CD-Empfehlung

Das Leipziger Streichquartett mit Unbekanntem von Weill und Hindemith

Über Musik schreiben, sagte der Popstar Elvis Costello einmal in einem Interview, ist wie zu Architektur tanzen. Also ziemlich sinnlos oder gar ein Zeichen halbherzigen Größenwahns. Zöge man daraus die Konsequenzen, wäre mit dünneren Feuilletons und einer Flut arbeitsloser Rezensenten zu rechnen, für die es recht düster aussähe – stehen sie doch ohnehin im Verdacht, musikalisch alles zu wissen, aber nichts zu können.

Costellos These zu überprüfen ist nicht schwer, denn wenn über so facettenreiche Komponisten wie Kurt Weill oder Paul Hindemith, interpretiert vom ausgezeichneten Leipziger Streichquartett, nichts zu Papier zu bringen ist, kann der Rezensent getrost Beruf und Berufung an den Nagel hängen und Taxifahrer oder Popstar werden. Ein Versuch also:

Wer beim Stichwort Kurt Weill an Streichquartette denkt, ist entweder ein Experte oder ein Glückspilz – meistens beides. Während vielen zu Weill zuerst die Dreigroschenoper in den Sinn kommt, sind seine beiden Streichquartette von 1919 bzw. 1923 weitgehend unbekannt. Zu Recht? Nein.

Das erste auf der CD ist das Streichquartett h-Moll mit 4 Sätzen, 25 Minuten Spielzeit und 100 Prozent Musik. Der junge Weill, hin- und hergerissen zwischen Spätromantik und Moderne, bemühte sich beim Komponieren um Reminiszenzen an große Vorbilder wie Mozart oder Mahler, ohne dabei die Innovation und eigene Kompositionsstrukturen zu vernachlässigen. So ist im Booklet von einem „zuviel wollenden“ Werk die Rede; das mag sein, aber was auch immer das Streichquartett will, eins kann es sicher: unterhalten, ohne trivial zu wirken. Melodien, zart und schmeichelnd oder eindringlich fordernd, kommen quasi unbemerkt durch die Hintertür in das Haus des Hörers und werden dort zu Gästen, die man manchmal erst zu schätzen beginnt, wenn sie wieder fort sind. Die Repeat-Taste im Dauereinsatz.

Das Streichquartett op. 8 erstaunt durch ähnliche Effekte. Drei Sätze, ineinander übergehend und von einer seltsamen Spannung durchdrungen, unaufdringlich und zugleich auffallend gekonnt dargeboten von den vier Leipziger Musikern. Man denkt an einen Kontrabass: Weills Kompositionen als riesiger Resonanzkörper für die Klänge der virtuos spielenden vier Interpreten.

Es folgt Hindemith. Nähme man seine hier eingespielten „Militärkapelle Minimax“-Stücke als Repräsentanten für sein Lebenswerk, ließe er sich als zeitgenössische Mischung aus Stefan Raab, Götz Alsmann und Helge Schneider beschreiben. Sein Ziel ist das Parodieren, sein Mittel die Musik.

So scheut er sich nicht, den Militärmarsch „Alte Kameraden“ in „Alte Karbonaden“ umzubenennen und damit Soldaten mit dem in Österreich gebräuchlichen Wort für „auf einem Rost gebratenes Rippstück“ zu betiteln. Aus der Supp-Ouvertüre zu „Dichter und Bauer“ wird „Wasserdichter und Vogelbauer“, aus der Polka „Die beiden kleinen Finken“ entsteht „Die beiden lustigen Mistfinken“. Insgesamt sechs dieser parodistischen Kompositionen – uraufgeführt 1923 – finden sich auf der CD, und was die Titel versprechen, hält die Musik: Meisterlich werden die Mistfinken (Untertitel: Charakterstück, Solo für 2 Piccoloflöten) imitiert, munter marschieren die Karbonaden, und „Ein Abend an der Donauwelle“ demonstriert Hindemiths Gespür für das Außergewöhnliche, instruiert er doch die Musiker wie folgt: „Der zweite Geiger stellt sich mit dem Bratscher aufs Closet […]“ (Auch nach mehrfachem Hören ließ sich nicht feststellen, ob das Leipziger Streichquartett diese Anweisung befolgte.)

Nun, Herr Costello, es zeigt sich: Über Musik lässt sich schreiben, über gute Musik sowieso. Wie es mit dem Tanzen zur Architektur aussieht, soll das Problem anderer sein.

CD-Empfehlung:

Dabringhaus und Grimm in Zusammenarbeit mit DeutschlandRadio

Kurt Weill (1900-1950): String Quartets
Paul Hindemith (1895-1963): MinimaxLeipziger Streichquartett
Kammermusik und Karbonaden

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