alte Jeanne Moreau zeigt, ist die von Marguerite Duras. Aymeric Demarigny, als der sehr junge und anfängliche hilfslose Yann Andréa ist eine Spur zu sanft. Obwohl die in den Filmverlauf eingesprochene Poesie aus den überlieferten Briefen des Paares stammte und schmerzliche Sehnsüchte nacheinander offenbarte, weiß man auch, daß er die Frauen nicht liebte und nach einer Nacht mit Marguerite ihren Körper mied. Er stellte Männern hinterher und war doch an Marguerite gefesselt. Jeanne Moreau alias Marguerite Duras wartet auf seine Rückkehr, wie damals, als sie auf ihren kleinen Bruder wartete, wenn er in Saigon mit Frauen unterwegs war. Unruhig wie eine Raubkatze im Käfig, macht sie Yann Andréa Szenen und überzeugt ihn ständig wieder mit ihrer Intelligenz.“Denn Intelligenz zeigt sich überall, beim Kochen, im Garten und in der Liebe.“

Der Film ist mit wenig Bildern ausgestattet, 2 Zimmer, der Strand, hin und wieder eine Bar. Und nur zwei Menschen spielen in ihm eine Rolle. Ihre Dialoge sind durchdrungen von Marguerites Poesie, „vom Glück der Wörter“. Yann Andréa schweigt. „Der Mann, der nicht zu leben weiß, hat sich bei der Frau, die Bücher macht, niedergelassen, fasziniert davon, den Alltag eines genialen Menschen zu teilen und zu sehen, wie die Schrift aus ihm heraussprudelt. Er ist der Tempelwächter.“ Gemeinsam hätscheln sie ihre Abhängigkeiten, jeder auf seine Weise glücklich. Marguerite speist ein letztes Mal ihre Kraft aus einer unmöglichen Liebe. Wir sehen ein sehr dichtes, eindringliches und poetisches Porträt einer alten Frau auf der Jagd nach einer Liebe, von der sie meint, daß sie nie enden wird, die keine Lösung erfährt, die unlebbar ist und für die das Gesicht des Scheiterns das einzige ist, für das sie sich interessiert.(Anja Szymanski)

(Zitate aus: Marguerite Duras, Ein Leben, von Frédérique Lebelley, suhrkamp taschenbuch, 1998)

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