Beängstigend imponierend: Ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter Dirigent Mariss Jansons
Die Erfahrung, dass sich Kunst selten mit der herrschenden Nomenklatur verträgt, haben im 20. Jahrhundert nicht wenige Künstler gemacht. Ins Abseits gestellt, mit Arbeitsverboten gestraft, wurden sie oft ins Exil getrieben, wo sie nicht selten ganz verstummten und erst nach ihrem Tode wieder entdeckt wurden. Schostakowitsch, der mit seiner 4. Sinfonie und der Oper Lady Macbeth des Mzensker Kreises deutlich auf Distanz zu Stalins Regime aus Schrecken, Terror und Denunziantentum gegangen war, geriet dadurch ebenfalls in das Blickfeld des Geheimdienstes. Die Oper wurde sofort abgesetzt, Bekannte aus Schostakowitschs Bekanntenkreis verschleppt und getötet. Das Damoklesschwert schwebte auch über dem Komponisten, doch Stalin ließ ihn in dem Gefühl der Furcht weiter arbeiten. Die 5. Sinfonie steht als Dokument für dieses Gefühl der Bedrohung, der ständig lauernden Gefahr.
Mariss Jansons, der im Jahre 2004 die Nachfolge des designierten Gewandhauskapellmeisters Riccardo Chailly in Amsterdam antreten wird, hat das Werk Schostakowitschs zu einem integralen Bestandteil seiner Konzerte gemacht. Und so gab es an diesem Abend in der Philharmonie auch kein Entrinnen vor der bedrückenden Kraft der Sinfonie. Die Dramatik entfaltete sich vom ersten Akkord an, offenbarte die Zerrissenheit der Musik. Auf der einen Seite die Klarinetten, den nie versiegenden Optimismus verkörpernd, von den dunkel drohenden Hörner konterkariert. Der zweite Satz geriet zum Sinnbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, einer Karikatur von Stalins Reich. Das Eis brach und Licht drang in das finstere Reich. Da wurde die dunklen Akkorde der Celli von den Flöten sogleich in die Schranken verwiesen. Das Largo des dritten Satzes hat bis heute nichts von seiner emotionalen Wucht verloren. Bei der Uraufführung der Sinfonie im damaligen Leningrad mussten viele Menschen unwillkürlich weinen. Das Klagemotiv, von der Oboe vorgetragen, das An- und Abschwellen der Violinen zeigte die ganze Zerrissenheit und die Trauer, die sich damals über die Menschen gelegt hatte. Das Finale komponierte Schostakowitsch weniger als optimistische Ankündigung einer neuen Zeit, sondern als ausweglose Tragödie. Und so offenbart sich die Musik als ein Stahlbad während sich die letzten Töne in einem ohrenbetäubenden Knall entladen.
Im Zusammenspiel machten die Musiker ihrem Namen alle Ehre, schwebten auf einem wunderbar gewebten Teppich aus Akkorden durch den Großen Saal der Philharmonie. Jansons fand mit seinen zupackenden, immer wieder nach allen Seiten schnellenden Händen die richtige Mischung, um die Musiker durch das Werk zu führen. Am Schluss blieb nur Staunen. Doch das Publikum hielt sich nicht lange damit auf: Seine Bravo-Rufe jagten wie die Druckwelle nach einer Explosion durch den Saal.
Als Einstimmung auf Schostakowitschs Sinfonie erklangen vor der Pause Webers Ouvertüre aus der Oper „Euryanthe“ und Schumanns bekanntestes Klavierkonzert. Bei Webers Ouvertüre arbeiten Jansons Arme wie zwei Sicheln beim Grasmähen. Die Streicher spielten mit gefühlvollem Strich, die Blechbläser hinterließen in den Ohren ein lang anhaltendes Echo. Ein flotten Auftakt, bei dem schon der große Bogen gespannt wurde.
So ging es auch beim Klavierkonzert von Schumann weiter. Der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes griff tief in die romantische Zauberkiste. Schon die ersten Töne schienen in der Luft zu verharren. Ohne große Gesten, manchmal wie in Zeitlupe, arbeitete er sich durch das Werk. Aber auch langsames Spielen kann anstrengen. Bei Schumanns Klavierkonzert kommt es vor allem auf das gleichberechtigte Zusammenspiel zwischen Orchester und Solisten an. Und da war an einigen Stellen vom Solisten nicht mehr viel zu hören. In einer langen Solokadenz konnte dann Andsnes zeigen, was er kann. Da jubilieren die Ohren. Nicht zu Unrecht wird er als einer der gefragtesten jüngeren Pianisten bezeichnet. Am Ende ein Finale mit schallenden Fanfaren und einem imponierenden, beängstigend imponierenden Klang.
Berliner Philharmoniker, Dirigent: Mariss Jansons
Leif Ove Andsnes, Klavier
Carl Maria von Weber (1786-1826)
Ouvertüre zur Oper „Euryanthe“
Robert Schumann (1810-1856)
Klavierkonzert a-Moll op.54
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
Symphonie Nr. 5 d-Moll op. 47
21. Dezember, Philharmonie, Berlin
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