Mit Schumann gegen den Winter: Ein frühlingshaftes Konzert in der Berliner Philharmonie mit der Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim
Jedes Jahr die gleiche Frage. Gibt es Schnee zum Heiligen Fest? Stolz verkündete der Wetterbericht in den vergangenen Tagen, dass Berlin und Brandenburg mit einer Wahrscheinlichkeit von achtzig Prozent „weiße“ Weihnachten feiern würden. Unbeeindruckt von diesem meteorologischen Vabanquespiel und des gerade begonnen kalendarischen Winters entschied die Berliner Staatskapelle an diesem Montag, den kommenden freundlicheren Jahreszeiten in Gestalt eines reinen Schumann-Programm vorzugreifen.
Schumanns notierte 1841 in sein Tagebuch: „So alt man wird, die Sehnsucht nach dem Frühling kehrt alle Jahre wieder.“ Auch die Musiker der Staatskapelle schienen auf dem Weg durch die kalten Straßen von Berlin in die Philharmonie von dieser Sehnsucht beseelt worden sein. Schon das Bläsersolo am Beginn zeigte an: hier und heute regiert der Frühling. So fulminant wurde es intoniert. Sofort war auch der dunkle, erdige Klang zu hören, der nicht nur das Gewandhausorchester, sondern auch die Staatskapelle auszeichnet. Klarinetten und Fagotte ließen bereits im ersten Satz das Eis schmelzen. Und Daniel Barenboim? Die Arme angewinkelt wie ein Verkehrspolizist (was nicht despektierlich gemeint ist) zeigt er die Richtung an. Nahm sich genügend Zeit, die Kontraste herauszustellen, legte mit Hilfe der Violinen und ihren Akkorden dem Publikum einen warmen Mantel um. So schmolz das im Laufe des Jahres aufgebaute Harmoniedefizit in kürzester Zeit zusammen. Die Flöten zauberten einen zarten Ton nach dem anderen hervor, diese setzten sich beharrlich im Ohr fest. Nach dem Finale voller überbordender Spiellaune blieb nur eine Feststellung: Jetzt kann der Winter ruhig kommen.
Publikum für Liederzyklen zu finden, ist schwer. Den Liederkreis nach Eichendorff zwischen die beiden Sinfonien zu platzieren, war deshalb eine kluge Entscheidung. Wer aber geglaubt hatte, die Schlacht der Jahreszeiten wäre schon ausgefochten gewesen, musste sich eines besseren belehren lassen. Nicht nur dass die Sopranistin Dorothea Röschmann erkrankt war, auch in Teilen des leidenschaftlich hustenden Publikums fand der Winter allzeit willfährige Verbündete.
Schumann ließ in seinen Liedern Gedichttext und Klavierbegleitung gleichberechtigt nebeneinander stehen. Ein Umstand, der Roman Trekel und Daniel Barenboim am Klavier besonders zu Gute kam. Eichendorffs Lyrik zeichnet sich durch eine beständige Wiederholung der gleichen Motive aus. Da rauscht der Wald, singen die Vögel und blüht die Natur. Schumanns Liederzyklus fand an diesem Abend in Trekel eine kongeniale Wiedergabe. Ob schnell oder langsam, laut oder leise, der Bariton fand immer den richtigen Ton und konnte sich jederzeit in Barenboims dicht geflochtenes Netz der Akkorde fallen lassen. Allein die schneller intonierten Lieder (Schöne Fremde, In der Fremde) erweckten den Eindruck, dass sich die beiden mitunter extra beeilen würden, um dem Bazillenflug zu entgehen.
Die dritte Sinfonie wird heute – bedauernswerter Weise – eher selten zur Aufführung gebracht. Die Staatskapelle zelebrierte förmlich die Rheinische, demonstrierte die Schattierungen des Klanges, zu denen sie fähig ist. Tänzerisch, in den Tönen schwelgend machten sich die Musiker auf, um das Werk zu erobern. Barenboim ließ sie dabei gewähren und das Orchester bedankte sich mit einem furiosen Spiel. Ob weicher Klang der Streicher oder Träumereien der Flöten, Barenboim schien mit seinem Taktstock die Töne fast aus den Instrumenten zu ziehen. Im Finale hing der Himmel dann voller Geigen und das Orchester zauberte eine Extraportion Frühling in den Saal. Da konnte auch der eisige Wind auf dem Rückweg dem Rezensenten nichts mehr anhaben.
Staatskapelle Berlin, Dirigent: Daniel Barenboim
Roman Trekel, Bariton
Robert Schumann (1810 ? 1856)Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 („Frühlingssinfonie“)
Liederkreis nach Eichendorff op. 39
1. In der Fremde 2. Intermezzo 3. Waldesgespräch 4. Die Stille 5. Mondnacht. 6. Schöne Fremde
7. Auf einer Burg 8. In der Fremde 9. Wehmut 10. Zwielicht 11. Im Walde 12. Frühlingsnacht
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 („Rheinische“)
23. Dezember, Philharmonie, Berlin
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