Genug Raum für Klang

Zwei Uraufführungen beim 5. Raumklangprojekt des Forum Zeitgenössische Musik e.V.

Am erfüllendsten sind jene Abende, die mäßig beginnen, sich allmählich steigern und schließlich im Höhepunkt enden, denn sie geben das Gefühl, innerlich aufgerichtet zu werden. Genau so ein Abend war es.

Eigentlich ist es unvergleichlich leichter, ein Konzert mit „Neuer“ als mit „Klassischer“ Musik zu verbringen, denn an allen Ecken und Enden wird man mit Konzepten und Ideen bepflastert, die Stoff zum Sinnieren geben. Man kommt nicht umhin, sich den Ort näher zu betrachten, in dem ein „Raumklangprojekt“ seinen Platz finden soll, und beim Flanieren im Ballsaal der Schaubühne trifft man auf Erstaunliches.

Durch die großen Flügeltüren hindurch sogleich mit dem schwarzen Metallgerüst konfrontiert, auf dem die weichen Kinosessel, mit rotem Kord überzogen, aufgereiht sind, begegnet man linker Hand sofort der ersten räumlichen Konstruktion. Auf einem großen Stoffstück ist, leicht durchschaubar, die Gestalt des ehemaligen Ballzimmers in die Ferne hin nachvollzogen. Verwirrt lediglich von den echt wirkenden eingebetteten Wandeinsparungen, durch die die Leitungen geführt werden, schweift das Auge über die Vielzahl an Lampen, die vorzeitig die weitläufige Empore besetzt haben. Sie versehen die Parkettbühne mit einem unnatürlichen, aber angenehm warmen Gelb und schaffen in die andere Richtung durch ein Blau auf der stückweise abgeputzten Wand die Illusion eines weiten Gewölbes.

Durch die vielen Säulen zusätzlich mit dem Charakter eines weitläufigen, tempelartigen Ortes ausgestattet, bremst die sonderbare Farbgebung die Wahrnehmung. Die kräftigen Farben inmitten der Pfostenumrahmung, wechselnd grün und rot, bewirken gerade gegenüber den lang herabhängenden schwarzen Vorhängen irgendwie die konventionell eingepaukte Assoziation Stop and Go… Ah, hier ist Zeit. Lassen wir ihr Raum.

Schon lange war der Blick von diesen Gedanken auf die vier aufgebauten Schlagzeuggruppen abgeschweift und blieb auch während des ersten Stückes in unruhiger Hin- und Herbewegung daran haften. Unruhe gab es hier genug, in einzelnen Fragmenten, zwar jedes Teil des Schlagwerks gleichberechtigt, aber auch immer in ähnlicher Weise eingesetzt. In dauernder Aus- und Ineinanderführung der Spieler sowohl im Klang als auch im Rhythmus lag die Wurzel der Unruhe als ständiger Modifizierung der kommunikativen Situation.

War das Ohr erst bestrebt, die Wahrnehmung für sich zu beanspruchen, auch um der Irritation durch ein Dirigat an Stellen, wo scheinbar keins zu sein hat, zu entgehen, so musste doch das Auge hinzutreten, um diese Wechsel nachzuvollziehen und auch, um das Unhörbare, wie das Wedeln eines Tuchs, zu „hören“. Aber noch blieb alles Ereignis um Ereignis, kein Halt, kein Verständnis.

Wie aus einem Nebel in den nächsten geriet man in jene wunderbare Traumebene, an die sich Benedict Mason heranbewegte, jene wunderschöne Phase des Schwebens zwischen Schlaf und Wachsein, wo der Gedanke nah genug an die sonst verschlossene Öffnung zum Unterbewussten herantreten kann, um seine Elemente nach eigenem Ermessen zu formen. Klarer und realistischer als Träume sonst sind, und doch nur manchmal deutlich hervorscheinend, hier gezaubert in ein Klanggeschehen aus manchmal klaren, harten Akkorden, dann mit Tüchern abgedämpft wie aus der Ferne, dann Schritte, Tritte, Stampfen, wie das einleitende Zählen zum kontrolliert metrischen Musizieren oder auch trotzig, gehend, verlaufend. Dann wieder ein trillerndes Pfeifen mit Trommelschlägen untersetzt, wie eine verschleierte Sambagruppe, Anklänge melodischer Phrasen, eine Tröte, ein tänzerischer Rhythmus, entgleitende Vorstellungen.

Halb erwachend erwuchs vor einem nun das semantische Nichts, dessen Diego Uzal sich immer wieder neu annimmt. Bis ins Letzte konsequent in der Vermeidung konventioneller Klänge vernahm man Geräusche, deren visuelle Quellensuche unablässig forderte, zu vergessen, wie ein Kontrabass, eine Flöte, ein Fagott klingt, denn deren Verneinung ist das Ziel. Nicht nur das, auch die Beziehung zwischen den Elementen als Struktur oder gar Sinn, fallen der Verneinung zum Opfer, denn das nihilistische Spektakel verlangt eine eigene Dynamik. Hier ist neugieriger Entdeckergeist am ehesten dem Geist der Negation angemessen, nicht auf Sinn-, sondern auf Ereignissuche. Und er findet reichlich.

In gewisser Weise diametral entgegengesetzt ist Schenkers Werk. Nicht komponierte Sinnverneinung, sondern weiträumig improvisierte Sinnvertonung begegnet einem hier. Einverleibt ein Text von Josef Heller, Gesprächsanteile gefährlich mächtiger und noch gefährlicher stumpfsinniger Politclowns aus Wissenschaft und Militär, sinnierend über eine Waffe, schneller als Licht. Die Frage: Geht denn das? Die Antwort: Natürlich geht das.

Was kann daraus entstehen? Licht, als Fläche aus einem hohen Streicherton wachsend, umspült von unmotivierten Geräuschen, finsterem Kettengerassel, während Metall auf Metall trifft. Heißer, gepresster Atem aus Posaune und Saxophon, bis ins vulgär Aggressive gesteigert, wenn die in alle Öffnungen gestoßene Luft aus allen Öffnungen wieder hervorquillt. Süßliche Kantilenen, die die Violine, die sie hervorbringt, höchst eigenst zerfetzt. Der taumelnde Klang eines schwankenden Tons, wie die unruhige Anzeige eines verrücktgewordenen Oszillografen, entsteigend einer Wanne mit Wasser, in die ein Becken taucht.

Und so irren die Gedanken der wirren Köpfe als schwirrende Klänge durch den Raum und überdecken fast das weitere Gespräch der hohen Würden, deren Bemühen, die Macht ihrer Machenschaften auszuloten, schließlich gipfelt in der Frage: Ist es genug, um die Welt zu zerstören? Die Antwort: Nein, aber das Leben zu vernichten. Also: Damit kann man durchaus leben.

Was gibt es da noch zu sagen? Verstreuen wir uns in alle Winde, in gleichgültigen Wegen, in lakonischer Haltung Klänge machend, an den Pfeiler tönend, in die Ecke blasend. We’ll meet again, irgendwo, irgendwann, darum lasst uns noch einmal zusammenkommen, um mit dieser Trauermusik all das zu beweinen, mit dem wir oft genug „durchaus leben können“.

Raumklangprojekt Nr. 5 – Musik im Raum

Harmut Wohlleber: Schlagwärts 4 (2001) für vier Schlagzeuger
Benedict Mason: Dreams That Do What They’re Told (1992) for Percussion (DEA)
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Diego Uzal: much ado about nothing (2002) für Ensemble (UA)
Friedrich Schenker: Folio VI (2002) nach Josef Heller für Ensemble (UA)

08.12.2002 Schaubühne im Lindenfels

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