Sternstunde der Quartettkunst

Das Gewandhausquartett spielt Werke von Beethoven, Szymanowski und Schumann im Mendelssohn-Saal

Am vergangenen Sonntag bewies das Gewandhaus-Quartett dem Publikum im gut besuchten Mendelssohn-Saal einmal mehr, warum es in aller Welt gefeiert wird. Die vier Musiker beeindruckten bei den ersten beiden Stücken mit einem hohen Maß an musikalischem Einfühlungsvermögen, großer technischer Präzision, vor allem aber mit einem wunderbar warmen, edlen Ton.

Die Aufführung von Beethovens Streichquartett op. 95 wurde zur kammermusikalischen Sternstunde. Bereits den Kopfsatz mit seinem trotzig-fatalistischen Beginn, den ständigen brutalen Kontrasten und seinem resignativ verklingenden Schluss gestaltete das Gewandhaus-Quartett plastisch und mitreißend, ohne dabei aber je zu übertreiben oder sich billigen Showeffekten hinzugeben. Den traurigen, aller Hoffnung beraubten zweiten Satz gingen die Musiker überaus emotional an, hielten sich aber zum Glück jeglicher Sentimentalität fern. Der fugierte Mittelteil das Satzes erschien völlig in sich gekehrt, wie in fahles Licht getaucht. Die Unrast des dritten Satzes verdichtete sich zu nervösem Drängen, das Trio bremste das Geschehen allenfalls zeitweise, ohne wirkliche Entspannung zu bringen. Der völlig unvermittelt einsetzende Schlusslauf des vierten und letzten Satzes wurde nicht als überraschende Lösung aller Probleme präsentiert, sondern als gequälter, erzwungener Heiterkeitsausbruch, wie ein gewaltsam herbeigeführter Schlusspunkt.

Karol Szymanowski ist in Deutschland weitgehend unbekannt, obwohl er in der polnischen Musikgeschichte einen zentralen Platz einnimmt. Das Streichquartett Nr. 1 in C-Dur von 1917 verbindet in origineller Weise Elemente der späten Romantik mit neuen Kompositionstechniken. Mit Beethoven hat das Werk die große Komplexität gemein, welche beim ersten Hören einige Probleme bereiten kann. Das Gewandhaus-Quartett spielte diese Musik sehr engagiert und meisterte die immensen technischen Anforderungen der Partitur nahezu problemlos. Einige Ungenauigkeiten (z. B. in der Dynamik) konnten den hervorragenden Gesamteindruck nicht weiter trüben.

Szymanowski verlieh jedem einzelnen Satz des Quartetts ein ganz eigenes Gepräge. Der erste Satz wirkt in seiner Dichte und durch seine rhythmische Kompliziertheit fast etwas spröde. Der zweite Satz trägt Liedcharakter („in modo d’una canzone“) und spricht unmittelbar an. Von leichtem Serenadenton bis zu hochexpressiver Leidenschaftlichkeit reicht hier die Spannbreite der ausgedrückten Gefühle. Das Finale, eine Burleske, ist der progressivste der drei Sätze, wenigstens in Bezug auf eine eingesetzte kompositorische Besonderheit: Jede der vier Stimmen steht in einer anderen Tonart. Durch wohlüberlegte Differenzierung der gestalterischen Mittel sorgten die Musiker des Gewandhaus-Quartetts dafür, dass die Heterogenität des Werks nicht egalisiert, sondern unmittelbar erfahrbar gemacht wurde.

Zum Abschluss des Konzerts gab es das Streichquartett op. 41/3 von Robert Schumann. Dieses Werk, das an rhythmisch vertrackten Passagen und bizarren Synkopierungen fast schon übervoll ist, gelang den Musikern nicht in gleichem Maß wie die Quartette von Beethoven und Szymanowski. Immer wieder schlichen sich Ungenauigkeiten im Zusammenspiel ein, mehr als einmal ließ die Intonation merklich zu wünschen übrig. Es gab auch viel Schönes zu hören, so z. B. in großen Teilen des zweiten Satzes, dennoch enttäuschte die Aufführung im direkten Vergleich mit dem vorher Gehörten etwas.

Als Zugabe erklang dann noch der zweite Satz aus Beethovens Streichquartett op. 130, eine bedrückende, verschrobene Miniatur des allerspätesten Beethoven, die sich als Encorestück allerdings weniger eignet.

Karol Szymanowski: Streichquartett Nr. 1 C-Dur op. 37
Ludwig van Beethoven: Streichquartett f-Moll op. 95
Robert Schumann: Streichquartett A-Dur op. 41 Nr. 3

Gewandhaus-Quartett

8. Dezember 2002, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

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