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Eine Ausstellung zur deutschen Exilliteratur im Museum Baden, Solingen

Aus Peter Weiss‘ monumentalem Roman Die Ästhetik des Widerstands bleibt ein Dialog zwischen dem Erzähler und Christiane Grautoff, der Muse und Geliebten Ernst Tollers in Erinnerung. Grautoff begleitete den Dichter ohne Heimat auf seinen rastlosen Wegen durch das Exil, und vergaß nie, einen Strick in seinen Koffer zu packen. 1939 schließlich erhängte sich Toller mit selbigem in einem New Yorker Hotel: Er war des Kämpfens gegen Nazi-Deutschland überdrüssig geworden.

Der Literaturwissenschaftler Jürgen Serke hat sich dieser und anderer tragischer Liebesbeziehungen unter Exil-Schriftstellern des Dritten Reiches schon seit geraumer Zeit angenommen. Eine Vielzahl von Büchern, darunter Die verbrannten Dichter (1978), geben Zeugnis von der Liebe in den Zeiten der Verfolgung. Aus seiner umfangreichen Sammlung von Briefen, Manuskripten und Originalausgaben und unter seiner Mitarbeit ist im Museum Baden der Stadt Solingen eine sehenswerte Ausstellung unter dem Titel „Liebes- und Musengeschichten. Das fragile Glück im Unglück von Verfolgung und Exil“ entstanden, die noch bis Ende März 2003 Interessierte in die Klingenstadt im Bergischen Land lockt.

Am Anfang der Ausstellung stößt der Besucher auf die Bücher der verfemten Dichter. Wie auf einem Scheiterhaufen angerichtet finden sich hier die Werke von Brecht, Döblin, Mann, Werfel, Goll und unzähligen anderen. Die hier aufgestapelten Bücher stammen aus dem Keller der alten Hamburger Buchhandlung Boysen und wurden während des Krieges von den beiden Lehrlingen Wolfgang Borchert und Werner Lüning im Keller des Ladens, in zwei Kisten verpackt, aufgefunden. Der gemeinsame Fund dokumentiert zugleich den Beginn der Liebe zwischen den beiden jungen Männern, von denen Borchert später als Frühvollendeter zu literarischem Ruhm emporsteigen sollte. Briefe Borcherts an den jungen Freund zeugen vom Schmerz des Unterdrückten, der schließlich an den Folgen eines Gefängnisaufenthaltes in noch jungem Alter sein Leben ließ. Einen seiner letzten Briefe an Lüning unterzeichnet er lapidar mit „Dein Prometheus, der Leberzerhackte“.

Im folgenden Rundgang durch die Museumsräume bleibt der Kurator Serke dem eingangs beschriebenen Grundprinzip treu. Die oftmals im gewaltsamen Tod endende Liebesbeziehung zweier Dichter wird vor dem Hintergrund ihres literarischen Schaffens beleuchtet. Die künstlerische Produktivität des Einzelnen ist undenkbar ohne den bedingungslosen Rückhalt, den ihm eine aufopferungsvolle Liebe zu einem anderen Menschen gewährt. In vielen Fällen endet zumindest die körperliche Liebe vor den Toren der Konzentrationslager. Heute beinahe vergessene Schriftsteller wie Paul Kornfeld (einer der beiden Drehbuchautoren des Dr. Caligari), Peter Kien, Hugo Sonnenschein und Selma Meerbaum-Eisinger manifestieren in ihren Briefen und Gedichten an die ihnen in Liebe Verbundenen die literarische Schaffenskraft im Angesicht des Todes. Sieht man auf den ausgestellten Fotos ihre lächelnden Blicke, vermitteln die Zeilen von eigener Hand ein ganz anderes Bild: „Und noch der Tod/Muß töten.“ heißt es in einem Vers von Albert Ehrenstein.

Bevor sich die Ausstellung den großen Namen der Exilliteratur in Bild, Schrift und Ton (auf bereitgestellten CD-Playern kann der Interessierte Lesungen der Werke einiger der hier vertretenen Autoren lauschen) widmet, schafft sie Ablenkung in Form von Buchrücken und Zeitungsseiten. Ein gelungener Exkurs beschäftigt sich mit den vielfältigen Erscheinungsformen von Exilliteratur. Vor allem die zahlreichen Exilverlage von Amsterdam bis Buenos Aires, in denen zum Beispiel Döblins spätere Werke oder Klaus Manns Mephisto zum ersten Male erschienen, dienten den Exilierten als Sprachrohr für sich und Gleichgesinnte. Literarisch-künstlerische Zeitschriften wie die von Willy Haas mitbegründete „Welt im Wort“ boten den Schriftstellern ein Forum für ihre Stellungnahmen, Reden und Manifeste gegen das Hitler-Regime. Leider verzichtet Serke in diesem Teil der Dokumentation auf ausführlichere Erläuterungen zu den mannigfaltigen Spielarten von Exil-Publizistik. Während die Liebes- und Musenbiographien durch an Schautafeln reproduzierte Lebensläufe eingängig nachvollzogen werden, erfährt man so gut wie nichts über die Verleger und deren wichtige Arbeit.

Den letzten Teil der Ausstellung nehmen schließlich die großen Namen unter den Exildichtern ein. Claire und Yvan Goll machen den Anfang, auf Stoffbanner gedruckte Verse Golls betonen den erotischen Aspekt der Liebe im Exil, lasziv nackt räkelt sich Claire Goll auf einem Foto, geschossen von ihrem Mann, dem sie in Achtung angetan war, obschon ihre Liebe dem früh gestorbenen Rainer Maria Rilke gehörte. Der Betrachter nimmt Joseph Roth auf einem Foto wahr, aufgenommen in Oostende, womöglich kurz bevor er Irmgard Keun kennen- und lieben lernte. Und schließlich, gleichsam einer Weihestätte, betritt man das Reich der Else Lasker-Schüler. In Wuppertal, keine fünfzehn Minuten Autofahrt von Solingen, geboren, und dann hinaus in die weite Welt der Literatur getrieben. Ihre Briefe an Gottfried Benn sind hier genauso zu bewundern wie Erstausgaben ihrer Lyrik, und es ist der große Verdienst dieser Ausstellung und seines Kurators Serke, an dieser Stelle erstmals die Liebesbeziehung der späten Lasker-Schüler zu dem jungen Dozenten Ernst Simon ausführlich herauszuarbeiten. Die nach Jerusalem ausgewanderte Dichterin lernt den dreißig Jahre jüngeren Simon dort kennen, widmet ihm ihren Band Das blaue Klavier. Ihre Gedichte umschlingen die von ihr gezeigten Fotos und geben der Ausstellung zum Abschluß einen Hauch von Lokalkolorit.

Mehr als einmal, und am Beispiel des Umgangs mit der Vita von Autoren wie Lasker-Schüler und Goll wird dies besonders deutlich, meint es Serke zu gut mit dem interessierten Betrachter. Die Menge der Quellen, Fotos und Briefe ist schlichtweg unüberschaubar, das betrachtende Auge verliert sich in der Vielzahl des Dargebotenen, Namen drohen austauschbar zu werden. Schnell gerät hier in Vergessenheit, daß man es mit individuell verschiedenen Fällen zu tun hat, die nur eine Gemeinsamkeit teilen: Literatur und Liebe, die sich gegenseitig bedingen. Hätte Serke seine Auswahl etwas stärker komprimiert, das Ergebnis wäre eindrucksvoller, vielleicht mitunter noch erschütternder gewesen. So aber ist es eine für Laien und Fachakademiker interessante und sorgfältig zusammengefügte Ausstellung zur Exilliteratur geworden, die sich bisweilen in zu vielen Einzelheiten verliert.

Statt eines Kataloges läßt sich Jürgen Serkes Buch erwerben: Die verbrannten Dichter
Mit Fotos von Wilfried Bauer
Erweitert um ein Vorwort von Jacob Hessing
Mit CD, auf der Otto Sander, Angela Winkler und andere die Texte der „verbrannten Dichter“ vortragen.
Weinheim: Beltz und Gelberg
Museum Baden, noch bis zum 23.3.2003

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