Diese Hingabe zur Musik

Der amerikanische Musiker und Vocalsänger Bobby McFerrin dirigiert das Gewandhausorchester im Konzert

Stimmakrobat Bobby McFerrin – auch als Dirigent ein außergewöhnliches Erlebnis.
Wenn die Tage immer kürzer und die Nächte dunkler werden, ist es mehr als nur eine Weihnachtsgabe, dem optimistischen Klangrausch von Vollblutmusiker Bobby McFerrin lauschen zu dürfen. Trotz seines gelassen klingenden Prinzips: „Ich will nichts verändern oder missionieren, nur auf die Bühne gehen, Musik machen und ich selber sein“, bleibt es überaus eindrucksvoll, wie dieser zierliche, sympathisch lächelnde Mann das ausverkaufte Gewandhaus zum begeisterten Mitmachen bewegt. Das entzückt singende, summende und pfeifende Publikum (besonders erwähnenswert die mutige, tapfer durchhaltende Sängerin beim obligaten „Ave Maria“) stellte sich unter seiner dezenten, aber souveränen Anleitung ganz in den Dienst der Musik – wie der Künstler selbst.

Für seine Vorstellungen als Dirigent wählte der gebürtige New Yorker stilgerechte Werke. Der Abend begann mit der heiteren ersten Symphonie von Prokofjew, die unter der Hand von McFerrin noch verspielter und ausgelassener klang, als dies ohnehin schon der Fall ist. So dirigierte er das Allegro in leichtem Unterhaltungston, peppig, voll jazziger Frische mit Temperament und Elan. Die bereits von Prokofjew ironisierte, ursprünglich würdevolle Gavotte, erhielt den Charakter eines behäbigen Volkstanzes in schwüler Sommernacht. Das Finale endete in frischem, drängendem Tempo, sodass die Flöten ihre liebe Not hatten, bei McFerrins ins Impressionistische gehenden Geschwindigkeit mitzuhalten.Le Tombeau de Couperin von Ravel, dem Andenken eines gefallenen Kriegsfreundes gewidmet, erlebte ebenfalls unter McFerrins sensiblem Dirigat die Metamorphose von Trauermusik zu hoffnungsvoller, jazziger Fröhlichkeit. Er entlockte den Bläsern, besonders der Klarinette, so weiche, warme Töne, dass man sich in einem einzigen Schwelgen verlor.

Voraussehbar war, dass Mozarts g-Moll, abgesehen von Bobbys einzigartigen Stimmimprovisationen, zum reizvollsten Teil des Abends werden würde. Denn immerhin umgibt diese Symphonie etwas für McFerrin untypisch Melancholisch-Düsteres, zumindest im Vergleich mit der vier Wochen früher beendeten Es-Dur und der folgenden Jupiter-Symphonie. Doch vermochte er auch dieser Musik seinen unerschütterlichen Optimismus mit auf den Weg zu geben.

Mittels Vorsicht, Respekt und zuversichtlicher Innigkeit dirigierte er die von Mozart in nur vier Wochen fertiggestellte Symphonie. Der unkonventionell agierende Dirigent kitzelte aus dem Gewandhausorchester einen betörenden Klang, der mit hoher Energie beladen von viel Hingabe zeugte. Seine ausschließliche Konzentration auf das rhythmische Element offenbarte besonders im Menuett eine beeindruckende Wirkung. Durch die stark akzentuiert dreinfahrenden Synkopen verlieh er dem dritten Satz eine bündig dynamische Wirkung, deren unumstößliche Heiterkeit im vorangegangenen Andante nicht gar so zu überzeugen vermocht hatte.

Was macht Bobby McFerrins Interpretationen von Musik so außergewöhnlich? Der Jazzsänger leitet ein Orchester, wie er singt – mit vollem Körpereinsatz. Da wirken Hilfsmittel wie Pult oder Noten bloß störend. Er geht gänzlich in der Musik auf und hat die Werke so tief verinnerlicht, dass er mit dem Orchester beinahe zu verschmelzen scheint. Er wippt, schnippst, nein vielmehr noch, er tanzt regelrecht den Takt. Dadurch produziert er einen beeindruckend homogenen Klang, der von einer intensiven Kommunikation mit den Musikern zeugt.

Seine Stimme allein vermag dagegen ganze Geschichten zu erzählen. Beständig wechselt er zwischen hochkonzentrierten Stimmimprovisationen und spielerischen Experimenten mit dem Publikum, die zum Ende hin meist in amüsierte Lachsalven ausarten.

So erscheint Musik, insbesondere die klassische, nicht mehr als ein ernsthaftes, gelegentlich sogar unverständliches, professionelles Genre, sondern als das, was es ist: das Erlebnis, in eine wunderbare, geheimnisvolle, ganze eigene Welt einzutauchen. Mit der für ihn selbstverständlich bescheidenen Coolness hinterlässt Bobby Mc Ferrin auch mit diesem Konzert das Gefühl, die Fähigkeit zu besitzen, Musik zum Leuchten zu bringen.

Bobby McFerrin, Dirigent
Gewandhausorchester

Sergej Prokofjew: Symphonie Nr.1 D-Dur op. 25
Maurice Ravel: Le Tombeau de Couperin
Bobby McFerrin: A-Cappella-Improvisationen
Wolfgang Amadeus Mozart: Symphonie g-Moll KV 550

20. Dezember 2002, Gewandhaus Leipzig

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